Geerdeter Atmosphärenforscher
Der Atmosph?renchemiker Thomas Peter wurde Ende Januar emeritiert. Von einem, der uns wichtige Eigenschaften und Prozesse der Schwebeteilchen erkl?rte und das zweitgr?sste Departement der ETH Zürich pr?gte.
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Von Thomas (Tom) Peters Büro hat man eine atemberaubende Sicht auf die Stadt Zürich, den See, den ?etliberg und die Albiskette bis weit in die Alpen. Der Raum zuoberst im Turm des CHN-?Geb?udes der ETH Zürich bietet jedoch nicht nur ein bombastisches Panorama, sondern ist geradezu sinnbildlich für das Forschungsgebiet, welches Peter in den vergangenen 24 Jahren an der ETH verfolgt hat: Atmosph?re und Klima.
Trotz seines Refugiums in wolkiger H?he hat der ETH-?Professor für Atmosph?renchemie die Bodenhaftung nie verloren. Er ist nahbar, lacht viel und gern, der Schalk sitzt ihm im Nacken. Auch ist er ein guter Erz?hler, und das muss er jetzt tun: erz?hlen. Denn Peter wurde per 31. Januar dieses Jahres emeritiert und blickt auf sein akademisches Leben zurück.
Seine wissenschaftliche Karriere startete der heute 65-?J?hrige in seiner Heimatstadt Marburg, wo er Physik studierte. Nach einem Studienjahr in den USA kehrte er nach Deutschland zurück und doktorierte 1988 in Plasma-? und Atomphysik an der TU München.
Durch linke Universit?tsstadt gepr?gt
Sein Herkunftsort Marburg pr?gte Tom Peter. Die Stadt sei wegen der Universit?t immer radikal links gewesen, und von dieser Radikalit?t habe er sich als Student anstecken lassen. ?Allerdings war ich radikal grün und pazifistisch?, sagt er. Natürlich folgen Anekdoten: Zur Zeit des Waldsterbens in den frühen 1980er-?Jahren sei er auf die Strasse gegangen und habe den Leuten erkl?rt, wie Angsttriebe an kranken B?umen aussehen.
Mitte der 1980er-?Jahre, als er im Rahmen seiner Doktorarbeit mit Hochleistungslasern arbeitete, geh?rte er zu den Initianten eines offenen Briefes an den deutschen Bundeskanzler Helmut Kohl, in welchem er die Mitarbeit an US-?Pr?sident Ronald Reagans Strategic Defense Initiative (SDI), der ?Illusion eines Schutzschildes? gegen nuklear bewaffnete Raketen, ablehnte.
?Diese Vorstellung war für uns so einschneidend, dass es eine starke Antwort brauchte?, erinnert er sich. Der offene Brief, den 350 Wissenschaftler:innen unterschrieben, wirbelte viel Staub auf. ?Der Medienrummel war riesig, so dass wir zwei Wochen lang nicht mehr normal arbeiten konnten?, schmunzelt er.
Von der Fusionsforschung zur Atmosph?renchemie
Wenige Zeit sp?ter vollzog Peter auch einen radikalen Kurswechsel in seiner Forschung: Er arbeitete an Themen der Inertialfusion, von der man hoffte, dass sie eines Tages unser Energieproblem l?sen k?nnte und hatte bereits ein Dutzend viel beachtete Artikel zu Fusionsplasmen publiziert, als im klar wurde, dass es ein steiniger Weg sein würde, bis diese Energieform genutzt werden k?nnte – wenn überhaupt. Und wenn, dann k?nnten es sich nur technisch hoch entwickelte, reiche L?nder leisten. ?Deshalb entschloss ich mich für ein ganz anderes Feld: die Atmosph?renforschung, denn an Umweltthemen war ich schon immer interessiert.?
?Es sind nicht die Wolken aus Salpeters?uretr?pfchen, die das Ozon zerst?ren, sondern das Chlor, das aus den von uns emittierten, langlebigen Fluor-Chlor-Kohlenwasserstoffen stammt.?Thomas Peter
1990 wechselte Peter ans Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz, in die Abteilung des sp?teren Nobelpreistr?gers Paul Crutzen. Dort begann er mit Arbeiten zum stratosph?rischen Ozons und zu den Prozessen, welche die Ozonschicht zerst?ren, die uns vor UV-Strahlung schützt. Besonders interessierten ihn dabei Aerosol- und Wolkenpartikel und die Frage, unter welchen Umst?nden sie zu Gehilfen des ozonzerst?renden, menschgemachten Chlors in der Stratosph?re würden.
Der Ort, wo chemische Prozesse ablaufen
Generell ist die Stratosph?re so trocken, dass dort keine Wolken vorkommen. Nur wenn es im Winter in der Stratosph?re über den Polen sehr kalt wird, k?nnen sich Wolken bilden.
Zusammen mit seinen Kolleg:innen fand Peter heraus, dass die Stratosph?renwolken erstaunlicherweise meistens nicht aus Eispartikeln, sondern aus hochkonzentrierten Salpeters?uretr?pfchen bestehen. Dass bei Temperaturen um –85°C flüssige Tr?pfchen in der Atmosph?re existieren sollten, hatte man nicht erwartet. Niemand glaubte ihnen zu Beginn.
Tats?chlich erwiesen sich aber genau diese Salpeters?uretr?pfchen als der Ort, wo chemische Prozesse ablaufen, die die menschgemachten Chlorverbindungen ?scharf? machen, also in aktive Verbindungen umsetzen, welche das Ozon rasant abbauen. So entsteht das Ozonloch.
?Aber?, sagt Peter, ?es sind nicht die Wolken aus Salpeters?uretr?pfchen selbst, die das Ozon zerst?ren, sondern das Chlor, das aus den von uns emittierten, langlebigen Fluor-Chlor-Kohlenwasserstoffen stammt. Die Wolken sind nur die Handlanger des Chlors?.
Der Atmosph?renchemiker erwarb sich in seinem ?neuen? Feld rasch Expertise und war aufgrund dessen viele Jahre als Ko-Autor der Ozone Assessment Reports zum Zustand der Ozonschicht im Rahmen des Montreal-Protokolls t?tig, manchmal an mehreren Kapiteln gleichzeitig. ?Viel Arbeit?, sagt er, ?aber ?usserst interessant.?
Transportbeh?lter von Umweltgiften
Die Stratosph?re blieb für Peters Arbeitsgruppe immer interessant. Hinzu kamen Arbeiten über das troposph?rische Aerosol: Wie kann aus der komplexen Zusammensetzung organischer Aerosole Einfachheit entstehen? Welche fundamentalen physikalischen und chemischen Eigenschaften haben sie?
Peters Gruppe zeigte, dass organische Aerosolpartikel unter trockenen Bedingungen in der Troposph?re glasf?rmig werden k?nnen. ?Stellen Sie sich vor, Sie h?tten ein miniaturisiertes H?mmerchen. Damit k?nnten Sie ein gl?sernes, Mikrometer grosses Teilchen in viele Splitter zerschlagen?, sagt Peter. Die ?Verglasung? der Aerosole verlangsamt die physikalischen und chemischen Prozesse, die in den Partikeln ablaufen.
Aus den glasf?rmigen Aerosolteilchen k?nnen weder darin eingeschlossene organische Moleküle noch Wasser entweichen. Erst wenn die Bedingungen an einem anderen Ort der Atmosph?re feuchter werden, wird die Aerosolhülle wieder flüssig und durchl?ssig. ?Wir schliessen daraus, dass gewisse organische Aerosolteilchen perfekte Transportbeh?lter für flüchtige organische Verbindungen sein k?nnen, zum Beispiel für Umweltgifte wie krebserregende Polyaromate oder DDT. Die Glashülle kann diese Stoffe vor Abbauprozessen in der Luft schützen und so zu deren weltweiter Verteilung beitragen?, sagt Peter.
Grounding des Luftverkehrs
In lebhafter Erinnerung ist ihm auch ein Thema, das ihm zwar ?keine hochtrabende Publikation? eingebracht habe, dafür aber für die ?ffentlichkeit sehr relevant war: Als 2010 der Vulkan Eyjafjallaj?kull auf Island ausbrach, nahmen Peter und seine Mitarbeitenden sofort Messungen mit ballongetragenen optischen Instrumenten auf, die in seiner Gruppe entwickelt wurden. ?Damit identifizierten wir dünne Schichten glashaltiger Vulkanascheteilchen in zwei bis sechs Kilometer H?he über Zürich, die Flugzeugtriebwerke lahmlegen k?nnen.?
?Die Risikoabw?gung eines Einsatzes des Geoengineerings gegenüber dessen Unterlassung ist schwierig. Sie kann aber nur gelingen, wenn wir die Auswirkungen verstehen – zumindest im Modell.?Thomas Peter
Diese Messung war einzigartig. Sie wurde zuerst in den ETH-?News ver?ffentlicht, ?hat aber beim Bundesamt für Zivilluftfahrt, dem Bazl, voll eingeschlagen?, erz?hlt er. ?Sie riefen mich in aller Herrgottsfrühe an einem Sonntag an und wollten wissen, ob diese Aerosol-?Schicht den Flugverkehr gef?hrde?. Das Amt hat danach das Flugverbot über der Schweiz für eine Woche verl?ngert.
Die von seiner Gruppe gebauten Balloninstrumente sind weltweit erfolgreich: Sie wurden in den letzten 15 Jahren über 600-?mal eingesetzt, in 15 L?ndern und Regionen von Spitzbergen über die Tropen bis nach Neuseeland.
Aerosole als Klimaretter?
Mit globalen Chemie-Klima-Modellen scheuten sich Peter und seine Mitarbeiter:innen auch nicht, das ethisch heikle Thema anzugehen, ob gezielt in die Stratosph?re eingebrachte Aerosole zur Kühlung des Klimas genutzt werden k?nnten. ?Leider vergeht Jahr um Jahr, ohne dass wir die dringend n?tigen Reduktionen der CO2-Emissionen in die Wege leiten?, sagt Peter.
Er findet es daher besser, künstliche Methoden zur Klimakühlung zu erforschen und zu verstehen, und sei es nur, um sich aufgrund m?glicher gravierender Nebenwirkung gegen ihren Einsatz auszusprechen. ?Die Risikoabw?gung eines Einsatzes des Geoengineerings gegenüber dessen Unterlassung ist schwierig. Sie kann aber nur gelingen, wenn wir die Auswirkungen verstehen – zumindest im Modell.?
S?uren gegen Viren im Atemaerosol
Kurz vor seiner Emeritierung ist eine Studie erschienen, die Tom Peter als weiteren H?hepunkt seiner Laufbahn bezeichnet: Diese Studie begann 2017 in einem schweizerischen Forschungskonsortium und l?uft noch immer auf Hochtouren. Das Konsortium untersucht die Frage, wie lange Viren in ausgeatmeten Aerosolpartikeln infekti?s bleiben und wodurch sie inaktiviert werden (ETH News vom 21.12.22). Ihr Fazit: Ausgeatmete Partikel nehmen rasch S?uremoleküle aus der Luft auf, die Viren gründlich inaktivieren k?nnen. Diese Studie hat direkte praktische Implikationen, n?mlich h?ufig zu lüften, wodurch S?uremoleküle von der Aussenluft nach innen Raumluft gelangen, oder sogar die gezielte Anreicherung der Raumluft mit geringen S?uremengen, um so die Viren rasch zu eliminieren.
Schwerarbeit im eigenen Department
Tom Peter hat jedoch nicht alle seine Zeit für Forschung genutzt. 1999 kam er an die ETH als Ordentlicher Professor für Atmosph?renchemie im damaligen Departement Umweltnaturwissenschaften (D-UMNW). Ab 2004 geh?rte er für insgesamt 12 Jahre der Departementsleitung an: Von 2004 bis 2012 als stellvertretender Departementsvorsteher und damit für die Departementsstrategie zust?ndig, von 2013 bis 2017 als Departementsvorsteher.
In seine Zeit fielen zwei Departementszusammenlegungen, zuerst mit den Forstwissenschaften. Aus D-UMNW wurde D-UWIS. Dann mit den Agrarwissenschaften, woraus D-USYS wurde.
Diese Fusionen durchzuführen, war laut Peter ?abenteuerlich?, weil unterschiedliche Kulturen aufeinandertrafen: die ?Umweltis?, die es als ETH-Departement erst seit 1990 gibt, und die ?Agros?, die 1871 im damaligen Polytechnikum Einzug hielten. ?Für uns hiess es ‘Arrangez-vous!’?. Das habe alle Beteiligten stark gefordert. ?Aber wir haben es geschafft. Und besser noch: KollegInnen von der land- und forstwirtschaftlichen Produktionseffizienz bis in den umweltwissenschaftlichen Elfenbeinturm haben sich gefunden?.
Das Engagement bei der institutionellen Arbeit hatte für Tom Peter auch die Konsequenz, dass er seine Forschung hinten anstellen musste. ?Rückblickend bin ich etwas zu sehr in der Departementsarbeit aufgegangen?, sagt er selbstkritisch. Die Selbstverwaltung habe auch Schattenseiten. ?Aber dank der beeindruckenden Kollegialit?t und einem exzellenten Departementsstab machte mir die Departementsarbeit richtig Spass.?
Zeit für die n?chste Generation
?Die Zeit an der ETH ist nur so geflogen, leider?, gesteht er. ?Ich bereue nichts von dem, was ich bisher gemacht habe. Wir konnten immer das tun, was uns interessiert hat, dank der grossartigen M?glichkeiten an dieser Hochschule. Und dank meiner fantastischen Arbeitsgruppe?, betont Peter.
Von der ETH abnabeln wird er sich so schnell nicht. Im Frühlings- und Herbstsemester 2023 wird Peter noch einmal seine Vorlesungen halten. Das h?ngt damit zusammen, dass seine Nachfolge noch nicht geregelt ist. Wegen der aktuellen Sparmassnahmen der ETH würden Professuren nach dem Abgang der Vorg?ngerin oder des Vorg?ngers nur verz?gert neu besetzt. ?Ich habe dafür Verst?ndnis, aber ideal finde ich das nicht?, sagt der ehemalige Departementsvorsteher.
Allzu schwer f?llt es ihm freilich nicht, zwei Semester anzuh?ngen: ?Ich mache gerne Lehre?. Das dürfte auch den Studierenden zugutekommen, die ihn als Dozenten sch?tzen. Für hervorragende Lehre erhielt Tom Peter 2010 eine ?Goldene Eule?.
Sein Büro mit freiem Blick auf die Wolken, das Wetter, die Berge, den See; das wird er jetzt abgeben. Er zieht zwei Türen weiter, in einen kleineren Raum, den er mit zwei Kollegen teilen wird. ?Gar nicht schlecht, noch einmal einfach Wissenschaftler zu sein, mit Desk Sharing?, sagt er. Doch jetzt freut er sich erstmal auf eine neue Aufgabe: Soeben wurde seine Enkeltochter Hannah geboren. ?Ich wurde am 31. Januar emeritiert und werde zwei Tage sp?ter Grossvater; das ist wunderbar und perfektes Timing?, freut er sich.