Nicht nur unsere klassischen Gene bestimmen unsere Neigung zu Fettleibigkeit. ETH-Forschende konnte zeigen, dass auch Mikro-RNA-Moleküle für die Regulierung des K?rpergewichts zentral sind.
- Vorlesen
- Anzahl der Kommentare
Unsere Erbanlagen bestimmen mit, wie stark wir dazu neigen, überflüssige Pfunde anzusetzen. Welche Gene und Genvarianten dafür mitverantwortlich sind, haben Forschende in den vergangenen Jahren intensiv untersucht: es sind etwa hundert. Interessant ist allerdings, dass sich mit diesen nur knapp die H?lfte der erblich bedingten Fettleibigkeit erkl?ren l?sst, wie sogenannte Genom-Assoziationsstudien gezeigt haben. Für die andere H?lfte sind demnach Faktoren verantwortlich, die zwar Teil der Erbsubstanz sind, bei denen es sich aber nicht um klassische Gene handelt, welche für Proteine kodieren, sondern beispielsweise um sogenannte epigenetische Erbinformationen.
Forschende unter der Leitung von Markus Stoffel, Professor am Departement Biologie, haben nun einen weiteren, nicht-klassisch genetischen Risikofaktor für erblich bedingte Fettleibigkeit gefunden: ein bestimmtes k?rpereigenes Mikro-RNA-Molekül mit dem Namen Mikro-RNA 7.
Die Bauanleitungen für Mikro-RNA-Moleküle liegen wie die Gene auf unseren Chromosomen. W?hrend Gene allerdings als Bauanleitung für Proteine dienen, wird die Information der Mikro-RNA nicht in Proteinform übersetzt. Vielmehr wirken die Mikro-RNA-Moleküle in unseren Zellen in RNA-Form. ?Die Mikro-RNA 7 ist die erste Mikro-RNA, bei der wir einen Zusammenhang mit Fettleibigkeit aufzeigen konnten?, erkl?rt Stoffel.
Einfluss bei Maus und Mensch
Zusammen mit seinem Team züchtete er M?use, denen die Mikro-RNA 7 in bestimmten Nervenzellen des Hypothalamus, dem Regulationszentrum zwischen Hormon- und Nervensystem, fehlt. Diese M?use zeigten einen krankhaft gesteigerten Appetit und wurden fettleibig.
Einen Zusammenhang konnten die ETH-Forschenden auch bei Menschen zeigen. Sie werteten dazu zusammen mit Wissenschaftler:innen der Universit?t Cambridge Genom- und Gesundheitsdaten aus, unter anderem die anonymisierten Informationen einer britischen Datenbank, die 500'000 Personen umfasst. Stoffel und seine Kolleg:innen konnten so zeigen, dass Menschen mit genetischen Variationen auf den Chromosomen rund um die Bauanleitung für die Mikro-RNA 7 überdurchschnittlich schwer und gross sind. Die Variationen haben zur Folge, dass die besagten Nervenzellen der betroffenen Personen weniger Mikro-RNA 7 produzieren.
Ausserdem konnten die Wissenschaftler:innen zeigen: Die Mikro-RNA 7 beeinflusst in den Zellen eine biochemische Reaktionskaskade, von der bereits bekannt war, dass sie den Energiehaushalt, die Appetitregulierung und die k?rpereigene Produktion von Wachstumshormonen massgeblich steuert. Die Mikro-RNA wirkt dort, indem sie die Herstellung von Proteinen reguliert.
Dass sich der Effekt sowohl bei M?usen als auch bei Menschen zeigt, überraschte Stoffel nicht. Denn die Mikro-RNA 7 ist ein Molekül, das schon sehr früh in der Evolutionsgeschichte der Tiere entstanden ist und sich halten konnte. Es liegt heute in sehr vielen Tierarten unver?ndert vor – von Fadenwürmern bis zu allen Wirbeltieren und dem Menschen.
Therapeutisches Potenzial
?Bisher war es ungekl?rt, warum sich mit Genvariationen weniger als die H?lfte der Ursachen für erblich bedingte Fettleibigkeit erkl?ren lassen?, sagt Stoffel. ?Unsere Arbeit zeigt nun: Es reicht nicht, nur in den Genen zu suchen, die die Information für Proteine tragen, man muss auch die DNA-Bereiche ausserhalb von protein-kodierenden Genen untersuchen wie zum Beispiel die Regionen mit den Bauanleitungen für Mikro-RNA.?
Zumindest theoretisch liesse sich die neue Erkenntnis auch in der Medizin nutzen. Es gibt bereits Medikamente auf RNA-Basis, welche den Wirkungsmechanismus von Mikro-RNA-Molekülen im K?rper nutzen. So k?nnten dereinst auch Therapien entwickelt werden für Personen, in deren Hypothalamus zu wenig Mikro-RNA 7 herstellt wird und die deshalb fettleibig sind. Denkbar w?ren auch Therapien für den umgekehrten Fall: für Personen mit einer Pr?disposition zu krankhaft niedrigem K?rpergewicht oder Abmagerung k?nnte die Mikro-RNA 7 pharmakologisch gehemmt werden.
Allerdings sei es wahrscheinlicher, dass die immer noch recht jungen RNA-Therapien zun?chst für neurodegenerative Krankheiten wie Alzheimer entwickelt werden, sagt Stoffel. Langfristig w?re es aber denkbar, auch Stoffwechselerkrankungen wie Fettleibigkeit oder Abmagerung auf diesem Weg zu therapieren.
Diese Forschungsarbeit wurde im Rahmen des externe Seite Nationalen Forschungsschwerpunkts ?RNA and Disease? durchgeführt.
Literaturhinweis
LaPierre M, Lawler K, Godbersen S, Farooqi IS, Stoffel M: MicroRNA-7 regulates melanocortin circuits involved in mammalian energy homeostasis. Nature Communications, 29. September 2022, doi: externe Seite 10.1038/s41467-022-33367-w