Warum wir mehr über den individuellen CO2-Fussabdruck wissen sollten
Um klimapolitische Massnahmen gerecht und mehrheitsf?hig zu gestalten, sind Informationen über die Klimabelastung verschiedener Bev?lkerungsgruppen unabdingbar, meint Thomas Bernauer.
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Die meisten L?nder wie auch die Schweiz erheben ihre Treibhausgasemissionen nach Quellen und Sektoren. Absolut machen Schweizer Treibhausgase weniger als ein Prozent der weltweiten Emissionen aus. Mit durchschnittlich 12 Tonnen CO2-?quivalenten pro Kopf und Jahr belasten Schweizerinnen und Schweizer das Klima etwa doppelt so stark wie im globalen Mittel, wenn wir die Emission unserer Importgüter mitberücksichtigen. Dieser Durchschnittswert ist für internationale Vergleiche interessant, blendet aber Unterschiede zwischen einzelnen Personen oder Personengruppen innerhalb der Schweiz aus.
Solche Unterschiede sind jedoch aus politischer Sicht wichtig und auch erkl?rungsbedürftig. Denn konkrete klimapolitische Massnahmen wie etwa ein Verbot von ?lheizungen oder eine CO2-Steuer auf fossile Brenn- und Treibstoffe k?nnen sich unterschiedlich auf einzelne Personen auswirken, je nachdem wie stark sie das Klima heute belasten. So scheiterte das von Parlament und Bundesrat verabschiedete CO2-Gesetz 2021 mindestens teilweise an der Opposition der l?ndlichen Bev?lkerung, die hohe Kosten befürchtete.
Um Politikmassnahmen so zu gestalten, dass sie diesen Unterschieden Rechnung tragen und letztlich politisch mehrheitsf?hig sind, erachte ich verl?ssliche Sch?tzungen der Emissionen verschiedener sozialer Schichten und Bev?lkerungsgruppen als unabdingbar. In den meisten L?ndern sind solche Daten jedoch nicht verfügbar.
Eine Frage des Einkommens und anderer Faktoren
Im Rahmen des Schweizer Umweltpanels (siehe Kasten) hat meine Forschungsgruppe den individuellen Klimafussabdruck in einer repr?sentativen Stichprobe von rund 7500 Personen in der Schweiz mittels Befragung und CO2-Rechner gesch?tzt und Unterschiede in den Bereichen Mobilit?t, Ern?hrung, Wohnen und Konsum zu beschreiben und erkl?ren versucht.1, 2
Wie vermutet sind die Unterschiede beim CO2-Fussabdruck gross. Sie reichen von knapp zwei bis zu mehreren Dutzend Tonnen pro Kopf und Jahr. Die weitaus st?rkste Ursache ist das Einkommen: Gut verdienende Personen emittieren viel mehr Treibhausgase als solche mit mittleren bis tiefen Einkommen. Das Mobilit?tsverhalten, und insbesondere Flugreisen, sind der st?rkste Treiber.
Andere Faktoren spielen auch eine Rolle, jedoch in geringerem Ausmass. Interessanterweise w?chst der CO2-Ausstoss mit dem Einkommen weniger, wenn Befragte sehr umweltbewusst sind. Frauen und ?ltere Personen verursachen etwas weniger Emissionen, Personen mit h?herer Ausbildung etwas mehr. Weiter bemerkenswert: Die politische Selbsteinstufung auf einer Links-Rechts Skala spielt keine Rolle. Bürgerliche W?hler:innen emittieren also nicht mehr als die Mitte-bis-Links W?hlerschaft.
?Die wichtigste Herausforderung für die Klimapolitik liegt darin, Massnahmen so zu gestalten, dass die Kosten und Nutzen in etwa gleichm?ssig über alle Regionen und fair über die Bev?lkerungsgruppen verteilt sind.?Thomas Bernauer
Unsere Erkenntnisse stellen mindestens zwei verbreitete Annahmen in Frage, die in den Debatten zu den beiden Abstimmungen über das CO2-Gesetz (2021) und das Klimaschutz- und Innovationsgesetz (2023) prominent vertreten wurden.
Kein Stadt-Land-Graben und Autofahren für alle
Erstens wird die st?rkere Skepsis der l?ndlichen Bev?lkerung gegenüber den beiden Klima-Vorlagen oft als Ausdruck eines fundamentalen klimapolitischen Stadt-Land-Grabens gedeutet. Ich halte diese Annahme für fraglich.
Denn die für den Klimaschutz n?tigen Verhaltens?nderungen sind durchs Band in allen Regionen der Schweiz erheblich. Unsere Daten zeigen zum Beispiel, dass, im Gegensatz zum g?ngigen Stereotyp, die st?dtische Bev?lkerung nicht weniger wie oft angenommen, sondern sogar etwas mehr CO2 verursacht als die Landbev?lkerung: St?dter fahren zwar mehr Velo und weniger Auto, sie fliegen aber mehr, w?hrend Menschen auf dem Land zwar mehr Auto fahren, aber weniger fliegen.
Der Wohnort als solches hat also kaum einen Einfluss auf den CO2-Fussabdruck und die Kostenfolgen der Klimapolitik. Die teilweise st?rkere Opposition auf dem Land beruht meiner Ansicht nach eher auf ideologisch verzerrten Wahrnehmungen der Klimaschutzkosten und nicht darauf, dass die Landbev?lkerung weniger umweltfreundlich denkt und handelt (siehe dazu auch diesen Blogbeitrag).
Zweitens heisst es oft, dass Klimapolitik ?rmeren Leuten mehr schadet. Das suggerierte auch die gegnerische Plakatkampagne ?Autofahren nur für Reiche?? beim Referendum von 2021. Diese Annahme passt nur schwerlich zu unserem Befund, dass Leute mit hohen Einkommen einen viel gr?sseren CO2-Fussabdruck aufweisen und damit auch viel st?rker von der Klimapolitik betroffen sind.
Schweizer Umweltpanel
Seit 2018 befragen Forschende der ETH Zürich zusammen mit dem Bundesamt für Umwelt (BAFU) zwei Mal pro Jahr mehrere Tausend zuf?llig ausgew?hlte Personen in der Schweiz zu ihren Einstellungen zu umweltpolitischen Themen und ihrem Umweltverhalten. In der zehnten Welle wurden Daten zum individuellen CO2-Fussabdruck erhoben: Hier geht’s zum Bericht. Weitere Informationen finden sich beim Schweizer Umweltpanel.
Unsere Daten zeigen diesbezüglich, dass ein CO2-intensiver Lebensstil nicht unbedingt zu einer st?rkeren Ablehnung von klimapolitischen Massnahmen führt, und dass gut Verdienende und Gebildete tendenziell positiver gegenüber Klimaschutz eingestellt sind. Bei ?rmeren Personen scheint das Kostenargument hingegen zu verfangen. Das k?nnte unter anderem daran liegen, dass sie ihren eigenen Klimafussabdruck h?ufig übersch?tzen, w?hrend Besserverdienende ihren Klimafussabdruck oft untersch?tzen.
Fest steht: Die wichtigste Herausforderung für die Klimapolitik liegt darin, Massnahmen so zu gestalten, dass die Kosten und Nutzen in etwa gleichm?ssig über alle Regionen und fair über die Bev?lkerungsgruppen verteilt sind. Ein tieferes Verst?ndnis der Emissionen verschiedener sozialer Schichten kann helfen, diejenigen Gruppen genauer zu identifizieren, die tats?chlich h?here Kosten tragen. Das wiederum erlaubt es, den Betroffenen gezielt unter die Arme zu greifen, damit sie die Klimapolitik mittragen.
1 Bericht: Grosse Unterschiede beim individuellen CO2-Fussabdruck: Ursachen und Konsequenzen. Bericht zu Welle 10, Schweizer Umweltpanel. ETH Zürich Research Collection
2 Zur Erhebung: Der Mittelwert des CO2-Fussabdrucks in unserer Stichprobe entspricht mit 12 Tonnen pro Person und Jahr praktisch genau dem Wert aus dem Treibhausgasinventar des Bundes – ein Hinweis, dass unsere Methodik mittels Befragung und CO2-Rechner funktionierte.