Überraschende Umkehr in Quantensystemen
Forschende der ETH Zürich haben in einem künstlichen Festk?rper topologische Effekte studiert und dabei überraschende Beobachtungen gemacht. Die neuen Erkenntnisse zum topologischen Pumpen k?nnten in Zukunft für Quantentechnologien genutzt werden.
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In Kürze
- Forschende haben topologisches Pumpen in einem künstlichen Festk?rper aus kalten Atomen untersucht. Die Atome wurden mit Laserstrahlen gefangen.
- ?berraschenderweise kam es zu einer pl?tzlichen Umkehr der Atome an einer Wand aus Laserlicht die Richtung des topologischen Pumpens hatte sich also umgedreht. Bei einer abstossenden Wechselwirkung zwischen den Atomen passierte dies sogar schon vor Erreichen der Wand.
- Solche Effekte, die durch die Topologie robust gegenüber St?rungen sind, k?nnten in Zukunft in Quantentechnologien genutzt werden.
Eigentlich sollte man ja ?pfel nicht mit Birnen vergleichen. In der Topologie allerdings, einem Teilgebiet der Mathematik, muss man das sogar: Dort n?mlich gelten ?pfel und Birnen als topologisch gleich, weil beide kein Loch haben – im Gegensatz etwa zu Teigkringeln und Kaffeetassen, die beide eines aufweisen (bei der Tasse das Loch im Henkel) und damit ebenfalls topologisch gleich sind. Auf abstraktere Art k?nnen in der Physik auch Quantensysteme eine bestimmte Apfel- oder Teigkringel-Topologie haben, die sich in den Energiezust?nden und der Bewegung von Teilchen ?ussert. Forschende sind an solchen Systemen sehr interessiert, da ihre Topologie sie robust gegenüber Unordnung und anderen st?renden Einflüssen macht, die in natürlichen physikalischen Systemen immer vorhanden sind.
Besonders interessant wird es, wenn die Teilchen in einem solchen System auch noch miteinander wechselwirken, sich also anziehen oder abstossen, wie etwa Elektronen in Festk?rpern. Topologie und Wechselwirkungen in Festk?rpern gemeinsam zu untersuchen, ist allerdings ?usserst schwierig. ETH-Forschenden unter der Leitung von Tilman Esslinger ist es nun gelungen, topologische Effekte in einer Art künstlichem Festk?rper nachzuweisen, in dem man die Wechselwirkungen mithilfe von Magnetfeldern an- und ausschalten kann. Ihre Ergebnisse, die sie soeben im Fachjournal Science ver?ffentlicht haben, k?nnten künftig in Quantentechnologien angewandt werden.
Transport durch Topologie
Den künstlichen Festk?rper konstruierten Zijie Zhu, Doktorand in Esslingers Labor und Erstautor der Studie, und seine Kolleg:innen aus extrem kalten Atomen (fermionischen Kaliumatomen), die mithilfe von Laserstrahlen in r?umlich periodischen Gittern eingefangen wurden. Weitere Laserstrahlen sorgten dafür, dass die Tiefe benachbarter Gitterpl?tze im Gegenrhythmus zyklisch kleiner und gr?sser wurde. Nach einer bestimmten Zeit massen die Forschenden die Positionen der Atome im Gitter, zun?chst ohne Wechselwirkung zwischen den Atomen. Dabei beobachteten sie, dass aufgrund der Teigkringel-Topologie der Energiezust?nde im periodischen Potenzial die Teilchen bei jeder Wiederholung des Zyklus um einen Gitterplatz in die gleiche Richtung weiterbef?rdert wurden.
?Das kann man sich so wie bei einer Schraube vorstellen?, sagt Konrad Viebahn, Senior Postdoc in Esslingers Team. Die Schraube dreht sich im Uhrzeigersinn um ihre eigene Achse, bewegt sich dabei aber vorw?rts. Bei jeder Umdrehung legt die Schraube dabei eine festgelegte Distanz zurück – unabh?ngig davon, wie schnell man schraubt. Dieses Verhalten, auch topologisches Pumpen genannt, ist typisch für bestimmte topologische Systeme.
Was aber, wenn die Schraube auf ein Hindernis st?sst? Im Experiment der ETH-Forschenden war dieses Hindernis ein zus?tzlicher Laserstrahl, der die Bewegungsfreiheit der Atome in L?ngsrichtung einschr?nkte. Nach rund hundert Umdrehungen der Schraube prallten die Atome sozusagen gegen eine Wand. Diese Wand stellt, um im Bild zu bleiben, eine Apfeltopologie dar, in der das topologische Pumpen nicht mehr funktioniert.
?berraschende Umkehr
?berraschenderweise blieben die Atome aber nicht einfach an der Wand stehen, sondern kehrten pl?tzlich um. Die Schraube bewegte sich also nun rückw?rts, obwohl sie weiterhin im Uhrzeigersinn gedreht wurde. Esslinger und seine Mitarbeitenden erkl?ren diese Umkehr dadurch, dass es im Gitter zwei Teigkringel-Topologien gibt – eine mit einem im Uhrzeigersinn drehenden Teigkringel und einen mit der entgegengesetzten Drehrichtung. An der Wand k?nnen die Atome von der einen in die andere Topologie wechseln und so ihre Bewegungsrichtung umdrehen.
Nun schalteten die Forschenden eine abstossende Wechselwirkung zwischen den Atomen ein und beobachteten, was passierte. Auch hier erlebten sie eine ?berraschung: Die Atome kehrten an einer unsichtbaren Barriere um, noch bevor sie die Laserwand erreicht hatten. ?Durch Modellrechnungen konnten wir zeigen, dass diese unsichtbare Barriere von den Atomen selbst durch die Abstossung untereinander erzeugt wurde?, erkl?rt Doktorandin Anne-Sophie Walter.
Qubit-Autobahn für Quantencomputer
?Mit diesen Beobachtungen sind wir auf dem Weg zu einem besseren Verst?ndnis wechselwirkender topologischer Systeme einen grossen Schritt weitergekommen?, sagt Esslinger, der solche Effekte im Rahmen eines Advanced Grant des Schweizerischen Nationalfonds (SNF) untersucht. Demn?chst will er in weiteren Experimenten untersuchen, ob die topologische Schraube tats?chlich so robust gegenüber Unordnung ist wie vermutet und wie sich die Atome in zwei oder drei Raumdimensionen verhalten. Auch konkrete Anwendungen hat Esslinger bereits im Blick. So k?nnte der Transport von Atomen oder Ionen durch topologisches Pumpen als Qubit-Autobahn genutzt werden, um Qubits (Quantenbits) in Quantencomputern an die richtige Stelle zu bringen, ohne sie dabei aufzuheizen oder ihre Quantenzust?nde zu st?ren.
Literaturhinweis
Zhu Z, G?chter M, Walter A-S, Viebahn K, Esslinger T: Reversal of quantized Hall drifts at noninteractin and interactin topological boundries. Science, 18. April 2024, doi: externe Seite 10.1126/science.adg3848