Die Struktur von Vogelfedern nachahmen
Vorbild Natur: Forschende haben ein neues Material entwickelt, das die Struktur der blauen Federn unter anderem eines nordamerikanischen Singvogels nachahmt – und weitere erstaunliche Vorzüge hat.
- Vorlesen
- Anzahl der Kommentare
In Kürze
- Forschende der ETH Zürich haben ein Material erzeugt, das von einem Netz aus mikrometergrossen Kan?len durchzogen ist, gleich wie die Mikrostruktur einer Vogelfeder.
- Dazu entwickelten sie eine neue Methode, die auf der Phasentrennung einer Polymermatrix und einer ?lhaltigen L?sung beruht.
- Das neue Material k?nnte in Batterien oder bei der Filtration eingesetzt werden.
Der Rotkehl-Hüttens?nger ist ein besonderer Vogel. Das Blau seines Gefieders ist einzigartig. Diese Farbe beruht allerdings nicht auf Pigmenten, sondern auf der speziellen Federstruktur. Unter dem Mikroskop betrachtet sind die Federn durchzogen von einem Netzwerk aus Kan?len. Diese haben einen Durchmesser von nur wenigen hundert Nanometern. Zur Einordnung: Ein Nanometer ist der Milliardste Teil eines Meters. Das Blau des Hüttens?ngers ist auch ETH-Forschenden aus dem Labor für weiche und lebende Materialien vom ehemaligen ETH-Professor Eric Dufresne aufgefallen. So sehr, dass sie es sich zum Ziel gesetzt haben, dieses Material zu imitieren. Mit einer neuen Methode haben sie es nun geschafft: Sie haben ein Material entwickelt, das die Struktur der Hüttens?nger-Federn aufweist und obendrein durch seine Nanonetzwerke Potenzial für praktische Anwendungen aufweist.
Von der Natur abgeschaut
Als Ausgangsmaterial verwendeten die Forschenden einen Polymergummi, der sich strecken und verformen l?sst und durchscheinend ist. Diesen Gummi legten die Wissenschaftler:innen in eine ?lhaltige L?sung und liessen ihn mehrere Tage in einem Ofen bei Temperaturen von 60 Grad Celsius anschwellen. Danach kühlten sie das System herunter und nahmen den Gummi aus der ?lhaltigen L?sung.
Unter dem Mikroskop konnten die Forschenden festhalten, wie sich die Nanostruktur des Gummis w?hrend der Prozedur ver?ndert hatte – und erkannten ?hnliche Netzwerkstrukturen wie jene, die der Hüttens?nger-Feder ihre blaue Farbe verleihen. Der Hauptunterschied ist die Dicke der gebildeten Kan?le, die bei den Vogelfedern ungef?hr 200 Nanometer und beim Gummi 800 Nanometer betr?gt.
Das Prinzip, das der Netzwerkbildung zugrunde liegt, ist die Phasentrennung. Dieses Ph?nomen kann man in der Küche bei einer Salatsauce aus ?l und Essig beobachten. Die beiden Flüssigkeiten zu mischen ist nicht einfach und gelingt am besten durch kr?ftiges Schütteln. H?rt man mit dem Schütteln auf, trennen sich die Flüssigkeiten wieder. Mischen kann man sie aber auch, indem man die Phasen erw?rmt und – um sie zu trennen – wieder abkühlt. Genau dieses Prinzip haben die Forschenden genutzt, um den Polymergummi und die ?lhaltige Flüssigkeit zu vermischen. Dies führte zur Bildung eines ganzen mikroskopischen Netzwerks von Kan?len im Inneren des Gummis.
Erstautorin Carla Fernández Rico sagt: ?Wir k?nnen die Bedingungen so kontrollieren und bestimmen, dass sich bei der Phasentrennung Kan?le bilden. Wir haben es geschafft, den Prozess anzuhalten, bevor die beiden Phasen wieder komplett miteinander verschmelzen.? Diese kanalartige Struktur ?hnelt sehr stark den Strukturen der Vogelfeder.
Der Vorteil dieser neuen Methode ist, dass das neue Material mehrere Zentimeter gross und weiter skalierbar ist. ?Im Prinzip kann man ein beliebig grosses Stück gummiartigen Plastik verwenden. Allerdings braucht es dann auch entsprechend grosse Beh?lter und ?fen?, sagt Fernández Rico.
Die neue Art der Materialverarbeitungsmethode weckt grosses Interesse in der Physikgemeinde. ?Wir haben ein einfaches System mit nur zwei Bestandteilen, aber die Struktur, die wir erhalten, ist sehr komplex und wird durch die Eigenschaften der Bestandteile gesteuert?, sagt Fernández Rico. ?Mehrere Gruppen haben uns kontaktiert und empfehlen den Einsatz von Modellen, um die grundlegenden physikalischen Prinzipien dieses neuen Prozesses zu verstehen und seine Ergebnisse vorherzusagen.?
L?ngeres Batterieleben und bessere Filtration
Das neue Material birgt Potenzial für technische und nachhaltige Anwendungen. Ein m?gliches Anwendungsgebiet sind Batterien. In Batterien bewegen sich die Ionen normalerweise zwischen den Elektroden durch eine Flüssigkeit, den sogenannten Elektrolyten. Einer der Hauptgründe, warum Batterien im Laufe der Zeit an Ladung verlieren oder sogar kaputt gehen, ist, dass die Ionen mit den flüssigen Elektrolyten reagieren, wodurch die beiden Elektroden in Kontakt kommen und die Batterie besch?digen. Flüssige Elektrolyte k?nnten durch feste Elektrolyte mit einer Netzwerkstruktur aus miteinander verbundenen Kan?len ersetzt werden – so wie es die ETH-Forschenden gezeigt haben. Dadurch würde der physische Kontakt zwischen den Elektroden vermieden und gleichzeitig ein guter Ionentransport durch die Batterie gew?hrleistet.
Wasserfilter k?nnten eine weitere Anwendung sein. Gute Transporteigenschaften über das Kanalnetzwerk und eine grosse Oberfl?che sind hier von Vorteil. Bei den kanalartigen Strukturen ist das Verh?ltnis der Oberfl?che zum Volumen enorm. Dies erm?glicht die effiziente Entfernung von Verunreinigungen wie Bakterien oder Schmutzpartikeln aus dem Wasser.
Die Forschung in Richtung Nachhaltigkeit weiterentwickeln
?Allerdings ist das Produkt noch lange nicht marktreif?, sagt Fernández Rico, ?Der verwendete Gummi ist günstig und einfach erh?ltlich. Die ?lige L?sung ist hingegen sehr teuer. Hier braucht es eine billigere Alternative.?
Fernández Rico m?chte ihre Forschung in Richtung Nachhaltigkeit weiterentwickeln: ?Viele natürliche Polymere wie Zellulose oder Chitin haben eine ?hnliche Struktur wie der Gummi, den wir bei unserer Arbeit verwendet haben.? Die Arbeit mit einem natürlichen Material wie Zellulose ist zudem umweltfreundlicher als der mit aus Erd?l gewonnene Silikongummi. Die Postdoktorandin m?chte daher herausfinden, wie solche Materialien funktioneller gemacht werden k?nnen, um deren Potenzial auszusch?pfen.
Literaturhinweis
Fernández-Rico, C., Schreiber, S., Oudich, H. et al.: Elastic microphase separation produces robust bicontinuous materials, Nature Materials, 26. Oktober 2023, DOI: externe Seite 10.1038/s41563-023-01703-0