Für einen gerechten Zugang zu urbanem Grün
Brachen, Gemeinschaftsg?rten und ?ffentliche P?rke sind eine Schlüsselressource für lebenswerte St?dte. In der Stadtplanung sollte es künftig eine Kernaufgabe sein, der Natur mehr Raum zu gew?hren und den Zugang zu Grünfl?chen gerecht zu verteilen, fordert Fritz Kleinschroth.
Auf dem Quai beim See flanieren, dem Fluss entlang durch die Stadt spazieren, Pingpong spielen im Park – es sind allt?gliche Selbstverst?ndlichkeiten wie diese, die unser Wohlbefinden steigern. Selbstverst?ndlichkeiten, mit denen wir unsere Freizeit gestalten – und dann war das Selbstverst?ndliche auf einmal nicht mehr m?glich.
Als im M?rz 2020 in der Schweiz und ganz Europa pandemiebedingt der Lockdown begann, schlossen in Zürich die zentralen P?rke und Promenaden an Seeufer und Fluss – und blieben für fast drei Monate komplett zu.
Als naturverbundener Stadtbewohner waren die Schliessungen für mich pers?nlich eine einschneidende Erfahrung. So machten uns die gesperrten Promenaden und P?rke schmerzhaft bewusst, wie wichtig urbane Grünfl?chen für unsere Lebensqualit?t sind, und wie sehr wir diese Orte für unsere k?rperliche und seelische Gesundheit brauchen.
Seither ist viel passiert. Und ich stelle erfreut fest: Es wird heute deutlich mehr über die Rolle von Natur im urbanen Raum geredet als vor der Pandemie. Corona ist gegangen – das Thema Stadtgrün ist geblieben, zumindest vorl?ufig. Das hat auch mit den Hitzewellen im Stadtsommer zu tun, wenn kühlende Vegetation Gold wert ist. In Zürich ist das Thema gerade jetzt hochaktuell, da gleich zwei relevante Initiativen zum Mythenpark und zum Seeufer anstehen.1
In der Wissenschaft haben Grünfl?chen einen veritablen Boom erlebt: Fast überall auf der Welt gingen Forschende der zentralen Frage nach, wie sich die Nutzung von urbanen Grünfl?chen w?hrend der Corona-Lockdowns ver?nderte.
Die Frage ist nicht trivial. Denn L?nder und St?dte haben ganz unterschiedlich auf die Pandemie reagiert. Die Schweiz war zum Beispiel für einen liberalen Lockdown bekannt, doch Zürich zeigte sich mit der vollst?ndigen Schliessung zentraler Parkanlagen (aber nicht aller) als eine der restriktiveren St?dte im n?rdlichen Europa.
Ich forsche selber zu den Wechselwirkungen zwischen urbaner Infrastruktur und ?kosystemen und sehe die Dynamik um Grünfl?chen seit Corona als Indikator dafür, was Menschen in St?dten wirklich wichtig ist. Gleich zu Begin der Pandemie zeigten wir, dass Google Anfragen nach Suchbegriffen wie ?Spazieren gehen? im deutsch- und englischsprachigen Raum kurzfristig markant zugenommen hat – ein Indiz, dass die Nachfrage nach ?ffentlichen P?rken w?hrend der Krise stark gestiegen ist.2
Auch aufgrund einiger anderer vielzitierter Studien aus Nordeuropa gingen bisher die meisten Forschenden (einschliesslich uns) implizit von einer generellen Zunahme der Nutzung von Grünfl?chen aus. Dies auch deshalb, weil das Bedürfnis nach Bewegung im Freien angesichts von Homeoffice, geschlossenen Schulen und Reiseverboten deutlich gr?sser war als vor der Pandemie.
Doch weltweit gab es noch hunderte andere Publikationen zu dem Thema – und die zeichnen ein widersprüchliches Bild: Da und dort nimmt die Nutzung zu, w?hrend sie anderswo abnimmt. Rasch war klar, dass es keinen klaren Konsens gibt.
Eine Frage des Wohlstands
Mit einem mehrsprachigen Team haben wir nun systematisch die Literatur zur ver?nderten Nutzung urbaner Grünfl?chen w?hrend und nach den Corona-Lockdowns von 2020 bis 2022 ausgewertet. Dabei haben wir aus über 3000 Beitr?gen 178 relevante Studien in 5 Sprachen und aus 60 L?ndern identifiziert und vergleichend analysiert. Unser Review ist im Magazin externe Seite Nature Cities erschienen und hat es auf die Titelseite geschafft.3
Unsere Analyse offenbart tats?chlich eine überraschend grosse Diskrepanz in der Nutzung von Grünfl?chen an verschiedenen Orten auf der Welt. Wir k?nnen diese Unterschiede im Wesentlichen durch finanziellen Wohlstand erkl?ren. Konkret zeigen wir, dass die Nutzung von Grünfl?chen in wohlhabenderen Regionen zunahm, w?hrend sie in ?rmeren Regionen deutlich abnahm.
Stadtgrün ist ungleich verteilt
Das heisst: In St?dten und Regionen haben nicht alle Menschen die gleichen M?glichkeiten, Grünfl?chen zu nutzen. Soziale Ungleichheit manifestierte sich also in zweierlei Hinsicht: Menschen, die entweder in wohlhabenden Gegenden leben oder im Besitz von privaten G?rten waren (oder beides), konnten die Einschr?nkungen durch vermehrte Aktivit?ten an der frischen Luft ausgleichen. Menschen ohne solche M?glichkeiten mussten jedoch auf Vorteile für Gesundheit und Wohlbefinden verzichten.
Das wirft die wichtig Frage auf, wie wir in der Stadtentwicklung eine gerechte Verteilung von Grünr?umen erreichen. Wollen wir vermeiden, dass sich immer mehr Menschen für das sichere Haus mit Garten in der Aglomeration entscheiden, dann müssen wir unsere St?dte grundlegend anders gestalten.
?Der Weg zu lebenswerten St?dten führt meines Erachtens weniger über klassische Parkanlagen als vielmehr über informelle oder ungeplante Grünfl?chen.?Fritz Kleinschroth
Gerade in weniger privilegierten Quartieren mit kleinen Wohnungen braucht es mehr Natur und Erhohlungsraum im Freien, zum Beispiel indem Brachfl?chen zug?nglich und nutzbar gemacht werden. Das übergeordnete Ziel der ?Inneren Verdichtung? in der Stadtplanung l?sst sich nur realisieren, wenn genügend Grünfl?chen und ein gerechter Zugang zu diesen gew?hrleistet wird. Wir sprechen daher auch von ?doppelter Innenentwicklung?, die baulich verdichtet und gleichzeitig die Qualit?t von Grünr?umen erh?ht.
Empfehlungen für lebenswerte St?dte
Unsere Erkenntnisse von Corona sprechen dafür, unsere St?dte grüner, gesünder und gerechter zu machen – und damit auch widerstandsf?higer gegenüber Klimawandel und Biodiversit?tsverlust. Wir wissen, dass die Menschen w?hrend der Pandemie W?lder, Gew?sserufer und andere naturbelassene Elemente vermehrt nutzten.
Zürcher P?rke in der Pandemie
Das Stadtzürcher Seeufer war von Arboretum bis Chinagarten fast komplett abgesperrt (im Bild: Arboretum, Im Frühling 2020) Die beliebte Sommerbadi am Katzensee war geschlossen (im Bild: Katzensee, Frühling 2020).
Aussergew?hnliche Massnahme: Den Lützelsee durfte man nur in einer Richtung umrunden (im Bild: Lützelsee, Frühling 2020) (Alle Bilder: Fritz Kleinschroth)
Der Weg zu lebenswerten St?dten führt meines Erachtens weniger über klassische Parkanlagen, sondern vielmehr über informelle oder ungeplante Grünfl?chen: Wir k?nnen ungenutzte Potenziale nutzen, etwa Brachen in Wohnungsn?he, aber auch renaturierte Fliessgew?sser oder begrünte Strassenr?nder st?rker zug?nglich machen. Einen Beitrag k?nnen auch Gemeinschaftsg?rten leisten, die seit einigen Jahren immer beliebter werden.4 Sie bieten mehr Menschen die M?glichkeit zum G?rtnern und brauchen weniger Platz als parzellierte Privatg?rten.
Die Stadt von morgen ist grün und gerecht
W?hrend Corona an sich nicht mehr von grossem Interesse für die ?ffentlichkeit sein mag, bleibt diese Zeit mir und vielen Menschen als Umbruch in Erinnerung.
Es ist klar geworden, dass St?dte mehr sind als Verkehrs- und Handelszentren grau-gebauter Infrastruktur, sondern dass sie auch Lebensr?ume für Mensch und Natur sind. Mehr grün-blaue Infrastruktur und ein sozial gerechter Zugang zu wohnungsnahen Erholungszonen sind elementare Voraussetzungen, um St?dte langfristig lebenswert und nachhaltig zu gestalten.
1 externe Seite Mythenpark und externe Seite Uferinitiative
2 Kleinschroth F, Kowarik I. (2020). COVID-19 crisis demonstrates the urgent need for urban greenspaces. Frontiers in Ecology and the Environment, 18(6), 318–319. externe Seite https://doi.org/https://doi.org/10.1002/fee.2230
3 Kleinschroth F et al. (2024). Global disparities in urban green space use during the COVID-19 pandemic from a systematic review. Nature Cities. externe Seite https://doi.org/10.1038/s44284-023-00020-6
4 Bieri D, Joshi N, Wende W, Kleinschroth F. (2024). Increasing demand for community gardening before, during and after the COVID-19 pandemic. Urban Forestry & Urban Greening, 92, 128206. externe Seite https://doi.org/10.1016/j.ufug.2024.128206