Ein Virus, das Schläfer tötet
ETH-Forschende haben erstmals ein Virus entdeckt, das schlafende Bakterien abt?tet. Dieser seltene Fund k?nnte künftig helfen, Keime zu bek?mpfen, denen mit Antibiotika allein nicht beizukommen ist.
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In Kürze
- Aus verrottendem Pflanzenmaterial haben Forschende erstmals einen Bakteriophagen isoliert, der Bakterien im Ruhezustand angreifen und abt?ten kann.
- Wie der Phage das schafft, ist noch unklar.
- Eine Kombinationstherapie mit diesem Phagen und einem Antibiotikum l?scht in Reinkultur und im Mausmodell viele ruhende Keime aus.
In der Natur leben die meisten Bakterien auf Sparflamme. Bei N?hrstoffmangel oder Stress fahren sie ihren Stoffwechsel kontrolliert herunter und gehen in einen Ruhezustand über. In diesem Stand-by-Modus laufen zwar noch bestimmte Stoffwechselprozesse ab, die es den Mikroben erm?glichen, ihre Umwelt wahrzunehmen und auf Reize zu reagieren, aber Wachstum und Teilung ruhen.
Dadurch sind Bakterien beispielsweise auch vor Antibiotika oder vor Viren geschützt, die ausschliesslich Bakterien befallen und abt?ten. Solche als Phagen bezeichnete Bakterien befallende Viren gelten als m?gliche Alternative zu Antibiotika, die aufgrund von Resistenzen nicht mehr (genügend) wirksam sind. Bis anhin war die Lehrmeinung, dass Phagen nur dann erfolgreich Bakterien infizieren, wenn diese am Wachsen sind.
Forschende der ETH Zürich haben sich gefragt, ob es nicht doch Bakteriophagen gibt, die sich im Lauf der Evolution auf Bakterien im Ruhezustand spezialisiert haben und sich gezielt gegen solche einsetzen liessen. 2018 starteten sie die Suche. Nun zeigen sie in einer neuen Publikation in der Fachzeitschrift Nature Communications, dass es solche Phagen tats?chlich gibt, auch wenn sie selten sind.
In Kompostprobe fündig geworden
Als ETH-Professor Alexander Harms und seine Mitarbeitenden 2018 am Biozentrum der Universit?t Basel mit dem Projekt begannen, gingen sie davon aus, dass sie im ersten Jahr rund 20 verschiedene Phagen isolieren k?nnen, die Bakterien im Ruhezustand angreifen. Dem war jedoch nicht so. Erst 2019 isolierte Harms Doktorand Enea Maffei aus verrottendem Pflanzenmaterial von einem Friedhof bei Riehen (BS) ein neues, bis dato unbekanntes Virus, welches schlafende Bakterien befallen und vernichten kann. ?Es ist dies der erste in der Literatur beschrieben Phage, der nachweislich Bakterien im Ruhezustand attackiert?, sagt Maffei. ?In Anbetracht der riesigen Zahl von Bakteriophagen war ich aber immer davon überzeugt, dass die Evolution auch solche hervorgebracht haben muss, die ruhende Bakterien knacken k?nnen?, erg?nzt Harms. Ihren neuen Phagen haben sie als Paride bezeichnet.
Aktiv gegen weit verbreitetes Bakterium
Das gefundene Virus bef?llt Pseudomonas aeruginosa, ein Bakterium, das in der Umwelt weit verbreitet ist. Verschiedene St?mme besiedeln Gew?sser, Pflanzen, das Erdreich – oder den Menschen. Im K?rper k?nnen gewisse St?mme schwere Erkrankungen der Atemwege wie Lungenentzündungen ausl?sen, die t?dlich verlaufen k?nnen.
Wie der neue Phage schlafende P. aeruginosa-Keime überrumpelt, ist den Forschern bis anhin allerdings nicht klar. Sie vermuten, dass das Virus einen spezifischen molekularen Schlüssel nutzt, um die Bakterien aufzuwecken und dann die Vervielf?ltigungsmaschinerie der gekaperten Zelle für die eigene Vermehrung auszunutzen. Wie genau das abl?uft, konnten die ETH-Forschenden bisher jedoch nicht kl?ren.
Die Phagenwissenschaftler:innen m?chten deshalb die Gene oder Moleküle, die dem Aufweckmechanismus zugrunde liegen, aufkl?ren. Darauf basierend k?nnten sie im Reagenzglas Substanzen entwickeln, die das Wecken übernehmen. Eine solche Substanz k?nnte dann mit einem geeigneten Antibiotikum, das allein die Bakterien nicht restlos eliminiert, kombiniert werden. ?Aber wir stehen erst am Anfang und wissen vor allem eines: dass wir fast nichts wissen?, sagt Harms.
Erste Tests zeigen Wirkung
Um die Wirksamkeit der Paride-Phage zu testen, haben die Forschenden ihn mit dem Antibiotikum Meropenem kombiniert. Dieses st?rt die Zellwandsynthese und greift also nur in zellul?re Prozesse ein, die die Phagen nicht sch?digt. Auf schlafende Bakterien hat dieses Antibiotikum null Wirkung, da diese keine neue Zellwand synthetisieren.
In den Kulturschalentests konnte das Virus 99 Prozent aller schlafenden Bakterien abt?ten, ein Prozent blieb erhalten. Erst die Kombination aus Paride-Phagen und Meropenem l?schte die Bakterienkultur ganz aus, obwohl letzteres allein keinen erkennbaren Effekt hatte.
In einem weiteren Versuch zusammen mit der ?rztin Nina Khanna des Unispitals Basel testete Maffei schliesslich diese Kombination auch an M?usen mit einer chronischen Infektion. Bei der Maus wirkte der Phage oder das Antibiotikum allein nicht besonders gut. Das Zusammenspiel von Phagen und Antibiotikum erwies sich allerdings auch im lebenden Organismus als ?usserst wirksam. ?Damit zeigen wir, dass unsere Entdeckung nicht einfach nur ein Labor-Artefakt ist, sondern auch klinisch relevant sein k?nnte?, sagt der Forscher.
Hoffnungsschimmer für immer?
?ber Phagentherapien diskutiert die Fachwelt schon seit mehreren Jahren intensiv. Forschende und Mediziner:innen hoffen, dass sie eines Tages wirkungslos gewordene Antibiotika durch Phagen ersetzen k?nnen. Breite Anwendungen fehlen aber weiterhin. Grund dafür sei, dass noch keine umfassenden Studien dazu durchgeführt wurden. ?Bisher gibt es fast nur Einzelfallstudien?, sagt Harms.
Studien von Forschenden des K?nigin Astrid-Krankenhauses in Brüssel zeigten, dass sich der Zustand bei drei Vierteln der Patienten besserte und bei 61 Prozent der behandelten Personen konnten die Bakterien eliminiert werden. Das heisst aber auch, dass bei vier von zehn Patienten die Keime mit Phagentherapien nicht entfernt werden konnten, obwohl die betreffenden Bakterien im Labor phagenempfindlich waren. ?Es k?nnte vielleicht daran liegen, dass gerade bei chronischen Infektionen viele Bakterien im K?rper im Ruhezustand sind und deshalb auch für Phagen nicht zu knacken sind?, sagt Harms. Schlafende Bakterien k?nnten zudem auch bei Infektionen mit nicht-resistenten St?mmen eine wichtige Rolle spielen.
?Bei Infektionen w?re es deshalb wichtig, den physiologischen Zustand der betreffenden Bakterien zu kennen. Dann k?nnte man gezielt die richtigen Phagen, kombiniert mit Antibiotika, einsetzen. Man muss allerdings genau wissen, wie ein Phage ein Bakterium angreift, um für eine jeweilige Behandlung die richtigen Phagen auszusuchen. Das passiert bisher nicht, und zwar deshalb, weil wir über die Phagen nach wie vor zu wenig wissen?, erkl?rt Harms.
Die Forscher werden deshalb in den kommenden Jahren genau erforschen, wie der neue Phage Bakterien aus dem Tiefschlaf holt, infiziert und für Antibiotika empf?nglich macht. Finanziert wird diese Arbeit durch einen SNF Starting Grant an Alexander Harms und den NCCR AntiResist.
Literaturhinweis
Maffei E, Woischnig AK, Burkolter MR et al. Phage Paride can kill dormant, antibiotic-tolerant cells of Pseudomonas aeruginosa by direct lytic replication. Nat Commun 15, 175 (2024). doi: externe Seite 10.1038/s41467-023-44157-3