Orexin bestimmt die Pupillengrösse
Das Gehirn reguliert die Pupillengr?sse anders als bisher vermutet: Wesentlich mitverantwortlich ist der Neurobotenstoff Orexin, wie Forschende der ETH Zürich zeigen konnten. Dies k?nnte auch unser Verst?ndnis des Bewusstseins sowie von Krankheiten wie der Schlafkrankheit und von Alzheimer ver?ndern.
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In Kürze
- Werden Orexin-Neuronen im Gehirn stimuliert, weiten sich die Pupillen, wie neue Forschung bei M?usen zeigt.
- Orexin ist für die Regulierung der Pupillengr?sse zentral. Denn: Wenn das Orexin-System ausgeschaltet ist, bleiben die Pupillen verengt.
- Wissenschaftler:innen m?chten die Pupillengr?sse in Zukunft nutzen, um die Aktivit?t der Orexin-Neuronen zu messen.
?Der Effekt war so stark, wir wussten sofort, dass wir etwas Bedeutendem auf die Spur gekommen sind?, blickt Nikola Grujic zurück. Der Postdoc am Labor für Neurobehavioural Dynamics der ETH Zürich hatte sich in einer Serie von ersten Versuchen bei M?usen mit den sogenannten Orexin-Neuronen vertraut gemacht, einem Forschungsfokus des Labors. Dabei beobachtete er, wie eine Stimulation der Nervenzellen zu einer auff?lligen Erweiterung der Pupillen führte. ?H?ufig sind die Effekte von Neuronen-Stimulationen im Grundrauschen der Messdaten versteckt, und wir müssen sie aufw?ndig herausfiltern, um sie zu erkennen. Hier war das anders. Der Effekt war offensichtlich?, sagt er.
Die 1998 erstmals beschriebenen Orexin-Neuronen führen vom Hypothalamus in alle anderen Hirnregionen einschliesslich denjenigen, welche das Bewusstsein steuern sowie die K?rperfunktionen, die nicht willentlich beeinflusst werden k?nnen. So sind die Orexin-Neuronen unter anderem in die Regulierung des Schlaf-Wach-Rhythmus, der Aufmerksamkeit, des Belohnungssystems, des Appetits und des Energieverbrauchs involviert.
Unverzichtbar für den normalen Pupillenzustand
Wie Grujics Messungen zeigen, beeinflussen die Orexin-Neuronen dabei auch direkt ein zentrales Merkmal des emotionalen Zustands: Pupillen reagieren n?mlich nicht nur auf Lichtreize mit einer Ver?nderung der Gr?sse, sondern auch auf mentale Beanspruchungen und auf emotionale Eindrücke. Der Volksmund nennt sie treffend das Fenster zur Seele, und sowohl Medizin als auch Psychologie nutzen die Pupillenweite bei Menschen routinem?ssig als Messgr?sse für Aufmerksamkeit und andere unbewusst gesteuerte Funktionen des Organismus.
?Die Pupillen zeigen uns genau, wie aktiv die Orexin-Neuronen im Hypothalamus sind.?Denis Burdakov
Bisher galt neben dem Licht vor allem das als Stresshormon bekannte Noradrenalin mit seinem Rezeptorsystem als hauptverantwortlich für die Steuerung der Pupillengr?sse. Die ETH-Wissenschaftler:innen konnten nun zeigen, dass diese Rolle vielmehr dem Neurotransmitter Orexin und seinem Rezeptorsystem zukommen dürfte. Die Noradrenalin-Neuronen k?nnen n?mlich den normalen Pupillenzustand ohne die Orexin-Nervenzellen nicht aufrechterhalten. Ist das Orexin-System ausgeschaltet, verbleiben die Pupillen in einem verengten Zustand. ?Die Noradrenalin-Neuronen sind quasi die Sklaven der Orexin-Neuronen?, bringt der ETH-Professor Denis Burdakov die Abh?ngigkeitsverh?ltnisse überspitzt auf den Punkt.
Zusammenhang mit Narkolepsie
In ihren Experimenten wiesen die Forschenden ausserdem eine dosisabh?ngige Beziehung zwischen der Aktivit?t der Nervenzellen und dem Pupillendurchmesser nach. ?Die Pupillen zeigen uns genau, wie aktiv die Orexin-Neuronen im Hypothalamus sind?, sagt Burdakov.
Damit erhalten nicht nur Hirnforschende eine neue Messm?glichkeit für die Orexin-Aktivit?t. Auch in der Medizin ergeben sich dadurch neue Ansatzpunkte. Schon l?nger bekannt ist der Zusammenhang zwischen einer St?rung der Orexin-Regulation und der Narkolepsie, der Schlafkrankheit. Dazu kommen neuerdings aber auch beobachtete Zusammenh?nge mit weiteren neurologischen Erkrankungen wie Alzheimer, Schlaganf?llen und dem angeborenen Prader-Willi-Syndrom. Bei letzterem führt eine Fehlfunktion des Zwischenhirns, zu dem auch der Hypothalamus geh?rt, zu schweren k?rperlichen, kognitiven und Stoffwechsel-Symptomen.
Allen vier Krankheitsbildern gemeinsam ist das Auftreten einer Schlafst?rung. ?ber Untersuchungen der Pupillengr?sse k?nnte künftig der Orexin-Einfluss auf diese Krankheiten genauer erforscht und vielleicht auch die Diagnose vereinfacht und verbessert werden, so Burdakov. Um Narkolepsie zu diagnostizieren, ist heute noch ein chirurgischer Eingriff in Form einer Wirbelkanalpunktion notwendig.
Tor zum Verst?ndnis der Regulation des Bewusstseins
Als Neurowissenschaftler sieht Grujic seine Entdeckung aber vor allem als Schlüssel zu einem besseren Verst?ndnis der Regulation von zentralen Funktionen unseres Bewusstseins. ?Das Gleichgewicht zwischen aufmerksamer Konzentration auf Bekanntes und dem forschenden Umherschweifen der Gedanken ist zentral für unsere F?higkeit, uns an neue Situationen anzupassen?, erkl?rt der Forscher. Die H?ufigkeit und Vielfalt der heute diagnostizierten Aufmerksamkeitsst?rungen zeigten, wie diffizil die Steuerung dieses Gleichgewichts sei.
Orexin ist eines von mehreren neuromodulatorischen Systemen (andere sind Noradrenalin und Serotonin), welche dieses Gleichgewicht steuern. Diese Systeme verschieben das Gleichgewicht je nach den Bedürfnissen des Organismus in die eine oder andere Richtung. In der Frühzeit der menschlichen Entwicklung mussten beispielsweise hungrige J?ger und Sammler ihre Aufmerksamkeit umherschweifen lassen, um eine Nahrungsquelle zu entdecken. Hatten sie eine Belohnung in Form von etwas Essbaren gefunden, war eine Fokussierung auf die Umgebung gefragt, um vielleicht noch mehr von diesem Essen ersp?hen zu k?nnen. Und waren die Frühmenschen schliesslich ges?ttigt, konnten sie ihren Erforschungstrieb auf andere Bedürfnisse als die Nahrung einstellen.
Neuronen-Untergruppen für spezifische Funktionen
Die Forschungsgruppe von Burdakov konnte innerhalb der Orexin-Neuronen Untergruppen bestimmen, die in unterschiedliche neurale Funktionen und damit in unterschiedliche Komponenten dieses Gleichgewichts involviert sind. Dafür haben die Wissenschaftler:innen die Reaktion einzelner Orexin-Neuronen von M?usen mit Hilfe einer speziellen Form der Fluoreszenzmikroskopie verfolgt, und mit der Ver?nderung der Pupillenweite verglichen. Mit der sogenannten Zwei-Photonen-Mikroskopie lassen sich die Aktivit?ten einzelner Zellen im Inneren des Gehirns beobachten.
So fanden die Forschenden unter anderem Neuronen, deren Aktivit?t positiv mit der Pupillengr?sse und damit mit dem Erregungszustand der Maus korrelierte und solche, deren Aktivit?t negativ korrelierte. Dazu kamen Zellen, die sowohl die Pupillengr?sse beeinflussten als auch auf Belohnungen reagierten, w?hrend andere nur mit einem der zwei Faktoren in Beziehung standen.
?bergeordnete Steuerung unseres Bewusstseins
Diese Identifikation von spezialisierten Untergruppen innerhalb der Orexin-Neuronen liefert einen ersten Einblick in die Art und Weise, wie diese für unser Bewusstsein zentralen Funktionen im Gehirn verdrahtet sind. Orexin ist mit seinem Einfluss auf viele unterschiedliche Verhaltenszust?nde – von der Aufmerksamkeit über den Schlaf-Wach-Zustand bis hin zur Belohnung, dem Appetit und dem Energieverbrauch – zudem ein guter Kandidat für deren übergeordnete Steuerung, wie Grujic sagt.
Die Ergebnisse der ETH-Wissenschaftler:innen haben die Tür zu vielen weiteren Forschungsfragen aufgestossen, etwa zur Identifikation von weiteren Neuronen-Untergruppen oder zu deren Zusammenspiel untereinander und mit den Serotonin- und Noradrenalin-Systemen. Die Forschenden gehen davon aus, dass die Beantwortung dieser Fragen nicht nur zu einem wesentlich detaillierteren Verst?ndnis der Steuerung unserer Vitalfunktionen führen wird. In der Folge dürften auch die Diagnostik und Therapie der Aufmerksamkeits- und Schlafst?rungen und der mit ihnen zusammenh?ngenden Krankheiten profitieren. Und das sind, wie die Beispiele Alzheimer und Schlaganf?lle nahelegen, mehr als man auf den ersten Blick meinen k?nnte.
Literaturhinweis
Grujic N, Tesmer A, Bracey E, Peleg-Raibstein D, Burdakov D: Control and coding of pupil size by hypothalamic orexin neurons, Nature Neuroscience 2023, 26: 1160, externe Seite doi: 10.1038/s41593-023-01365-w