Forschende der ETH Zürich haben eine Methode entwickelt, mit der sie in Tieren jede Zelle anders genetisch ver?ndern k?nnen. Damit k?nnen sie in einem einzigen Experiment untersuchen, wozu früher viele Tierversuche n?tig waren. Die Forschenden haben damit Gene entdeckt, die relevant sind für eine schwere, seltene Erbkrankheit.
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In Kürze
- Forschende kombinierten in lebenden Tieren die Ver?nderung von vielen Genen mittels der Genschere Crispr/Cas und die nachfolgende Analyse einzelner Zellen.
- Sie k?nnen damit in den einzelnen Zellen eines Organs jeweils unterschiedliche Gene ausschalten, also ein Mosaik genetisch unterschiedlicher Zellen erschaffen, und die Auswirkungen davon untersuchen.
- Die Methode vereinfacht und beschleunigt die tierexperimentelle Forschung und eignet sich besonders, um Krankheiten mit komplexen genetischen Ursachen zu erforschen.
Um den genetischen Ursachen von Krankheiten auf die Spur zu kommen, ist es eine bew?hrte Methode, in Tieren ein einzelnes Gen auszuschalten und die Folgen davon für den Organismus zu untersuchen. Allerdings tragen bei vielen Krankheiten mehrere Gene zum Krankheitsbild bei. Für Wissenschaftler:innen ist es dann richtig schwierig herauszufiltern, welches Gen wie stark am Krankheitsgeschehen beteiligt ist. Sie müssten dazu viele Tierexperimente durchführen – je eines pro gewünschte Genver?nderung.
Forschende unter der Leitung von Randall Platt, Professor für Biologisches Engineering am Departement für Biosysteme der ETH Zürich in Basel, haben nun eine Methode entwickelt, welche die Forschung mit Versuchstieren stark vereinfachen und beschleunigen wird: Sie nehmen mit Hilfe der Crispr/Cas-Genschere in den K?rperzellen eines einzelnen Tiers mosaikartig mehrere Dutzend Genver?nderungen gleichzeitig vor: In jeder Zelle ist h?chstens ein Gen ver?ndert, die verschiedenen Zellen eines Organs sind aber auf unterschiedliche Weise ver?ndert. Einzelne Zellen lassen sich anschliessend pr?zise analysieren. Damit k?nnen die Forschenden in einem einzigen Experiment die Folgen vieler unterschiedlicher Genver?nderungen untersuchen.
Erstmals in ausgewachsenen Tieren
Die ETH-Forschenden haben diesen Ansatz zum ersten Mal erfolgreich in lebenden Tieren – konkret: in ausgewachsenen M?usen – angewandt, wie sie in der aktuellen Ausgabe des Fachmagazins ?Nature? berichten. Zuvor entwickelten andere Wissenschaftler:innen einen ?hnlichen Ansatz bei Zellen in Kultur und bei Tierembryonen.
Um die Information darüber, welche Gene die Crispr/Cas-Genschere zerst?ren soll, in die K?rperzellen der M?use zu bringen, verwenden die Forschenden das Adeno-assoziierte Virus (AA-Virus). Sie pr?parierten die Viren so, dass jedes Viruspartikel die Information zur Zerst?rung eines Gens tr?gt, und infizierten die M?use mit einer Mischung von Viren mit unterschiedlichen Anleitungen zur Genzerst?rung. Auf diese Weise konnten sie in den Zellen eines Organs – in der Studie w?hlten sie das Gehirn – unterschiedliche Gene ausschalten.
Neue krankheitsverursachende Gene entdeckt
Mit dieser Methode gewannen die Forschenden der ETH Zürich zusammen mit Kolleg:innen der Universit?t Genf neue Hinweise zu seltenen Erbkrankheiten bei Menschen, die als Mikrodeletionssyndrom 22q11 bezeichnet werden. Betroffene Menschen zeigen viele unterschiedliche Symptome, werden h?ufig mit Krankheiten wie Schizophrenie und Autismus-Spektrum-St?rungen diagnostiziert. Bisher war bekannt, dass eine Chromosomenregion, in der 106 Gene liegen, für diese Krankheit verantwortlich ist. Ebenso war bekannt, dass mehrere Gene zu dieser Krankheit beitragen. Allerdings war nicht bekannt, welche der Gene welchen Anteil an der Krankheit haben.
Für ihre Studie in M?usen fokussierten sich die Forschenden auf 29 Gene dieser Chromosomenregion, die auch im M?usehirn aktiv sind. Sie ver?nderten in den Gehirnzellen von M?usen je eines dieser 29 Gene und analysierten anschliessend die RNA-Profile der Hirnzellen. So konnten die Wissenschaftler:innen zeigen, dass drei dieser Gene hauptverantwortlich sind für eine auch in M?usen beobachteten Funktionsst?rung von Gehirnzellen. Ausserdem beobachteten die Wissenschaftler:innen in den M?usezellen molekulare Muster, die an Schizophrenie und Autismus-Spektrum-St?rungen erinnern. Von diesen drei Genen war eines bereits bekannt, die anderen beiden standen aber bisher nicht im Fokus der Wissenschaft.
?Wenn wir wissen, welche Gene in einer Krankheit eine abnormale Aktivit?t aufweisen, k?nnen wir versuchen, Medikamente zu entwickeln, welche diese Abnormalit?t ausgleichen?, sagt António Santinha, Doktorand in Platts Gruppe und Erstautor der Studie.
Zum Patent angemeldet
Die Methode würde sich auch eignen, um andere Erbkrankheiten zu untersuchen. ?Bei vielen erblich bedingten Krankheiten spielen mehrere Gene eine Rolle, nicht nur eines?, sagt Santinha. ?Das ist auch bei psychischen Erkrankungen wie zum Beispiel der Schizophrenie der Fall. Mit unserer Technik k?nnen wir nun direkt in ausgewachsenen Tieren solche Krankheiten und ihre genetischen Ursachen untersuchen.? Die Zahl der ver?nderten Gene liesse sich von derzeit 29 auf mehrere Hundert Gene pro Experiment erh?hen.
?Es ist ein grosser Vorteil, dass wir diese Analysen nun in Lebewesen machen k?nnen, denn in Kultur verhalten sich Zellen anders als im lebenden Organismus?, sagt Santinha. Ein weiterer Vorteil ist, dass die Wissenschaftler:innen den Tieren die AA-Viren einfach ins Blut spritzen k?nnen. Es gibt verschiedene AA-Viren mit unterschiedlichen funktionellen Eigenschaften. In dieser Studie verwendeten die Forschenden ein Virus, welches ins Gehirn der Tiere gelangt. ?Je nach Untersuchungsziel k?nnten aber auch AA-Viren verwendet werden, die andere Organe ansteuern?, erkl?rt der ETH-Doktorand.
Die ETH Zürich hat die Technologie zum Patent angemeldet. Die Forschenden m?chten sie nun im Rahmen eines Spin-offs nutzen, das sie noch gründen werden.
Das Genom ?st?ren?
Die hier vorgestellte Technik geh?rt zu einer Reihe neuer Gentechnik-Methoden, mit denen das Genom von Zellen mosaikartig ver?ndert wird. Crispr Perturbation heisst der Forschungsansatz in der Fachsprache auf Englisch, also ?St?rung? des Genoms mittels der Genschere Crispr/Cas. Dieser Ansatz revolutioniert derzeit die Forschung in den Lebenswissenschaften. Er erm?glicht es, aus einem einzigen wissenschaftlichen Versuch sehr viele Informationen zu gewinnen. Dadurch hat der Ansatz das Potenzial, die biomedizinische Forschung zu beschleunigen, zum Beispiel um die genetischen Ursachen von komplexen Krankheiten zu eruieren.
Bereits vor einer Woche ver?ffentlichte eine andere Forschungsgruppe des Departements für Biosysteme der ETH Zürich in Basel zusammen mit Kolleg:innen aus Wien eine Arbeit, in der sie die Crispr Perturbation in Organoiden anwandten (siehe ETH-News). Organoide sind aus Stammzellen gezüchtete Gewebekügelchen, die ?hnlich aufgebaut sind wie richtige Organe, also eine Art Miniaturorgane. Sie sind eine tierversuchsfreie Forschungsmethode, welche die Forschung an Tieren erg?nzt. Weil mit beiden Methoden – der Crispr Perturbation in Tieren und jener in Organoiden – mehr Information in weniger Experimenten gewonnen werden kann, haben beide Methoden das Potenzial, die Anzahl an Tierversuchen letztlich zu reduzieren.
Literaturhinweis
Santinha AJ, Klingler E, Kuhn M, Farouni R, Lagler S, Kalamakis G, Lischetti U, Jabaudon D, Platt RJ: Transcriptional linkage analysis with in vivo AAV-Perturb-seq, Nature, 20. September 2023, doi: externe Seite 10.1038/s41586-023-06570-y