Forschende der ETH Zürich haben eine spezielle Art von Magnetismus untersucht, indem sie mit Quantensimulatoren erzeugte Bilder von farbigen Punkten analysierten. Mit dieser Methode k?nnten sie in Zukunft auch andere physikalische R?tsel l?sen, zum Beispiel im Bereich der Supraleitung.
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In Kürze
- ETH-Forschende haben im Detail untersucht, wie einzelne bewegliche Elektronen bestimmte Materialien magnetisch werden lassen.
- Mit Quantensimulatoren haben Forschende in den USA Bilder aus bunten Punkten erzeugt, die sie mit Hilfe der neuen Methode (?Quanten-Pointillismus?) der ETH-Forschenden interpretieren konnten.
- Mit dieser Methode k?nnten Physiker:innen künftig auch andere knifflige physikalische R?tsel l?sen.
Von Nahem betrachtet sind es einfach viele bunte Punkte, doch aus einiger Entfernung sieht man ein vielschichtiges, detailreiches Bild: Mit der Technik des Pointillismus schuf George Seurat 1886 das Meisterwerk ?Ein Sonntagnachmittag auf der Insel La Grande Jatte?. Auf ?hnliche Weise studieren Eugene Demler und seine Mitarbeitenden an der ETH Zürich komplexe Quantensysteme aus vielen miteinander wechselwirkenden Teilchen. Die bunten Punkte entstehen dabei nicht durch Pinseltupfen, sondern indem die Forschenden einzelne Atome im Labor sichtbar machen.
Gemeinsam mit Kollegen in Harvard und Princeton hat Demlers Gruppe nun mit Hilfe der neuen Methode, die sie ?Quanten-Pointillismus? nennen, eine besondere Art von Magnetismus unter die Lupe genommen. Die Ergebnisse haben die Forschenden soeben in zwei Artikeln im Wissenschaftsjournal Nature ver?ffentlicht.
Paradigmenwechsel im Verst?ndnis
?Die Untersuchungen stellen einen Paradigmenwechsel in unserem Verst?ndnis solcher magnetischen Quantenph?nomene dar. Bisher konnten wir diese nicht im Detail studieren?, sagt Demler. Begonnen hat alles vor etwa zwei Jahren an der ETH. Der Arbeitsgruppe von Ata? Imamo?lu untersuchte experimentell spezielle Materialien mit dreieckigem Kristallgitter (Moiré-Materialien aus ?bergangsmetall-Dichalcogeniden). Bei der Analyse von Imamo?lus Daten stiess Demler und sein Postdoktorand Ivan Morera auf Besonderheiten, die auf eine bis dahin nur theoretische vorhergesagte Art von Magnetismus hinwiesen. ?Bei diesem kinetischen Magnetismus k?nnen einige wenige Elektronen, die sich im Kristallgitter bewegen, das Material magnetisieren?, erkl?rt Morera.
In Imamo?lus Experiment konnte dieser Effekt, den Fachleute als Nagaoka-Mechanismus kennen, unter anderem durch Messungen der magnetischen Suszeptibilit?t – das heisst, wie stark das Material auf ein ?usseres Magnetfeld reagiert – erstmals in einem Festk?rper nachgewiesen werden. ?Dieser Nachweis beruhte auf sehr starken Indizien. Für einen direkten Beweis müsste man allerdings den Zustand der Elektronen – ihre Position und Spinrichtung – an mehreren Stellen im Material gleichzeitig untersuchen?, sagt Demler.
Komplexe Vorg?nge sichtbar gemacht
In einem Festk?rper geht das jedoch mit herk?mmlichen Verfahren nicht. Mit Hilfe von R?ntgen- oder Neutronenbeugung k?nnen Forschende h?chstens herausfinden, wie sich die Elektronenspins an zwei Stellen zueinander verhalten – die so genannte Spin-Korrelation. Korrelationen zwischen komplexen Spin-Anordnungen und einem überschüssigen oder fehlenden Elektron dagegen k?nnen sie nicht messen.
Um die komplexen Vorg?nge des Nagaoka-Mechanismus, die Demler und Morera mit Hilfe eines Modells berechnet hatte, dennoch sichtbar zu machen, wandten sie sich an Kollegen in Harvard und Princeton. Dort haben Teams um Markus Greiner und Waseem Bakr Quantensimulatoren entwickelt, mit denen sich die Gegebenheiten in einem Festk?rper pr?zise nachstellen lassen. Anstelle der Elektronen, die sich in einem Gitter aus Atomen bewegen, verwenden die US-Forschenden in solchen Simulatoren extrem stark abgekühlte Atome, die in einem optischen Gitter aus Lichtstrahlen gefangen sind. Die mathematischen Gleichungen, mit denen die Elektronen im Festk?rper und die Atome im Lichtgitter beschrieben werden, sind aber fast identisch.
Bunte Schnappschüsse des Quantensystems
Mit Hilfe eines stark vergr?ssernden Mikroskops konnten die Arbeitsgruppen von Greiner und Bakr nicht nur die Positionen der einzelnen Atome aufl?sen, sondern auch die Ausrichtung ihrer Spins. Die Informationen aus diesen Schnappschüssen des Quantensystems übersetzten sie in farbige Grafiken, die sich mit den theoretischen Pointillismus-Bildern vergleichen liessen. Demler und seine Mitarbeitenden hatten zum Beispiel theoretisch berechnet, wie sich beim Nagaoka-Mechanismus ein einzelnes überschüssiges Elektron, das sich mit einem anderen Elektron mit entgegengesetztem Spin paart, als Doublon durch das Dreiecks-Kristallgitter des Materials bewegt. Nach der Vorhersage von Demler und Morera sollte das Doublon dabei von einer Wolke aus Elektronen mit parallel, also ferromagnetisch ausgerichteten Spins, umgeben sein. Diese Wolke wird auch als magnetisches Polaron bezeichnet.
Genau das sahen die amerikanischen Forscher in ihren Experimenten. Und mehr noch: Fehlte im Quantensimulator-Lichtgitter ein Atom – was einem fehlenden Elektron oder ?Loch? im wirklichen Kristall entspricht -, so bildete sich um dieses Loch herum eine Wolke aus Atomen mit paarweise entgegengesetzt ausgerichteten Spins. Exakt dies hatten Demler und Morera vorhergesagt. Auch diese antiferromagnetische Ordnung (oder genauer: antiferromagnetische Korrelationen) war bereits in einem Festk?rper-Experiment an der Cornell University in den USA indirekt nachgewiesen worden. Im Quantensimulator wurde sie nun direkt sichtbar.
?Zum ersten Mal haben wir damit ein physikalisches R?tsel mit Experimenten sowohl am ‘echten’ Festk?rper als auch im Quantensimulator gel?st. Unsere theoretischen Arbeiten sind dabei der Leim, der alles zusammenh?lt,?, sagt Demler. Er ist zuversichtlich, dass seine Methode künftig auch bei anderen kniffligen Problemen hilfreich sein wird. So k?nnte beispielsweise der Mechanismus, durch den sich die magnetische Polaronen-Wolke bildet, auch in Hochtemperatursupraleitern eine wichtige Rolle spielen.
Literaturhinweis
Martin Lebrat, Muqing Xu, Lev Haldar Kendrick, Anant Kale, Youqi Gang, Pranav Seetharaman, Ivan Morera, Ehsan Khatami, Eugene Demler, Markus Greiner. Observation of Nagaoka polarons in a Fermi–Hubbard quantum simulator. Nature, 9. Mai 2024, DOI: externe Seite 10.1038/s41586-024-07272-9
Max L. Prichard, Benjamin M. Spar, Ivan Morera, Eugene Demler, Zoe Z. Yan, Waseem S. Bakr. Directly imaging spin polarons in a kinetically frustrated Hubbard system. Nature, 9. Mai 2024, DOI: externe Seite 10.1038/s41586-024-07356-6