Künstliche Intelligenz hilft beim Entwurf und Erhalt von Brücken
Forschende der ETH Zürich entwickeln in Zusammenarbeit mit den Schweizerischen Bundesbahnen SBB neue Vorhersagemodelle unter Einsatz von Algorithmen des maschinellen Lernens, um die Lebensdauer bestehender Eisenbahnbrücken zu verl?ngern und Ressourcen zu schonen. Ein KI-Assistent unterstützt Bauingenieure zudem beim Entwurf neuer Brücken.
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In Kürze
- ETH-Forschende haben ein KI-Werkzeug entwickelt, das hilft, Brücken l?nger in Betrieb zu halten und Ressourcen zu schonen, ohne dabei unverh?ltnism?ssige Unfallrisiken einzugehen.
- In Zusammenarbeit mit den SBB entwickelten sie ein KI-Modell für Stahlbeton-Eisenbahnbrücken, die in der Schweiz besonders h?ufig vorkommen. Dieses Modell liefert eine erste Einsch?tzung der Tragsicherheit.
- In einem zweiten Projekt entwickelten sie einen KI-Assistenten, der Ingenieur:innen beim Entwurf neuer Brücken unterstützt. Dieser Assistent erm?glicht sichere, kosteneffiziente und nachhaltige Brücken-Strukturen.
Die Bilder der eingestürzten Strassenbahnbrücke über der Elbe in Dresden gingen im September 2024 um die Welt. Wie durch ein Wunder kam niemand ums Leben. Anders beim Einsturz des Autobahnviadukts 2018 in Genua, bei dem 43 Menschen starben. Ursache beider Unglücke waren nicht ?ussere Einwirkungen, sondern mit dem Alter der Bauwerke einhergehende Sch?digungsprozesse, die nicht rechtzeitig erkannt respektive behoben wurden. ?Auch in der Schweiz n?hert sich ein betr?chtlicher Anteil der Infrastrukturbauten dem Ende der geplanten Nutzungsdauer und muss überprüft und gegebenenfalls verst?rkt werden?, sagt Sophia Kuhn: ?Wir entwickeln ein Werkzeug, das dazu beitr?gt, Brücken m?glichst lange in Betrieb zu halten und damit Ressourcen zu schonen, ohne dabei unverh?ltnism?ssige Risiken von Unf?llen einzugehen.?
Sophia Kuhn ist Doktorandin in der Forschungsgruppe von Professor Walter Kaufmann am Institut für Baustatik und Konstruktion der ETH Zürich. Ihr Doktorat wird von Professor Fernando Pérez-Cruz aus dem Departement Informatik der ETH Zürich und Professor Michael Kraus von der TU Darmstadt mitbetreut. Sie konzentriert sich in ihrer Forschung auf die Nutzung künstlicher Intelligenz im Bauwesen, insbesondere Algorithmen des maschinellen Lernens.
In Zusammenarbeit mit ihrem Kollegen Marius Weber und den SBB entwickelte sie ein KI-Modell für sogenannte Rahmenbrücken – einfache Bahnbrücken aus Stahlbeton, die in der Schweiz besonders h?ufig vorkommen und eine ?ber- oder Unterführung von Strassen und Fusswegen erm?glichen. Das KI-Modell liefert praktisch auf Knopfdruck eine erste Einsch?tzung der Tragsicherheit, sagt also effizient voraus, ob eine Brücke potenziell statisch kritisch ist oder nicht. ?Dies erm?glicht es, Priorit?ten zu setzen, welche Brücken zeitnah eine statische ?berprüfung und gegebenenfalls bauliche Massnahmen erfordern?, sagt Kuhn.
KI sch?tzt Erfolg von Analysen ab
Das Modell liefert nicht nur einen Vorhersagewert zur strukturellen Sicherheit, es gibt auch an, ob man diesem Wert vertrauen kann; es quantifiziert also die Unsicherheit des Modells. Und es hilft insbesondere auch beim Entscheid über das weitere Vorgehen bei der statischen ?berprüfung einer Brücke. Dabei führen Ingenieure zwar in jedem Fall mehr oder weniger aufw?ndige Computerberechnungen durch.
Es gibt dafür aber einerseits herk?mmliche Methoden, die mit verh?ltnism?ssig kleinem Aufwand Resultate liefern, und andererseits verfeinerte Analysen, die wesentlich zeit- und rechenintensiver und damit teurer sind, dafür aber genauere und weniger konservative Resultate liefern. ?Oft weiss man nicht, ob diese verfeinerten Analysen überhaupt sinnvoll sind oder nur unn?tige Kosten verursachen?, erkl?rt Kuhn: ?Unser KI-Werkzeug kann absch?tzen, ob solche Analysen erfolgversprechend sind und sich der damit verbundene Aufwand lohnt.?
Simulations-Pipeline liefert zus?tzliche Daten
Als Grundlage des Modells diente den Forschenden das Portfolio der SBB-Rahmenbrücken. ?Wir haben uns viele Beispiele angeschaut – wie sie gebaut wurden, wie variabel sie sind – und darauf basierend eine parametrische Simulationspipeline entwickelt?, erz?hlt die Forscherin. Diese erzeugte aus verschiedenen Brückenparametern virtuelle Bauwerke sowie berechnete den Erfüllungsgrad der statischen Auslastung und generierte so weitere Daten.
Dann erstellten die Forschenden ein künstliches neuronales Netzwerk, also einen Algorithmus, der aus den Daten lernt, wie unser Gehirn. So entstand das auf maschinellem Lernen beruhende Modell, das die gewünschten Vorhersagen für viele bestehende Rahmenbrücken liefert, selbst wenn diese weder von Ingenieuren noch von der Simulations-Pipeline berechnet wurden. ?Wir haben unser Modell auf Testdaten validiert und an realen Brückenbeispielen geprüft?, erkl?rt Kuhn: ?Es zeigt eine gute ?bereinstimmung und die für die SBB erforderliche Genauigkeit. Damit haben wir einen ersten Prototyp entwickelt.? In einem n?chsten Schritt m?chte sie gemeinsam mit der SBB sicherstellen, dass Brückeningenieure das Modell praktisch anwenden k?nnen, und dann eine breitere Anwendbarkeit des Modells erm?glichen.
KI-Assistent kehrt Designprozess um
In einem zweiten Projekt der Professur Kaufmann befassten sich Sophia Kuhn in Zusammenarbeit mit Professor Michael Kraus und dem Swiss Data Science Center mit dem Entwurf neuer Brücken. ?Unser Ziel war, einen KI-Assistenten zu entwickeln, der das Ingenieurteam beim Entwurf der Brücke aktiv unterstützt und zu kosteneffizienten, m?glichst nachhaltigen Strukturen führt, ohne die Sicherheit zu beeintr?chtigen?, erkl?rt Kuhn. Traditionellerweise machen die Ingenieure einen Brückenentwurf und wenden dann eine herk?mmliche Berechnungssoftware an, um die statische Sicherheit, die Gebrauchstauglichkeit, die Kosten und weitere Eigenschaften zu bestimmen. Entsprechen diese Werte nicht den Vorgaben, ver?ndert das Team das Design, bis die Projektziele erfüllt sind ?– ein langwieriger Prozess, bei dem viele Potenziale ungenutzt bleiben.

?Eigentlich m?chte man diesen Prozess umkehren. Dies ist mit herk?mmlicher Berechnungssoftware jedoch nicht m?glich?, sagt die Bauingenieurin. ?Gerne würde man die Projektziele und Randbedingungen eingeben und dann ohne aufw?ndige Iterationen Vorschl?ge von Entwürfen bekommen, die diese Vorgaben erfüllen.?
Genau dies kann der KI-Assistent, den die Forschenden entwickelten, bei dem sogenannte generative KI-Algorithmen eingesetzt wurden. Er beschleunigt nicht nur den Vorw?rts-Ansatz, indem er verschiedene Entwürfe quasi in Echtzeit bewertet, sondern generiert auch proaktiv Entwürfe, die den definierten Einschr?nkungen und Zielen entsprechen.
Als Fallbeispiel, um ihren KI-Assistenten zu entwickeln, nutzten die Forschenden in Zusammenarbeit mit Kollegin Vera Balmer das Projekt einer Fussg?ngerbrücke in St. Gallen, die das Ingenieurunternehmen Basler und Hofmann zusammen mit Nau2 und dgj Landscapes bereits entworfen hatte. Diese Brücke, der sogenannte Wiborada-Steg, führt durch einen Park in der Altstadt und sollte m?glichst keine der geschützten B?ume tangieren.
W?hrend ihrer Arbeit an diesem Projekt standen die ETH-Forschenden in Kontakt mit dem Ingenieurbüro, das von der Pr?sentation der Ergebnisse beeindruckt war. Der KI-Assistent lieferte verschiedene m?gliche Brückenbeispiele und machte zudem eine sogenannte Sensitivit?tsanalyse, die angab, welcher Parameter am meisten Einfluss beispielsweise auf die normgem?sse Tragsicherheit, die gesch?tzten Kosten oder die Nachhaltigkeit hat.
?Der KI-Assistent unterstützt so den Ingenieur, doch er ersetzt ihn nicht?, ist Kuhn überzeugt. Schl?gt der KI-Assistent beispielsweise ein unerwartetes Design vor, das zwar die Vorgaben zur Tragsicherheit und Umweltvertr?glichkeit erfüllt, müssen die Ingenieure dennoch beurteilen, ob sich diese Brücke überhaupt bauen l?sst und ob sie auch langlebig ist. ?Wir liefern keine L?sung mit einem einzigen Klick; es geht immer um eine Interaktion zwischen dem Ingenieur und der KI?, sagt die Forscherin.

Werkzeugkasten für angepasste KI-Modelle
Die fortschrittlichen Techniken des maschinellen Lernens lassen sich nicht nur im Brückenbau anwenden. Zusammen mit weiteren ETH-Forschenden aus dem Swiss Data Science Center und aus der Architekturprofessur Gramazio Kohler Research entwickelte die Forschungsgruppe aus der Professur Kaufmann einen Werkzeugkasten, der KI-Algorithmen auch anderen Ingenieuren und Architekten zug?nglich macht, ohne dass es dafür grosse Programmierkenntnisse braucht.
?Mit unserer Open-Source-Toolbox kann man mit wenigen Zeilen Code sowohl Vorw?rts-Modelle als auch generative Modelle bauen, mit denen sich komplexe, hochdimensionale Probleme in Architektur, Ingenieurwesen, Bauindustrie und weiteren Bereichen l?sen lassen?, erkl?rt Sophia Kuhn. Damit soll die wirtschaftliche und nachhaltige Planung im Bauwesen auf breiter Basis gef?rdert werden. ?Im Bausektor sind solche L?sungsans?tze noch weniger verbreitet als in anderen Industrien wie etwa dem Maschinenbau?, sagt Kuhn: ?Hier gibt es noch viel Potenzial, um mit datengestützten Methoden effizienter und nachhaltiger zu werden. Und das ist auch unser Ziel.?
Literaturhinweis
Balmer, V, Kuhn, SV, Bischof R, Salamanca, L, Kaufmann, W, Perez-Cruz, F, Kraus, MA. Design Space Exploration and Explanation via Conditional Variational Autoencoders in Meta-Model-Based Conceptual Design of Pedestrian Bridges. Automation in Construction, Vol. 163, July 2024, 105411, doi: externe Seite 10.1016/j.autcon.2024.105411