ETH-Forschern ist es erstmals gelungen, ein supraleitendes Bauteil aus Graphen zu bauen, das quantenkoh?rent und empfindlich gegenüber Magnetfeldern ist. Damit er?ffnen sich für die Grundlagenforschung interessante neue Perspektiven.
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Es ist weniger als 20 Jahre her, seit es Konstantin Novoselov und Andre Geim erstmals gelang, zweidimensionale fl?chige Kristalle herzustellen, die nur aus einer Schicht Kohlenstoffatome bestehen. Seither hat das Graphen genannte Material eine bemerkenswerte Karriere gemacht. Es wird aufgrund seiner aussergew?hnlichen Festigkeit heute nicht nur verwendet, um Produkte wie Tennisschl?ger, Autopneus oder Flugzeugflügel zu verst?rken. Graphen ist auch für die Grundlagenforschung ein anregendes Studienobjekt, entdecken doch Physikerinnen und Physiker immer wieder erstaunliche neue Ph?nomene, die sich so bei anderen Materialien nicht zeigen.
Der richtige Dreh
Besonders interessant sind für die Forschenden zweischichtige Graphenkristalle, bei denen die beiden Atomschichten leicht gegeneinander verdreht sind. So konnten Forscher aus der Gruppe von Klaus Ensslin und Thomas Ihn am Laboratorium für Festk?rperphysik an der ETH Zürich vor rund einem Jahr zeigen, dass man mit verdrehtem Graphen sogenannte Josephson-Kontakte bauen kann, sozusagen die Grundbausteine von supraleitenden Bauelementen.
Basierend auf dieser Arbeit gelang es den Forschenden nun, aus verdrehtem Graphen das erste supraleitendes SQUID (SQUID, für engl. superconducting quantum interference device) herzustellen, mit dem die Interferenz supraleitender Quasi-Teilchen demonstriert wird. Herk?mmliche SQUIDs werden in der Praxis bereits in verschiedenen Bereichen eingesetzt, beispielsweise in der Medizin, in der Geologie oder Arch?ologie. Die empfindlichen Sensoren sind in der Lage, kleinste ?nderungen in Magnetfeldern zu messen. Allerdings funktionieren SQUIDs nur mit supraleitenden Materialien, weshalb sie im Betrieb mit flüssigem Helium oder Stickstoff gekühlt werden müssen.
In der Quantentechnologie kommen SQUIDs als Quanten-Bits (Qubits) zum Einsatz, also als Elemente, mit denen Quantenoperationen durchgeführt werden k?nnen. ?SQUIDs sind für die Supraleitung das, was Transistoren für die Halbleitertechnik sind: das grundlegende Bauelement, aus dem sich dann komplexere Schaltkreise bauen lassen?, erkl?rt Ensslin.
Das Spektrum wird breiter
Die vom Doktoranden Elías Portolés hergestellten SQUIDs aus Graphen sind nicht sensitiver als herk?mmliche SQUIDs aus Aluminium und müssen auch auf tiefe Temperaturen von weniger als 2 Grad über dem absoluten Nullpunkt abgekühlt werden. ?In diesem Sinn ist das ist kein Durchbruch für die SQUID-Technologie an sich?, h?lt Ensslin unmissverst?ndlich fest. Das Einsatzspektrum von Graphen wird jedoch merklich erweitert. ?Wir konnten bereits vor fünf Jahren zeigen, dass man mit Graphen sogenannte Einzel-Elektronen-Transistoren bauen kann. Nun kommt noch die Supraleitung hinzu?, erkl?rt Ensslin.
Bemerkenswert ist, dass man das Verhalten des Graphen durch die angeschlossene Elektrode gezielt steuern kann. Je nachdem, welche Spannung man anlegt, ist das Material isolierend, leitend oder eben supraleitend. ?Die ganze Vielfalt an M?glichkeiten der Festk?rperphysik steht zur Verfügung?, meint Ensslin.
Interessant ist zudem, dass man nun in einem einzigen Material die beiden grundlegenden Bauelemente eines Halbleiters (Transistor) und eines Supraleiters (SQUID) kombinieren kann. Dies erlaubt den Bau neuartiger Schaltoperationen. ?Normalerweise würde man den Transistor aus Silizium fertigen und das SQUID aus Aluminium?, erkl?rt Ensslin. ?Das sind verschiedene Materialien, die unterschiedliche Verarbeitungstechnologien ben?tigen.?
Extrem anspruchsvolle Fertigung
Obwohl Supraleitung in Graphen vor nunmehr fünf Jahren von einer Gruppe am MIT entdeckt wurde, gibt es weltweit vielleicht gerade mal ein Dutzend experimentelle Gruppen, welche Supraleitung in Graphen beobachten. Noch weniger sind in der Lage, das supraleitende Graphen auch zu einem funktionsf?higen Bauteil zu verarbeiten.
Die Herausforderung besteht darin, dass die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen mehrere fragile Arbeitsschritte nacheinander ausführen müssen: Zuerst müssen sie die Graphenschichten im pr?zis richtigen Winkel zueinander justieren. Anschliessend folgen die weiteren Schritte wie beispielsweise Elektroden anschliessen oder L?cher ?tzen. Würde man dazu das Graphen aufheizen, wie das sonst bei Reinraum-Technologien mehrfach der Fall ist, so würden sich die beiden Schichten sofort wieder parallel zueinander ausrichten. ?Die ganze Standard-Halbleitertechnologie muss also angepasst werden?, erkl?rt Portolés. ?Das macht die Aufgabe extrem anspruchsvoll.?
Hybride Systeme als Vision
Ensslin denkt zudem bereits einen Schritt weiter: Zurzeit werden ganz unterschiedliche Technologien für Qubits untersucht, die alle ihre Vor- und Nachteile haben. Die meisten dieser Technologien werden von verschiedenen Forschungsgruppen innerhalb des Nationalen Forschungsschwerpunkts Quantum Science and Technology (QSIT) untersucht. Wenn es nun gelingt, mit Hilfe von Graphen zwei dieser Systeme miteinander zu koppeln, k?nnte man vielleicht auch deren Vorteile miteinander verbinden. ?Man h?tte dann zwei verschiedene Quantensysteme auf dem gleichen Kristall?, erkl?rt Ensslin.
Neue M?glichkeiten ergeben sich auch für die Erforschung der Supraleitung. ?Mit diesen Bauteilen werden wir vielleicht besser verstehen, wie Supraleitung in Graphen überhaupt zustande kommt?, meint Ensslin. ?Heute wissen wir einzig, dass es in diesem Material unterschiedliche Phasen der Supraleitung gibt. Doch wir haben noch kein theoretisches Modell, um diese zu erkl?ren.?
Literaturhinweis
Portolés E Iwakiri S, Zheng G, Rickhaus P, Taniguchi T, Watanabe K, Ihn T, Ensslin K, de Vries FK: A tunable monolithic SQUID in twisted bilayer graphene. Nature Nanotechnology, 24. Oktober 2022. doi: externe Seite 10.1038/s41565-022-01222-0