Forschende der ETH Zürich haben ultraflexible Hirnsonden entwickelt. Damit l?sst sich die Hirnaktivit?t genau und gewebeschonend messen. Das er?ffnet der Therapie verschiedener neurologischer und psychiatrischer Erkrankungen neue M?glichkeiten.
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In Kürze
- Mit neuartigen ultraflexiblen Hirnsonden k?nnen Forschende die Aktivit?t einzelner Hirnzellen pr?zise und über lange Zeit messen.
- Die Elektroden ?hneln Tentakeln und bestehen aus sehr dünnen Goldfasern, die das Hirngewebe schonen.
- Künftig soll die Technologie Menschen mit neurologischen oder psychiatrischen Krankheiten helfen. Ausserdem wollen die Forschenden damit studieren, wie das Gehirn Erinnerungen verarbeitet.
Hirnschrittmacher sind normal geworden. Weltweit tragen Sch?tzungen zufolge 200'000 Menschen Elektroden im Gehirn, die bestimmte Hirnareale mit elektrischen Impulsen versorgen. Von solchen Hirnsonden profitieren zum Beispiel Menschen mit der Parkinson-Krankheit oder mit krankhaften Muskelkr?mpfen. Nach Ansicht von Mehmet Fatih Yanik, Professor für Neurotechnologie an der ETH Zürich, wird die Forschung die M?glichkeiten dieser Technologie stark erweitern: Anstatt das Hirn mit solchen Sonden bloss zu stimulieren, k?nnen dieselben Elektroden auch verwendet werden, um die Aktivit?t der Hirnzellen aufzuzeichnen. Diese Aufzeichnungen k?nnen auf Anomalien untersucht werden, die mit neurologischen oder psychiatrischen Erkrankungen verbunden sind. In einem n?chsten Schritt ist es denkbar, diese Anomalien und Erkrankungen wiederum mit elektrischen Impulsen zu behandeln.
Zu diesem Zweck haben Yanik und sein Team nun eine neue Art von Elektroden entwickelt, die detailliertere und pr?zisere Aufzeichnungen der Hirnaktivit?t über einen l?ngeren Zeitraum erm?glichen. Die Elektroden bestehen aus Bündeln extrem feiner und flexibler Fasern aus Gold, die von einem Polymer umhüllt sind. Ein von den ETH-Forschern entwickeltes Verfahren erm?glicht es, diese Bündel sehr langsam ins Gehirn einzubringen. Sie verursachen daher keine nachweisbaren Sch?den am Hirngewebe.
Damit unterscheiden sich die neuen Elektroden wesentlich von bisherigen Technologien, von denen die von Elon Musks Firma Neuralink in der ?ffentlichkeit am bekanntesten sein dürfte. Alle bisherigen Technologien, auch die von Neuralink, arbeiten mit ziemlich groben Sonden. ?Je gr?ber die Sonde, desto gr?sser ist das Risiko, damit das Hirngewebe zu sch?digen?, sagt Yanik. ?Unsere feinen Elektroden haben zudem den Vorteil, dass sie sich im Gehirn zwischen die l?nglichen Forts?tze der Nervenzellen einfügen. Sie sind auch bloss etwa so dick wie diese Zellforts?tze.?
Die Forschenden testeten die neuen Elektroden an Ratten, in deren Gehirn sie vier Bündel mit je 64 Goldfasern implantierten. Prinzipiell k?nnten auch mehrere hundert Elektrodenfasern verwendet werden, um damit die Aktivit?t von noch mehr Gehirnzellen zu untersuchen, wie Yanik erkl?rt. Die Elektroden sind mit einem kleinen, auf dem Kopf befestigten Aufnahmeger?t verbunden, weshalb sich die Ratten frei bewegen konnten.
Keinen Einfluss auf Hirnaktivit?t
In den Versuchen konnten die Forschenden best?tigen, dass die Sonden biokompatibel sind und sie die Hirnfunktion nicht beeinflussen. Weil die Elektroden sehr nahe an den Nervenzellen liegen, ist die Signalqualit?t sehr gut. Das Hintergrundrauschen ist nur halb so gross wie bei anderen Verfahren.
Ausserdem zeigten die Forschenden, dass sich die flexiblen Elektroden gut für Langzeitmessungen eignen: W?hrend der gesamten Versuchsdauer von zehn Monaten zeichneten die Forschenden bei den Tieren Signale von denselben Zellen auf. Untersuchungen ergaben, dass in dieser Zeit keine Gewebesch?den im Gehirn auftraten. Und ein weiterer Vorteil ist: Da sich die Bündel in verschiedene Richtungen verzweigen, k?nnen sie verschiedene Hirnareale erreichen.
Bald am Menschen getestet
In der Studie verfolgten und analysierten die Forschenden mit den neuen Elektroden über mehrere Monate die Aktivit?t von Nervenzellen in verschiedenen Hirnregionen von Ratten. Dabei konnten sie registrieren, dass Nervenzellen in verschiedenen Regionen synchron aktiv sind. Dies ist unter dem Begriff Co-Aktivierung bekannt, und Wissenschaftler gehen davon aus, dass dieses grossr?umige synchrone Zusammenspiel von Hirnzellen entscheidend ist, um komplexe Informationen zu verarbeiten und Erinnerungen zu bilden. ?Unsere Methode ist ?usserst interessant für die Grundlagenforschung, die diese Funktionen und St?rungen dieser Funktionen bei neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen untersucht?, erkl?rt Yanik.
?Das k?nnte zur Entwicklung wirksamer Therapien für Personen mit neurologischen und psychiatrischen Krankheiten beitragen.?Mehmet Fatih Yanik
Die ETH-Forschenden haben sich mit Kolleginnen und Kollegen am University College London zusammengetan, um den Einsatz der neuen Elektroden zu diagnostischen Zwecken im menschlichen Gehirn testen. Konkret geht es um Patienten und Patientinnen mit Epilepsie, die auf eine medikament?se Therapie nicht ansprechen. Um ihnen zu helfen, entfernen ihnen Neurochirurg:innen einen kleinen Teil des Gehirns, in dem die Anf?lle ihren Ursprung haben. Die neue Technologie soll vor der Gewebeentnahme eingesetzt werden, um den betroffenen Hirnbereich genau zu lokalisieren.
Gehirn-Maschine-Schnittstellen
In Zukunft wollen die Forschenden mit den neuen Elektroden auch bei Menschen Hirnzellen stimulieren. ?Das k?nnte zur Entwicklung wirksamer Therapien für Personen mit neurologischen und psychiatrischen Krankheiten beitragen?, sagt Yanik. Bei Depressionen, Schizophrenie oder Zwangsst?rungen ist h?ufig die Informationsverarbeitung in den betroffenen Hirnregionen gest?rt. Mithilfe solcher Elektroden k?nnte es m?glich werden, die mit der Krankheit verbundenen Signale der neuronalen Netzwerke im Gehirn zu erkennen und sie in einem zweiten Schritt zu ver?ndern, um damit den Patientinnen und Patienten zu helfen. Yanik denkt ausserdem an Gehirn-Maschine-Schnittstellen für Menschen mit Hirnverletzungen. Die Elektroden k?nnten helfen, die Absichten der Patienten zu erkennen und eine Prothese oder ein Sprachausgabesystem zu steuern.
Diese Forschung wurde unter anderem durch einen Consolidator Grant des Europ?ischen Forschungsrats ERC, den Mehmet Fatih Yanik 2018 erhalten hat, und durch das Sinergia-Programm des Schweizerischen Nationalfonds finanziert.
Literaturhinweis
Yasar TB, Gombkoto P, Vyssotski AL, Vavladeli AD, Lewis CM, Wu B, Meienberg L, Lundegardh V, Helmchen F, von der Behrens W, Yanik MF: Months-long tracking of neuronal ensembles spanning multiple brain areas with Ultra-Flexible Tentacle Electrodes, Nature Communications, 6. Juni 2024, doi: externe Seite 10.1038/s41467-024-49226-9