Engagiert in fernen Ländern
Peter Schmidt ist seit über 30 Jahren in der Entwicklungszusammenarbeit t?tig – immer auf der Suche nach M?glichkeiten, Menschen zu unterstützen. Sein erster Besuch in Indien warf ihn für drei Tage aus der Bahn und pr?gte dann sein ganzes Leben.
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Peter Schmidt sieht man sein weitgereistes Leben nicht an. Mit den gestutzten weissen Haaren, im karierten Hemd und in Stoffhose sowie mit seiner ruhigen Art zu sprechen, wirkt er nicht gerade wie der geborene Abenteurer. Dass das t?uscht, merkt man, wenn er über seine Zeit in Indien, Kirgistan und Myanmar erz?hlt. Dann leuchten seine Augen auf und es ist unübersehbar, dass ihn ein Leben aus immer neuen Eindrücken glücklich gemacht hat.
Im Klang der Armut
Seine erste Station: Indien. Noch w?hrend seines Agronomiestudiums an der ETH Zürich war er zum ersten Mal da, als Teil eines ?speziellen Praktikums?. Darin sollten die angehenden Agronom:innen nach Praktika auf Schweizer Bauernh?fen auch einige Wochen fremde Luft schnuppern. Schmidt tat dies in der Region Kerala im ?ussersten Süden Indiens. Die Ankunft in der regionalen Hauptstadt Trivandrum (heute Thiruvananthapuram) im Jahr 1986 war einschneidend: Der damals 26-j?hrige Schmidt flüchtet direkt in das Haus eines Schweizer Arbeitskollegen und kommt drei Tage lang nicht wieder heraus. ?Ich brauchte diese Zeit, um die Fülle an neuen Eindrücken zu verarbeiten?, erz?hlt er heute. Seit da hat Armut für ihn einen bestimmten Klang: ?Tock, tock, die Hammerschl?ge mit denen Hunderte von indischen Frauen am Strassenrand sitzend Steine zu Schotter zerkleinern für den Strassenbau – diese Arbeit machen bei uns die Kieswerke.? Auch die Menschenmassen und die Gerüche sind überw?ltigend: Essensdunst, Gewürze, F?kalien.
So unsanft die Ankunft, so pr?gend ist der Aufenthalt für den jungen Schmidt. Für die Entwicklungsorganisation Intercooperation arbeitet er an einem Projekt zur Viehwirtschaft. ?Wir wohnten jeweils eine Zeit lang in verschiedenen D?rfern, sprachen und arbeiteten mit den Menschen?, erz?hlt er. Unter anderem ber?t er Bauernfamilien zu Themen der Viehzucht und wertet einfache Feldversuche mit Futterpflanzen aus. Seine Lebensumst?nde sind wie die der Einheimischen denkbar einfach. Ein karges Zimmer, ein Wassereimer als Dusche, ein Loch im Hof als Toilette. Schmidt erkennt, dass den Bauern und B?uerinnen vor allem eine berufliche Ausbildung fehlt und dass es in der Entwicklungszusammenarbeit viel zu tun gibt. Und er merkt, dass er seine Berufung gefunden hat.
Kurz heim und wieder weg
Zurück in der Schweiz schliesst er sein Studium ab und reist bald wieder für ein Intercooperation-Projekt nach Indien, genauer, nach Orissa (heute Odisha), einer der ?rmsten Gegenden des Landes – diesmal für drei Jahre. Mit dabei sind nun auch seine Frau K?thi Hüssy und das knapp einj?hrige T?chterchen Zarah. ?Wir lebten in einer Kleinstadt mit 100'000 Einwohnern. Ausser meinem Chef, seiner Frau und einer englischen Pflegefachfrau waren wir die einzigen Ausl?nder?, erz?hlt Schmidt. Obschon er und seine Frau intensiv Oriya lernen, die lokale Sprache, bleiben soziale Kontakte mit Einheimischen schwierig.
?Beruflich aber war es eine enorm bereichernde Zeit?, sagt Schmidt. ?Wir holten in den D?rfern die Bedürfnisse der Bauern ab, bauten darauf auf und planten Projekte, um ihnen zu helfen.? Zum Beispiel in der Milchproduktion. Kühe wurden vor allem gehalten, um Dung für die Felder zu produzieren. Mit einfachen Massnahmen, dem richtigen Futter etwa, liess sich auch die Milchleistung steigern. ?Dann braucht es aber sofort eine Kühlkette und einen Vertrieb. Bei solchen Dingen haben wir die Bauern unterstützt und sie dabei immer besser verstehen gelernt.?
Nach drei Jahren kehrt die Familie in die Schweiz zurück, fasst Fuss, meldet die Tochter für den Kindergarten an. Schmidt wird Ausbildner in landwirtschaftlicher Beratung, inklusive Kurzreisen nach Albanien oder Simbabwe. Dennoch zieht es Schmidt und seine Frau – sie ist Ethnologin – bald wieder weg, diesmal nach Kirgistan. ?Wir wollten wieder in einer anderen Kultur leben, unseren Erfahrungsschatz erweitern?, sagt Schmidt. In der Hauptstadt Bischkek lebt die Familie in einem kleinen Haus und Tochter Zarah besucht eine Privatschule, in der russisch gesprochen wird. Das ist zu Beginn, als die Sprache noch neu ist, hart, wie Papa Schmidt erz?hlt. Heute ist seine Tochter Diplomatin – ihre Russischkenntnisse waren dabei wegweisend. ?Famili?r waren diese Jahre toll, die Lebensqualit?t war hoch und es gab eine Expat-Community, bei der wir Anschluss fanden.? Auch beruflich l?uft es: In einem Helvetas-Projekt baut Schmidt einen landwirtschaftlichen Beratungsdienst auf, ?hnlich wie die kantonalen Beratungsdienste in der Schweiz – und unterstützt damit das Land und seine Menschen auch dabei, sich vom Zusammenbruch der Sowjetunion aus weiterzuentwickeln.
Nach drei Jahren folgt wiederum die Rückkehr nach Winterthur. ?Wir wollten, dass die Kinder w?hrend der Pubert?t in der Schweiz leben?, sagt Schmidt. Zwar hatten sie in Bischkek Freunde, aber um diese zu sehen, mussten sie von den Eltern durch die Millionenstadt gefahren werden. ?Dagegen waren sie in der Schweiz viel freier und unabh?ngiger.? W?hrend der n?chsten 14 Jahre arbeitet er bei Helvetas in verschiedenen Funktionen, unter anderem als Regionalkoordinator und damit Verbindungsmann zwischen Geldgebern und unterstützten L?ndern, als Co-Direktor der Abteilung Internationale Programme und als Co-Leiter der Beratungsdienste. ?Das waren spannende Aufgaben, langweilig wurde mir nie.? Zudem bereist Schmidt als Teil seiner Aufgaben rund 30 L?nder auf vier Kontinenten.
Vom Aufbruch zum Putsch
Trotzdem: Zunehmend ungeduldig warten er und seine Frau darauf, erneut in ein neues Leben aufzubrechen – nach Myanmar. Im Januar 2017 kommen sie dort an, in einem Land, das nach jahrzehntelanger Milit?rherrschaft endlich demokratisch ist oder zumindest auf dem Weg dazu. ?Das waren fantastische Jahre?, bekr?ftigt Schmidt. Das Land war im Aufbruch, Schmidt leitete ein 50-k?pfiges, junges und motiviertes Team, startete neue Projekte – auch solche, bei denen es um die Demokratisierung von Myanmar ging – und reiste viel durchs Land.
Dann kam zuerst Covid-19 mit einem strengen Lockdown und dann, am 1. Februar 2021, der Milit?rputsch. Erfahren hat Schmidt davon von seinem Sohn, der ihn aus der Schweiz anrief. ?20 Minuten sp?ter waren Telefon und Internet tot.? Zwei Tage fiel das Land in eine Schockstarre, dann gingen die Menschen auf die Strasse, zu Hunderttausenden. ?So gewaltige Protestdemonstrationen hatte ich noch nie gesehen?, sagt Schmidt und schüttelt noch heute den Kopf, wenn er daran denkt. Einige Tage liess das Milit?r dies zu, danach wurden die Proteste brutal niedergeschlagen. ?Das macht mich einfach sehr traurig, für die Menschen dort, auch für meine ehemaligen Mitarbeitenden. Die mussten dabei zuschauen, wie ihre pers?nliche Zukunft niedergeknüppelt wurde.? Bis heute wurden unter dem Terror der Milit?rjunta fast 3000 Menschen get?tet, viele Tausende mehr eingesperrt und gefoltert.
Im Juli 2021 flogen Schmidt und seine Frau zurück in die Schweiz, wie zuvor geplant. Diesmal war es schwieriger, anzukommen und sozialen Anschluss zu finden. ?Zuvor mit den Kindern ging das automatischer, weil man sie einschulen und sich organisieren musste?, sagt Peter Schmidt. Mit der Zeit wurde es besser. Heute arbeitet er bei Helvetas in Zürich im modernen Grossraumbüro, zurzeit an einer Machbarkeitsstudie für Reisanbau in Peru mit weniger Methanemissionen. Auf Flugreisen verzichtet er mittlerweile, aus ?kologischen Gründen. Geblieben ist sein Wunsch, Menschen darin zu st?rken, ihre Chancen wahrzunehmen: Zurzeit unterstützt er privat zwei afghanische Migranten dabei, eine Lehrstelle zu finden.
Zur Person
Peter Schmidt studierte an der ETH Agronomie und schloss mit einem Master in Agrarsoziologie ab. Danach ging er als Berater zur damaligen Intercooperation, die 2011 mit Helvetas fusionierte. W?hrend seiner mehr als 30 Jahre in der Entwicklungszusammenarbeit lebte Schmidt mit seiner Familie l?nger in Indien, Kirgistan und Myanmar, wo er verschiedene Projekte aufbaute und leitete. Zudem war er Berater in rund 30 weiteren L?ndern in Asien, Afrika, Europa und Lateinamerika. Heute ist er beim Helvetas-Büro in Zürich für mehrere Projekte zu sozial gerechten und ?kologischen Wertsch?pfungsketten in der Landwirtschaft verantwortlich.