Natürliche Küsten schützen vor tropischen Wirbelstürmen
Menschen, die an Küsten leben, sind künftig noch st?rker von Wirbelstürmen bedroht. Zwar bieten natürliche ?kosysteme einen gewissen Schutz, doch der hat in den letzten Jahren abgenommen und wird weiter abnehmen. Das zeigt eine Modellstudie eines internationalen Forschungsteams unter Leitung der ETH Zürich.
- Vorlesen
- Anzahl der Kommentare
In Kürze
- Zyklone bedrohen jedes Jahr durchschnittlich 67 Millionen Menschen in Küstengebieten. Das entspricht etwa der Einwohnerzahl Grossbritanniens. Durch den Klimawandel k?nnte diese Zahl bis 2050 auf 94 Millionen pro Jahr ansteigen - 40 Prozent mehr als heute.
- Einen gewissen Schutz vor Zyklonen bieten natürliche Lebensr?ume wie Riffe oder Mangrovenw?lder. Einer von fünf bedrohten Menschen – 14 Millionen pro Jahr – haben bisher davon profitiert.
- Die Schutzwirkung ist gesunken. Heute sind pro Jahr 1,4 Millionen mehr Küstenbewohner:innen ungeschützt als vor 30 Jahren. Grund dafür ist der Verlust der natürlichen Barrieren.
Der Zyklon Idai war einer der schlimmsten tropischen Wirbelstürme, die Afrika und die südliche Halbkugel je heimgesucht haben. Der langanhaltende Sturm verursachte 2019 in Mosambik, Simbabwe und Malawi katastrophale Sch?den und eine humanit?re Krise. Mehr als 1500 Menschen kamen ums Leben. Viele weitere wurden vermisst. Im Zuge des Klimawandels werden solche Wirbelstürme (wahrscheinlich) st?rker. Wo jedoch früher, derzeit und künftig Küstenbewohner:innen in Bezug zu den schützenden ?kosystemen gelebt haben respektive leben werden, ist nicht bekannt.
In einer Modellstudie sind ETH-Forschende deshalb folgenden Fragen nachgegangen: Wie viele Menschen sind aktuell von tropischen Wirbelstürmen bedroht und wie viele profitieren von der Schutzwirkung natürlicher Küstenlebensr?ume wie Mangrovenw?lder, Riffe oder Salzmarschen? Wie viele Menschen werden künftig mit steigenden Temperaturen gef?hrdet sein und wie viele k?nnten durch Renaturierung geschützt werden?
Gem?ss den Modellrechnungen, die soeben in der Fachzeitschrift Environmental Research Letters erschienen sind, sind derzeit weltweit im Jahresdurchschnitt 67 Millionen Menschen, die an flachen Küsten leben, von Wirbelstürmen bedroht, am meisten – in absoluten Zahlen – in China, wo 40 Millionen Menschen j?hrlich gef?hrdet sind. Auch in Japan und auf den Philippinen sind viele Küstenbewohner:innen durch Zyklone in Gefahr: Elf respektive neun Millionen Menschen sind pro Jahr bedroht.
Schreitet der Klimawandel fort, so k?nnte sich die Zahl der von Zyklonen bedrohten Küstenbewohnerinnen und -bewohner in allen Regionen bis 2050 um 40 Prozent auf knapp 94 Millionen im Jahresdurchschnitt erh?hen. Das sind in absoluten Zahlen j?hrlich 27,3 Millionen Menschen mehr als heute. Das Bev?lkerungswachstum und der Anstieg des Meeresspiegels sind in diesen Berechnungen nicht berücksichtigt.
Natürlicher Schutz br?ckelt weg
Natürliche Küstenlebensr?ume wie Mangrovenw?lder, Riffe, Seegraswiesen oder Salzmarschen k?nnen Menschen, die in ihrer N?he siedeln, vor tropischen Wirbelstürmen schützen, indem sie Flutwellen brechen, Windb?en bremsen oder wie ein Rückhaltebecken Hochwasser aufnehmen.
Von diesem Schutz profitieren derzeit 21 Prozent der Menschen, die dem Risiko von Zyklonen ausgesetzt sind. Der Schutz ist allerdings regional sehr verschieden: W?hrend auf den Virgin Islands in der Karibik 92 Prozent der in der Gefahrenzone lebenden Menschen von natürlichen Küsten geschützt werden, sind es in Vietnam nur gerade 11 Prozent.
Zudem hat die Schutzwirkung in den vergangenen 30 Jahren abgenommen. Heute sind pro Jahr 1,4 Millionen mehr Menschen von Wirbelstürmen bedroht als 1992. Dies ist vor allem auf die Zerst?rung von ?kosystemen zurückzuführen. Die Forschenden rechnen damit, dass der Schutz durch natürliche Küsten bis 2050 weiter abnimmt.
?Gleichzeitig ist die Bev?lkerungsdichte in den letzten Jahrzehnten an Küsten gestiegen, und das verst?rkt an den Abschnitten, wo keine schützenden ?kosysteme mehr vorhanden sind?, betont Erstautorin Sarah Hülsen. ?Das ist keine gute Entwicklung.?
Der Schutz l?sst zudem auch nach, weil der Klimawandel voraussichtlich das Auftreten der Zyklone ver?ndern wird. Sie werden in der Zukunft an Orten auftreten, wo vor wenigen Jahren nicht mit ihnen zu rechnen war.
Schutz des Schutzes gefordert
?Bestehende intakte Küstenlebensr?ume zu schützen, ist deshalb immens wichtig?, sagt Chahan M. Kropf, Mitautor der Studie. Ebenso wichtig ist es, verloren gegangene Habitate wiederaufzubauen, etwa durch das Pflanzen von Mangroven.
Besonders Inselstaaten in der Karibik wie die Bermudas, Trinidad und Tobago oder in der pazifischen Region wie Papua-Neuguinea haben ein grosses Potenzial, die Bev?lkerung durch renaturierte Mangrovenw?lder besser vor Wirbelstürmen zu schützen. Auf den Bermudas würden zwei Fünftel der durch Wirbelstürme gef?hrdeten Menschen von solchen Massnahmen profitieren.
?Die Schutzleistung durch wiederhergestellte Lebensr?ume ist jedoch oft weniger gross ist als die der natürlichen Lebensr?ume. Der Schutz hat deshalb Vorrang vor der Wiederherstellung?, betont Kropf.
Die Studie ist eine Grundlage, um Wiederherstellungsmassnahmen und Anpassungen an den Klimawandel zu planen, in dem sie Regionen hervorhebt, die vor dem Hintergrund des Klimawandels für die Schutzleistung von Küsten zentral sind. In dieser Studie haben die ETH-Forschenden mit mehreren Universit?ten sowie Wissenschaftler:innen von internationalen Naturschutzorganisationen wie The Nature Conservancy und dem World Wildlife Fund zusammengearbeitet.
Literaturhinweis
Hülsen S, McDonald RI, Chaplin-Kramer R, Bresch DN, et al. Global protection from tropical cyclones by coastal ecosystems - past, present, and under climate change. Env Res Letters, 2023 doi: externe Seite 10.1088/1748-9326/ad00cd