Künstliche Intelligenz und eine automatisierte Laborinfrastruktur beschleunigen die Entwicklung neuer chemischer Katalysatoren massiv. Forschende der ETH Zürich entwickelten auf diese Weise Katalysatoren für die effiziente und kostengünstige Synthese des Energietr?gers Methanol aus CO2.
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In Kürze
- Dank einer neuen automatisierten Forschungsinfrastruktur k?nnen Chemiker:innen an der ETH Zürich Katalysatoren schneller entwickeln. Künstliche Intelligenz hilft ihnen dabei.
- Als erstes Demonstrationsprojekt suchten die Forschenden nach besseren Katalysatoren zur Herstellung von Methanol.
- Die neue Technologieplattform wird die Entwicklung anderer Katalysatoren ebenfalls beschleunigen.
Katalysatoren sind die fleissigen Heinzelm?nnchen der Chemiker:innen. Sie beschleunigen Reaktionen und senken die Energie, die n?tig ist, damit eine Reaktion ablaufen kann. Je spezifischer und wirksamer ein Katalysator ist, desto effektiver werden unerwünschte Nebenreaktionen unterdrückt. In der Natur sind es Enzyme, welche aus den schier unendlichen Reaktionsm?glichkeiten der Chemikaliensuppe in den Zellen ganz gezielt die ben?tigten Stoffwechselvorg?nge heraus verst?rken. In technischen Anlagen werden meist Metallkatalysatoren eingesetzt, um die Produktausbeute zu erh?hen.
Forschende der Technologieplattform Swiss Cat+ an der ETH Zürich unter der Leitung von Paco Laveille haben jetzt eine durchg?ngig digitalisierte und automatisierte Methode entwickelt, mit der sie massiv schneller als bisher neue und bessere Metallkatalysatoren finden k?nnen. Sie kombinierten dafür künstliche Intelligenz (KI) zur Berechnung von erfolgsversprechenden Katalysatorzusammensetzungen mit einem automatisierten Synthese- und Testlabor.
?Der Zeitgewinn durch die neue Methode ist enorm.?Paco Laveille
Mit dieser Infrastruktur gelang es ihnen, innerhalb von sechs Wochen rund 150 Katalysatoren für die Herstellung des Energietr?gers Methanol aus CO2 zu entwickeln. Die neuen Katalysatoren sind kostengünstig und zeigen hohe Umwandlungsraten mit einem geringen Anteil an Nebenprodukten. ?Der Zeitgewinn durch die neue Methode ist enorm?, bilanziert Laveille. ?Mit einem traditionellen Vorgehen h?tten unsere Experimente viele Jahre gedauert.?
Methanol gilt als eines der Schlüsselelemente für eine nachhaltige Kohlenwasserstoffwirtschaft. Die chemisch eng mit dem Trinkalkohol Ethanol verwandte Substanz kann sowohl als Brennstoff als auch als Grundstoff für die Herstellung von organischen Verbindungen wie Medikamenten, Kunststoffen oder Farben genutzt werden. Dabei l?sst sich die Flüssigkeit im Gegensatz zu den beiden ebenfalls als Energietr?ger nutzbaren Gasen Wasserstoff und Methan viel einfacher transportieren und lagern. Zudem k?nnen die Versorgunginfrastruktur und die Motoren der bisherigen Benzintechnologie mit geringen Anpassungen mit Methanol weiterverwendet werden.
M?glichkeiten durch eine kluge Vorauswahl eingrenzen
Das grosse Problem bei der Suche nach optimalen Katalysatoren für die Herstellung von Methanol: Theoretisch gibt es praktisch unendlich viele M?glichkeiten, Atome zu einem Katalysator zu verbinden. ?Der chemische Raum, in dem wir nach Katalysatoren suchen, umfasst etwa 1020 M?glichkeiten (hundert Milliarden Milliarden). Wir müssen also buchst?blich die Nadel im chemischen Heuhaufen finden?, erkl?rt Christophe Copéret, Professor am Laboratorium für Anorganische Chemie der ETH Zürich und Mitinitiator des Swiss-Cat+-Projekts.
Um den riesigen Raum der M?glichkeiten einzugrenzen, trafen die Forschenden aufgrund von Erfahrungswerten und auch von wirtschaftlichen Vorgaben eine Vorauswahl. Ein grosstechnisch einsetzbarer Katalysator muss n?mlich nicht nur wirksam, sondern auch günstig sein. Die Hauptkatalysatorwirkstoffe wurden deshalb auf die drei vergleichsweise billigen Metalle Eisen, Kupfer und Kobalt beschr?nkt.
Zu diesen Hauptmetallen kamen drei Elemente, die in Katalysatoren klassischerweise als sogenannte Dotierung in kleinen Mengen zugemischt werden, sowie Kalium, das ebenfalls in vielen Katalysatoren enthalten ist. Bei den Tr?germaterialen beschr?nkten sich die Forschenden auf vier typische Metalloxide. Multipliziert mit unterschiedlichen Mischverh?ltnissen ergaben sich so immer noch 20 Millionen Kombinationsm?glichkeiten.
Mit KI-gestützter Statistik und in iterativen Schritten
Nun kam ein KI-Algorithmus ins Spiel, der mittels einer sogenannten bayesianischen Optimierung m?glichst gute L?sungen sucht. Diese besondere Form der Statistik eignet sich vor allem dann, wenn nur wenige Daten zur Verfügung stehen. Dabei wird die Wahrscheinlichkeit nicht wie in der klassischen Statistik aus der relativen H?ufigkeit abgeleitet, die aus vielen Experimenten berechnet wird. Es wird bei der Berechnung vielmehr von der Wahrscheinlichkeit ausgegangen, die aufgrund des bisherigen Kenntnisstandes erwartet werden kann.
In einer ersten Runde hat der Algorithmus anhand der zur Einschr?nkung der Komplexit?t getroffenen Vorgaben 24 Katalysatorzusammensetzungen zuf?llig ausgew?hlt. Diese wurden direkt in der automatisierten Laborinfrastruktur von Swiss Cat+ hergestellt und anschliessend getestet.
Schnell viele Resultate mit hoher Verl?sslichkeit
Die Ergebnisse dieser ersten Auswahl dienten den Forschenden als Ausgangspunkt für eine KI-Prognose. Und auch deren vorhergesagten Zusammensetzungen wurden wieder automatisch synthetisiert und getestet. Insgesamt sechs derartige Runden haben die Wissenschaftler:innen ihr integriertes System in diesem ersten Demonstrationsversuch absolvieren lassen.
Dass sich die Ergebnisse zwischen den Runden nicht linear, sondern sprunghaft verbesserten, war durchaus beabsichtigt. Der Algorithmus beinhaltet n?mlich neben der Optimierung der Ergebnisse der Vorrunden auch eine erkundende Komponente, über die in jeder Runde v?llig neue Versionen von Zusammensetzungen eingespeist wurden. So verhinderten die Forschenden, dass die Berechnungen in einer engen Optimierungssackgasse des grossen M?glichkeitsraums stecken blieben.
Daten jenseits der Erd?lchemie generieren
Für die Forschenden ging es in diesem ersten Projekt allerdings weniger darum, bereits den bestm?glichen Katalysator für die Methanolsynthese zu finden. ?Das Wissen über Katalysatoren zur Herstellung von Brennstoffen beruht heute noch gr?sstenteils auf dem Knowhow aus der Erd?lindustrie?, sagt ETH-Professor Copéret. ?Verl?ssliche Daten zu den Reaktionen der nachhaltigen Energiewirtschaft fehlen noch weitgehend.? Sie sind aber n?tig, damit KI-Algorithmen und menschliche Forscherintelligenz im riesigen Raum der chemischen M?glichkeiten gezielter suchen k?nnen. ?Genau diese qualitativ hochstehenden und reproduzierbaren Daten liefert jetzt unser KI-gestütztes Roboterlabor. Sie werden die ganze Katalysatorforschung ein gutes Stück voranbringen?, erg?nzt Laveille.
Komplexe Technologie-Infrastruktur
?Mit dem Swiss-Cat+-Hub steht uns eine komplexe Forschungsinfrastruktur zur Verfügung, die wir mit den Gruppen in unseren Instituten nicht selbst betreiben k?nnten?, erkl?rt Professor Christophe Copéret vom Departement für Chemie und angewandte Biowissenschaften der ETH Zürich. Die Forschung an den Hochschulen ist n?mlich stark von Doktorierenden abh?ngig, die nur für wenige Jahre bleiben. Mit jedem Weggang eines Doktoranden geht ein Grossteil des von ihm aufgebauten Knowhows verloren. Swiss Cat+ hingegen ist eine Technologieplattform, die mit festangestellten Experten:innen arbeiten soll, welche das Knowhow laufend ausbauen und die Infrastruktur mit den neuesten Technologien weiterentwickeln k?nnen.
Der 2019 von Copéret und von Nicolai Kramer, Professor an der EPFL, initiierte Swiss-Cat+-Hub stellt heute an zwei Standorten in Zürich und Lausanne Forschenden aus Hochschulen und Industrie hochmoderne Infrastrukturen zur Verfügung. Diese erm?glichen es, Katalysatoren mit Hilfe von KI-Datenanalyse-Werkzeugen zu entwerfen und in automatisierten Hochdurchsatz-Labors auch gleich herzustellen sowie deren Wirksamkeit zu überprüfen. Inzwischen nutzen bereits Dutzende von ETH-Projekten die beiden Plattformen.
Literaturhinweise
Ramirez A, Lam E, Pacheco Gutierrez D, Hou Y, Tribukait H, Roch LM, Copéret C, Laveille P: Accelerated Exploration of Heterogenous CO2 Hydrogenation Catalyts by Bayesian-optimized High-throughput and Automated Experimentation. Chem Catalysis, 18. Januar 2024, doi: externe Seite 10.1016/j.checat.2023.100888
Laveille P, Miéville P, Chatterjee S, Clerc E, Cousty JC, de Nanteuil F, Lam E, Mariano E, Ramirez A, Randrianarisoa U, Villat K, Copéret C, Cramer N: Swiss Cat+, a Data-driven Infrastructure for Accelerated Catalysts Discovery and Optimization. Chimia 2023, 77: 154, doi: externe Seite 10.2533/chimia.2023.154