Protein-Wechselwirkungen: Wer macht mit wem Party und wer vermiest sie?

Mit einer neuen Methode messen Forschende der ETH Zürich in Zellen, welche Proteine mit welchen wechselwirken. Damit legen sie einen Grundstein für die Entwicklung neuer Wirkstoffe gegen Krankheiten wie Krebs oder Alzheimer.

Zelle in deren äusseren Schicht eine Menge verschieden eingefärbte Proteine sind
Ein Gedr?nge wie an der Zürcher Street Parade: Im Innern einer Zelle rund um den Zellkern tanzen sprich interagieren unz?hlige verschiedene Proteine miteinander. (Bild: Cathy Marulli, Picotti Lab / ETH Zürich)

In Kürze

  • Die Funktion von biologischen Zellen wird durch die Wechselwirkungen von Proteinen bestimmt. Fehlgeleitete Protein-Interaktionen sind Ursache für zahlreiche Krankheiten.
  • Forschende der ETH Zürich haben nun eine Methode entwickelt, um Protein-Interaktionsnetzwerke zu erforschen.
  • Die Methode und die damit gewonnenen Erkenntnisse sind auch für die Pharmaforschung interessant. Basierend auf Protein-Interaktionen lassen sich Wirkstoffe entwickeln.

Im Inneren von Zellen geht es zu wie in einem gut gefüllten Dance Club: Hunderte sind am feiern. Manche bleiben für sich alleine, andere gehen durch die Menge und quatschen mit jedem, den sie antreffen. Die einen grüssen sich nur flüchtig, andere bleiben die ganze Zeit mit ihren besten Freunden zusammen. In diesem Club spielen sich also jede Menge unterschiedliche Interaktionen unter den Partyg?nger:innen ab – und genauso ist es in Zellen mit den Proteinen.

Denn Zellen sind gefüllt mit vielen verschiedenen Arten von Proteinen, die miteinander wechselwirken und oft in Gruppen zusammenarbeiten. Diese Gruppen heissen Komplexe und sind eigentlich molekulare Maschinen, die nur dann einwandfrei funktionieren, wenn ihre einzelnen Bestandteile zusammenspielen.

Partycrasher unterbricht normale Wechselwirkung

Welche Proteine wie miteinander wechselwirken, h?ngt auch vom Zustand des K?rpers ab. Unter normalen Bedingungen in einem gesunden K?rper schliessen sich zwei Proteine, die wir Blau und Rot nennen, zusammen. ?ndern die Bedingungen, zum Beispiel durch zellul?ren Stress, kann Protein Blau seinen Interaktionspartner wechseln und sich mit Protein Gelb zusammentun, das nichts als ?rger macht und damit die Party st?rt.

Darstellung der Veränderung von Interaktion Protein Rot und Protein Blau hinzu Interaktion Protein Gelb und Protein Blau und wiederum die Möglichkeit zur medikamentösen Behandlung damit wieder Rot und Blau interagieren
Im Normalzustand interagieren Protein Rot und Protein Blau. Zellul?rer Stress ver?ndert die Wechselwirkung: Blau interagiert neu mit Gelb, was eine Krankheit ausl?sen kann. Mit einem passenden Medikament kann die Wechselwirkung blockiert oder rückg?ngig gemacht werden. (Schema: nach Cathy Marulli / ETH Zürich)

?Ver?nderte Wechselwirkungen zwischen Proteinen k?nnen zu Krankheiten wie Alzheimer, Parkinson oder Krebs führen?, erkl?rt Cathy Marulli. Sie ist Doktorandin bei Paola Picotti, Professorin am Institut für molekulare Systembiologie der ETH Zürich. ?Es ist deshalb wichtig zu wissen, wie sich Protein-Protein-Wechselwirkungen zwischen gesundem und krankhaftem Zustand unterscheiden und wie die Bindungsstellen zwischen zwei Proteinen beschaffen sind. Kennen wir diese bis ins letzte Detail, k?nnen wir Wirkstoffe entwickeln, die ungewünschte Wechselwirkungen blockieren und die Zelle wieder ins Gleichgewicht bringen?, erkl?rt sie.

Soziales Netzwerk der Proteine aufdecken

Die ETH-Biochemiker:innen haben deshalb einen bew?hrten Ansatz der Proteinforschung weiterentwickelt, um damit das komplette Interaktionsnetzwerk der Proteine, das sogenannte Interaktom, zu analysieren.

Die entsprechende Studie ist soeben in der Fachzeitschrift externe Seite Nature Biotechnology erschienen.

Schon vor einigen Jahren entwickelte Picotti und ihre Mitarbeitenden die sogenannte LiP-Massenspektrometrie. Damit k?nnen die Forscherinnen in beliebigen biologischen Proben strukturelle ?nderungen von tausenden von Proteinen messen, ohne dass die Proben zuvor speziell aufgereinigt werden müssen. Mit dieser Methode haben sie zuletzt Proteine und deren Funktionen analysiert. (vgl. ETH News)

Nun haben sie LiP-Massenspektrometrie weiterentwickelt, um auch die Interaktionen zwischen Proteinen zu bestimmen. Zu diesem Zweck identifizierten sie zun?chst rund 6000 Interaktionsschnittstellen zwischen Proteinen und andere Stellen, die sich ver?ndern wenn Proteine miteinander wechselwirken. Diese Stellen nutzten sie anschliessend als Marker, um beurteilen zu k?nnen, ob ein Protein unter einer bestimmten Bedingung seine Interaktion zu anderen Proteinen ver?ndert.

Sie verwendeten dazu Enzyme, die Proteine in Stücke schneiden. Diese Enzyme k?nnen Proteine nur an frei zug?nglichen Stellen angreifen. Ist an einer Stelle ein anderes Protein angedockt, kann das Enzym dort nicht schneiden. Detaillierte Informationen zu den Proteinbruchstücken helfen den Forschenden daher, zu analysieren, ob und wo einzelne Proteine mit anderen wechselwirken. Auf diese Weise konnten die Forschenden die Wechselwirkungen von etwa 1000 Proteinen gleichzeitig und direkt in einer ungeordneten Zellmatrix untersuchen.

Markante ?nderungen in gestressten Zellen

Um die neue Methode zu entwickeln, arbeiteten die Forschenden mit Hefezellen. Sie untersuchten dabei, wie sich die Wechselwirkungen von Proteinen im Normalzustand von jenen einer Stresssituation, ausgel?st durch eine chemische Substanz, unterscheiden.

Dabei deckten die Biochemiker:innen auf, dass die Stresssituation rund fünf Dutzend Proteinkomplexe und damit ihre Interaktionen ver?ndert hatten. Zudem zeigten die Forscher:innen auf, dass ein Proteinkomplex namens SAGA eine wichtige Rolle im Interaktionsnetzwerk der Hefezelle spielt. Nahmen sie SAGA aus dem Spiel, verhielten sich rund zwei Drittel der Proteinkomplexe in der Stresssituation anders. ?SAGA ist der DJ auf der Party. Wenn er stummgeschaltet ist, dann h?ren erst einmal einige Partygruppen auf zu tanzen. Sie beeinflussen weitere Partyg?nger, die sich ebenfalls zurückziehen. Das zeigt, dass ein einzelner Akteur in der Zelle einen überproportional grossen Einfluss auf andere hat?, sagt Marulli.

Auf andere Arten übertragbar

Die erarbeitete Methode l?sst sich auch für andere Organismen anwenden. ?Für jede Art, die wir untersuchen wollen, müssen wir lediglich einen neuen Satz an Bindungsmarkern erarbeiten, dann k?nnen wir mit dieser Methode auch die Proteininteraktionen in Zellen von M?usen oder Menschen untersuchen?, sagt Marulli. Der n?chste logische Schritt ist deshalb, die Interaktionsmarker für das Interaktom menschlicher Zellen zu bestimmen, um fehlerhafte Protein-Wechselwirkungen in einem Durchgang zu analysieren.

Die Bestimmung der Protein- Wechselwirkungen ist in Bezug auf Krankheiten enorm wichtig. ?Wir wollen deshalb unsere Technik für diagnostische Zwecke und für die Erforschung von Krankheitsmechanismen weiterentwickeln?, sagt Picotti. Die Hoffnung ist berechtigt: Schon frühere Ans?tze, die in ihrem Labor entwickelt wurden, sind vom ETH-Spin-off Biognosys in die Praxis übertragen worden.

Pharmaforschung zielt auf Interaktionen ab

An den Interaktionsmarkern ist auch die Pharmaforschung stark interessiert. Sind die Interaktionsstellen bekannt, k?nnen Forschende effizient nach chemischen Verbindungen suchen, die ungewünschte Wechselwirkungen unterbrechen oder neue aufbauen k?nnen.

Wirkstoffe, die die Protein-Wechselwirkungen beeinflussen, sind derzeit eine vielversprechende neue Richtung in der pharmazeutischen Forschung. Mit solchen Substanzen k?nnten m?glicherweise auch Proteine adressiert werden, die mit heutigen Wirkstoffen nicht zug?nglich sind. Oder es k?nnen neue Medikamente mit weniger Nebenwirkungen entwickelt werden.

Literaturhinweis

D?rig C, Marulli C, Peskett T, Pantolini L, Studer G, Paleari C, Frommelt F, Schwede T, de Souza N, Barral Y, Piccoti P: Global profiling of protein complex dynamics with an experimental library of protein interaction markers. Nature Biotechnology, 2024. doi: externe Seite 10.1038/s41587-024-02432-8

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