Crispr-Cas: die Balance finden zwischen Effizienz und Sicherheit
ETH-Forschende decken eine gravierende Nebenwirkung bei einer Anwendung der Genschere Crispr-Cas auf. Ein Molekül, das den Vorgang effizienter machen soll, zerst?rt Bereiche des Genoms.
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In Kürze:
- Um die Gen-Editierung mittels des Crispr-Cas9-Systems effizienter zu machen, setzen Forschende seit kurzem das Molekül AZD 7648 ein.
- ETH-Forschende haben jetzt herausgefunden, dass dieses Molekül zwar wie erhofft wirkt, aber als unerwünschte Nebenwirkung andere Bereiche des Genoms zerst?rt.
- Sie pl?dieren dafür, dieses Molekül nicht für die Gen-Editierung zu verwenden und andere Wege zu suchen, um sie effizienter und sicher zu machen.
Die Genombearbeitung mit verschiedenen Crispr-Cas-Molekülkomplexen hat in den vergangenen Jahren rasante Fortschritte gemacht. Weltweit arbeiten mittlerweile hunderte von Labors daran, solche Werkzeuge für die Klinik nutzbar zu machen, und sie entwickeln sie laufend weiter.
Crispr-Cas-Werkzeuge erlauben es Forschenden unter anderem, einzelne Bausteine des Erbguts pr?zise und zielgerichtet zu ver?ndern. Mit Gentherapien, die auf solchen Gen-Editierungen beruhen, lassen sich schon heute Erbkrankheiten behandeln, Krebs bek?mpfen oder auch Kulturpflanzen herstellen, die resistent sind gegen Dürren und Hitze.
Reparatur starten
Am h?ufigsten arbeiten Wissenschaftler:innen weltweit mit dem Crispr-Cas9-Molekülkomplex, der auch als Genschere bekannt ist. Dieser Molekülkomplex zerschneidet den DNA-Doppelstrang exakt an der Stelle, an der das Erbgut ver?ndert werden soll. Dies im Gegensatz zu neueren Gen-Editierungsmethoden, bei denen nicht der Doppelstrang durchtrennt wird. Der Schnitt aktiviert zwei natürliche Reparaturmechanismen, mit der die Zelle solche Sch?den flickt: einen schnellen, aber ungenauen, bei dem lediglich die Enden der zerschnittenen DNA wieder zusammengefügt werden, und einen langsamen und gründlichen, der aber nicht in jedem Fall aktiviert wird. Letzterer ben?tigt für die Reparatur eine kopierf?hige Vorlage, um die DNA an der Schnittstelle exakt wiederherzustellen.
Die langsame Variante heisst homologiegerichtete Reparatur. Die Forschung m?chte diesen Reparaturweg nutzen, weil sie damit pr?zise einzelne DNA-Segmente in eine gewünschte Genregion einbauen k?nnen. Der Ansatz ist sehr flexibel und eignet sich, um verschiedene Krankheitsgene zu reparieren. ?Im Grunde genommen kann man damit beliebige Krankheiten heilen?, sagt Jacob Corn, Professor für Genombiologie der ETH Zürich.
Effizienzsteigerung dank zus?tzlichem Molekül
Um die Zelle dazu zu bringen, die homologiegerichtete Reparatur zu starten, setzen Forschende seit kurzem ein Molekül namens AZD7648 ein, das die Schnellreparatur blockiert und die Zelle dazu zwingt, die homologiegerichtete Reparatur zu verwenden. Dieser Ansatz sollte die Entwicklung von effizienteren Gentherapien beschleunigen. Erste Studien, die solche neuen Therapien verwendet haben, waren gut. Zu gut, um wahr zu sein, wie sich jetzt herausstellt.
Denn soeben hat Corns Forschungsgruppe herausgefunden, dass der Einsatz von AZD7648 gravierende Nebenwirkungen hat. Die entsprechende Studie ist soeben in der Fachzeitschrift Nature Biotechnology erschienen.
Massive genetische Ver?nderungen
Zwar f?rdert AZD7648 wie erhofft den pr?zisen Reparaturvorgang und damit die pr?zise Gen-Editierung mittels des Crispr-Cas9-Systems. Bei einem erheblichen Teil der Zellen hat dies jedoch zu massiven genetischen Ver?nderungen in einem Teil des Genoms geführt, von dem erwartet wurde, dass er ohne Narben ver?ndert wird. Die ETH-Forschenden fanden heraus, dass diese Ver?nderungen darin mündeten, dass abertausende von DNA-Bausteinen, sogenannte Basen, einfach gel?scht werden. Sogar ganze Chromosomenarme brechen weg. Dadurch wird das Genom instabil, mit unvorhersehbaren Konsequenzen für die mit der Technik editierten Zellen.
?Analysierten wir die Stellen des Genoms, wo es editiert wurde, sah es korrekt und pr?zise aus. Analysierten wir aber das Genom weitr?umiger, bemerkten wir massive genetische ?nderungen. Diese sieht man nicht, wenn man nur den kurzen editierten Abschnitt und dessen unmittelbare Nachbarschaft analysiert?, sagt der Grégoire Cullot, Postdoc in Corns Gruppe und Erstautor der Studie.
Grosses Schadensausmass
Das Ausmass der negativen Auswirkungen hat die Forscher überrascht. Sie gehen sogar davon aus, dass sie das ganze Ausmass noch nicht vollst?ndig überblicken, da sie bei ihren Analysen von ver?nderten Zellen nicht das gesamte Genom angeschaut haben, sondern nur Teilbereiche. Um das Schadensausmass und -potenzial abzukl?ren, braucht es deshalb neue Testverfahren, Vorgehensweisen und Regulierungen.
Das Molekül AZD7648 ist nicht unbekannt. Zurzeit wird es als m?gliches Krebstherapeutikum klinisch geprüft.
?Wir mahnen zur Vorsicht, dieses Molekül für Genombearbeitungen einzusetzen. Es braucht gross angelegte Tests, um herauszufinden, wie das Genom auf die Editierung mithilfe dieses Moleküls reagiert.?Grégoire Cullot
Doch wie sind die ETH-Forscher auf das Problem aufmerksam geworden? In anderen Studien zeigten Forschende, wie hochwirksam und pr?zise Crispr-Cas9-Geneditierung unter Zugabe von AZD7648 arbeitet. ?Das machte uns misstrauisch und wir haben deshalb genauer hingeschaut?, sagt Jacob Corn.
Die ETH-Forschenden analysierten daraufhin die Abfolge der DNA-Bausteine nicht nur um die bearbeitete Stelle, sondern auch im weiteren Umfeld. Dabei entdeckten sie diese unerwünschten und katastrophalen Nebenwirkungen, die der Einsatz von AZD7648 hervorgerufen hatte.Ihre Studie ist die erste, die diese Nebenwirkungen beschreibt. Weitere Forschungsgruppen haben diese ebenfalls untersucht und stützen die Resultate der ETH-Forscher:innen. Auch sie werden ihre Ergebnisse publizieren. ?Wir sind die ersten, die sagen: Es ist nicht alles wunderbar?, sagt Corn. ?Für uns ist das ein herber Rückschlag, weil wir wie andere Wissenschaftler gehofft haben, dass wir mit der neuen Technik die Entwicklung von Gentherapien beschleunigen k?nnten.?
Der Anfang von etwas Neuem
Dennoch ist das laut Corn nicht das Ende, sondern der Beginn von weiteren Fortschritten bei der Gen-Editierung mittels Crispr-Cas-Techniken. ?Die Entwicklung jeder neuen Technologie ist ein steiniger Weg. Ein Stolperer bedeutet nicht, dass wir die Technik aufgeben.?
M?glicherweise l?sst sich die Gefahr bannen, indem man in Zukunft nicht nur ein Molekül einsetzt, um die homologiegerichtete Repartur zu bevorzugen, sondern einen Cocktail an verschiedenen Substanzen. ?Es gibt viele m?gliche Kandidaten. Wir müssen jetzt herausfinden, aus welchen Komponenten so ein Cocktail zusammengesetzt sein muss, damit das Genom keinen Schaden nimmt.?
Gentherapien, die auf dem Crispr-Cas-System beruhen, wurden in der Klinik bereits erfolgreich angewendet. So wurden in den vergangenen Jahren zum Beispiel 100 Patienten, die an der Erbkrankheit Sichelzellan?mie litten, mit Therapeutika auf Crispr-Cas-Basis behandelt, damals noch ohne AZD7648. ?Alle Patienten gelten als geheilt und haben keine Nebenwirkungen, sagt Corn. ?Ich bin deshalb optimistisch, dass sich solche Gentherapien durchsetzen werden. Die Frage ist eher, welcher Weg der Richtige ist und was wir brauchen, damit die Technik sicher anwendbar wird für m?glichst viele Patienten und Patientinnen.?
Literaturhinweis
Cullot G, Aird EJ, Schlapansky MF et al. Genome editing with the HDR-enhancing DNA-PKcs inhibitor AZD7648 causes large-scale genomic alterations. Nat Biotechnol (2024). externe Seite doi:10.1038/s41587-024-02488-6