Brasilien auf dem Holzweg
Zum Schutz von Waldfl?chen in Brasilien existieren freiwillige Selbstverpflichtungen, bei denen Sojah?ndler keine Soja aus neu abgeholztem Gebiet kaufen. Zwei neue Studien zeigen auf, wie ungenügend diese Richtlinien Brasilien vor der Abholzung schützen – und was ihr Potenzial bei einer grossr?umigeren Implementierung w?re.
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Die Sojaproduktion steigt laufend an. Sch?tzungsweise werden j?hrlich rund 480'000 Hektar Regenwald abgeholzt, um Sojabohnen anzupflanzen. Ein internationales Forschungsteam aus ?konom:innen und Geograph:innen untersuchte, wie effektiv sogenannte ?Null-Abholzungs-Verpflichtungen? sind, welche die Sojaproduktion und -beschaffung in Brasilien auf bereits gerodete Gebiete lenken sollten. Dabei analysierten die Forschenden, wie sich das Amazon Soy Moratorium (ASM) im brasilianischen Amazonas auf Waldschutz und Abholzung auswirkt. Zudem untersuchten sie in Szenarien, welchen Effekt die Implementierung neuer, globaler Selbstverpflichtungen auf die Abholzung in Brasilien und global h?tten.
Mehr Abholzung als angenommen
Rachael Garrett, Assistenzprofessorin für Umweltpolitik der ETH Zürich, Postdoc Florian Gollnow und eine Assistenzprofessorin der New York University waren stark an beiden Studien beteiligt, die soeben in den Fachzeitschriften Nature Communications und Environmental Research Letters erschienen sind. Sie kommen zum Schluss, dass das ASM zwar die Abholzung des Amazonas-Regenwaldes reduzieren konnte, die Wirkung jedoch kleiner ist als zuvor gesch?tzt.
Der Grund: Viele Firmen, welche die Selbstverpflichtungen nicht übernommen haben, beziehen Soja von geeigneten Waldfl?chen ausserhalb der Gebiete, in denen die Selbstverpflichtungen umgesetzt werden. Die Abholzung wird somit in diese ungeschützten Gebiete abgedr?ngt, ein Ph?nomen, dass die Forscher:innen leakage nennen. Dieses Schlupfloch hat zur Folge, dass die Eind?mmung der Abholzung im Amazonas-Regenwald in anderen Waldgebieten zum Teil ausgeglichen wird: Laut der ersten Studie, geleitet von einem Professor der Kansas State University, wurden mehr als die H?lfte (53 Prozent) der Einsparungen bei der Abholzung im Amazonas-Regenwald 2011 bis 2016 durch Rodungen in anderen Gebieten zunichtegemacht. Zudem zeigt die von Florian Gollnow geleitete Studie, dass die Selbstverpflichtungen bei weniger Waldfl?che als bisher angenommen umgesetzt werden. ?Die geschützte Fl?che durch die Selbstverpflichtungen im Amazonas-Regenwald ist anstatt 18'000 km2 nur 2300 km2 gross, das heisst statt knapp der halben Fl?che der Schweiz wurde nur ungef?hr die des Kantons St. Gallen bewahrt?, so Rachael Garrett.
Doch die Szenarien in den Studien lassen für die Zukunft des Waldes in Brasilien hoffen. Würden beispielsweise Sojah?ndler zus?tzlich zum ASM ihre globalen Selbstverpflichtungen zur entwaldungsfreien Produktion umsetzen, k?nnte 40 Prozent mehr Abholzung in Brasilien vermieden werden als jetzt. Dies würde vor allem die brasilianische Cerrado-Savanne besser schützen, die durch das leakage in Mitleidenschaft gezogen wird. Zus?tzliche 37 Prozent Entwaldung k?nnten umgangen werden, wenn alle Firmen, die Soja aus Brasilien beziehen, strenge Null-Abholzungs-Auflagen einhalten würden. Dieses Szenario würde sich auch positiv auf den globalen Waldschutz auswirken, da es weniger leakage in andere L?nder g?be.
Vollumf?ngliche ?bernahme wichtig
Gollnows Studie stellt ausserdem fest: Vor allem kleinere Sojah?ndler:innen übernehmen die Selbstverpflichtungen nicht. Das wirkt sich negativ auf die Nutzung der Waldfl?chen durch Sojabauern und -b?uerinnen aus. Kleinere Firmen werden oft nicht in dem Ausmass von Umweltschutzkampagnen anvisiert wie gr?ssere Firmen, die mehr Soja handeln und somit einen gr?sseren Einfluss auf die Umwelt haben. Zudem profitieren gr?ssere Firmen von Kostenersparnissen durch Massenproduktion, wodurch es ihnen leichter f?llt, in diese Selbstverpflichtungen zu investieren. Abgesehen vom ASM mangelt es bisher jedoch bei allen Unternehmen an einer transparenten Umsetzung der Selbstverpflichtungen entlang der gesamten Lieferkette. Die Forschenden schliessen, dass der Cerrado um die H?lfte besser geschützt w?re, würden die dortigen Sojah?ndler ihre Null-Abholzungs-Verpflichtungen mit der gleichen Effektivit?t durchsetzen, wie das ASM beim Amazonas-Regenwald.
Vor allem gibt es auch r?umlich grosse Diskrepanzen in der ?bernahme der Selbstverpflichtungen. Viele B?den des Cerrado sind ideal für den Sojaanbau. Jedoch liegen mehr als die H?lfte dieser B?den in Gebieten, aus denen vor allem jene Firmen Soja beziehen, die die freiwilligen Null-Abholzungs-Verpflichtungen nicht angenommen haben. Die Verpflichtungen decken somit nicht genügend die Gebiete ab, die besonders von der Abholzung gef?hrdet sind. Damit bleibt der Cerrado und seine Biodiversit?t massgeblich von der Entwaldung für die Sojaproduktion bedroht.
Zudem sind internationale Regelungen ungenügend. Null-Abholzungs-Regulationen müssten nicht nur in Brasilien, sondern auch in Importl?ndern eingeführt werden: ?Die EU-Initiative für entwaldungsfreie Lieferketten ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung?, meint Gollnow. Wenn alle Sojah?ndler bei Lieferungen in die EU 2011-2016 komplett entwaldungsfreie Lieferketten gehabt h?tten, w?ren etwa 400’000 Hektar Abholzung vermieden worden. Die damals existierenden EU-Bestimmungen h?tten aber auch nur 15 Prozent der brasilianischen W?lder geschützt.
In den F?ngen der Politik
Obwohl die Abholzung in Brasilien schon lange umstritten ist, gewinnt dieses Thema durch die Wahl von Brasiliens neuem Pr?sidenten am 30. Oktober 2022 an Aktualit?t. Brasilien muss sich zwischen dem konservativen Jair Bolsonaro und dem liberalen Lula da Silva entscheiden. Unter Bolsonaro hat sich der Waldschutz in Brasilien massiv verschlechtert. Zuvor hatte da Silva Schutzgebiete ausgebaut und die Implementierung von Null-Abholzungs-Richtlinien und ?berwachung von Sojalieferanten versch?rft. Bolsonaro hatte diese ?nderungen w?hrend seiner Amtszeit aufgehoben. ?Die Abholzung nahm w?hrend Bolsonaros Pr?sidentschaft zu, da er die Bauern dazu brachte, noch freie Gebiete für sich zu beanspruchen und zu roden?, sagt Garrett. Die Forscherin nimmt an, dass bei einer Wahl da Silvas die W?lder Brasiliens wieder besser geschützt würden. Dies w?re laut ihr ein wichtiger Schritt, um die gr?ssten Waldgebiete der Erde nachhaltig vor der Vernichtung zu bewahren.
Literaturhinweise
Gollnow F, Cammelli F, Carlson K, Garrett R. Gaps in Adoption and Implementation Limit the Current and Potential Effectiveness of Zero-Deforestation Supply Chain Policies for Soy. Environmental Research Letters 28 October 2022, doi: externe Seite 10.1088/1748-9326/ac97f6
Villoria N, Garrett R, Gollnow F, Carlson K. Leakage Does Not Fully Offset Soy Supply-Chain Efforts to Reduce Deforestation in Brazil. Nature Communications 13, 5476 (2022), doi: externe Seite 10.1038/s41467-022-33213-z