Wie viel Stier steckt im Mann?
ETH-Forschende finden in den Geschlechtsorganen von Stieren Gene, welche die Fruchtbarkeit beeinflussen. Die Erkenntnisse lassen sich auf den Menschen übertragen, denn diese Gene sind auch bei M?nnern vorhanden.
- Vorlesen
- Anzahl der Kommentare
In Kürze
- Forscher identifizieren genetische Varianten, die bei Stieren für mangelnde Fruchtbarkeit verantwortlich sind.
- Die aufgespürten Gene sind vor allem im Hoden und Nebenhoden aktiv.
- Weil es sich um evolution?r hoch konservierte Gene handelt, sind die Studienresultate auf den Menschen übertragbar.
Unfruchtbarkeit ist ein verbreitetes Problem: weltweit geht bei jedem achten Paar der Kinderwunsch nicht – oder nicht innerhalb eines Jahres – in Erfüllung. In der H?lfte der F?lle liegt es an der schwachen oder mangelnden Fruchtbarkeit des Mannes. Die genetischen Ursachen der Fruchtbarkeitsst?rungen bei Menschen aufzudecken, ist allerdings schwierig. Der Forschung fehlen Daten über die Samenqualit?t sowie über molekulare Marker von m?glichst grossen Kohorten gesunder M?nner im fortpflanzungsf?higen Alter.
Der Weg zu einem besseren Verst?ndnis dafür, welche Gene und Mechanismen die Fruchtbarkeit von M?nnern steuern, führt deshalb über geeignete Versuchstiere - in diesem Fall: Stiere.
So hat ein Forschungsteam um den ETH-Professor für Tiergenomik Hubert Pausch anhand von jungen Bullen detailliert untersucht, welche Gene in unterschiedlichen Geweben der Geschlechtsorgane der Tiere aktiv sind und wie dies deren Fruchtbarkeit beeinflusst. Ihre Studie ist soeben in der Fachzeitschrift Nature Communications erschienen.
Für ihre Untersuchung verwendeten die Forschenden des Instituts für Agrarwissenschaften Proben von Hoden, Nebenhoden und Samenleiter aus 118 frisch geschlachteten Stieren im fortpflanzungsf?higen Alter. Die Tiere wurden nicht eigens für die Forschung get?tet.
In diesen Biopsien bestimmten die Wissenschaftler:innen unter anderem das sogenannte Transkriptom, also alle in den jeweiligen Geweben vorliegenden Boten-RNAs, die die Gen-Transkripte darstellen. Dadurch konnten die Forschenden herausfinden, welche Gene in welchen der drei Geweben aktiv sind und erstellten darauf basierend von den Stieren entsprechende Transkriptom-Profile. Diese verglichen sie dann mit solchen von Menschen und M?usen.
Viele Gene mischen mit
Dabei entdeckten die Forscherinnen und Forscher eine Vielzahl an Genen respektive deren Varianten, die mit der Fruchtbarkeit der Stiere in Verbindung stehen. Die meisten der gefundenen Gene dürften auch für die m?nnliche Fruchtbarkeit beim Menschen relevant sein. Die Regulation der m?nnlichen Fruchtbarkeit sei evolution?r ?hoch konserviert?, erkl?rt Xena Mapel, die Erstautorin der Studie. Das heisst, die Funktion der dafür zust?ndigen Gene ist im Laufe der S?ugetierevolution erhalten geblieben.
?Diese Gene stehen in engem Zusammenhang mit mangelhafter Fruchtbarkeit bei den Stieren?, sagt Mapel. ?Solche sogenannt subfertilen Bullen bleiben mit normalen Screenings des Ejakulats unentdeckt. Unsere neuen Marker-Gene decken diese jedoch zuverl?ssig auf.?
Ungew?hnliches Modelltier
Rinder sind zwar ungew?hnliche Modelltiere, eignen sich aber ideal für solche Studien. Einerseits sind bei Zuchtstieren die Gene bekannt, andererseits gewinnen Zuchtorganisationen von den Tieren sowieso zweimal pro Woche Ejakulat. Dieses wird jeweils genau untersucht, ehe es verdünnt und hunderte Kühe damit künstlich besamt werden – oder eben nicht, wenn die Qualit?t des Ejakulats mangelhaft ist.
Die hier untersuchte Stierkohorte hat zudem den grossen Vorteil, dass alle Tiere im gleichen Alterssegment sind. ?Die Kohorte ist sehr homogen. Müssten wir eine vergleichbare Studie an M?nnern durchführen, w?ren wir auf freiwillige Spender angewiesen, die wom?glich aus allen m?glichen Altersgruppen stammen. Dadurch w?ren die Daten nur sehr schwer vergleichbar.?
Auch die Daten über die Fruchtbarkeit junger M?nner, die allj?hrlich bei Schweizer Rekruten erhoben werden, sind für derartige Analysen kaum nutzbar. ?Wir wissen nicht, welchen Einflüssen die M?nner vor dem Fruchtbarkeitstest ausgesetzt waren. Die sind bei jedem Probanden anders. Zudem ist es praktisch ausgeschlossen, von ihnen Gewebeproben aus dem Geschlechtstrakt zu gewinnen. Das w?re ein erheblicher medizinischer Eingriff.?
Nutztierzucht profitiert von Erkenntnissen
Wie die neuen Erkenntnisse künftig in die Fruchtbarkeits-Forschung bei Menschen einfliessen, ist noch unklar. Bereits jetzt sind sie aber eine Basis für eine bessere Diagnostik, um die entsprechenden Gene und deren Varianten bei Zuchtbullen ausfindig zu machen. Sie dürften daher zuerst Nutztierzüchtern zugutekommen und dazu beitragen, finanzielle Sch?den durch gescheiterte künstliche Besamungen zu vermindern.
Zwar wird schon heute das Ejakulat jedes Stiers vor der Verwendung auf seine Qualit?t hin geprüft, und bereits von K?lbern wird das Genom analysiert. Trotzdem bleiben einige unfruchtbare Bullen unentdeckt. Belegt ein Tierzüchter Kühe mit dem Samen eines unfruchtbaren Stiers, werden die Kühe nicht tr?chtig. Dem Züchter entsteht ein Loch in der Kasse – jede Besamung kostet 80 Franken. Ein typischer Schweizer Milchbetrieb wendet pro Jahr mehrere Tausend Franken für künstliche Besamungen seines Kuhbestands auf. Doch damit nicht genug: Die erfolglos besamten Kühe fallen oft aus dem System, geb?ren keine K?lber, geben keine Milch mehr und der Bauer muss sie ersetzen. Und das geht ins Geld.
In der Fleisch- und Milchkuhhaltung, aber auch in der Schweinezucht ist künstliche Besamung mittlerweile der Standard. In der Schweiz werden pro Jahr etwa 800'000 Kühe und Rinder künstlich besamt. Der Natursprung –wenn also ein Stier eine Kuh auf natürliche Weise deckt – findet nur noch sehr selten statt. ?Einen Stier zu halten, ist schwierig. Die meisten Bauern haben keinen Platz für ein solch grosses Tier?, sagt Pausch.
Literaturhinweis
Mapel XM, Kadri NK, Leonard AS et al. Molecular quantitative trait loci in reproductive tissues impact male fertility in cattle. Nat Commun 15, 674 (2024). DOI: externe Seite 10.1038/s41467-024-44935-7