«Unsere frei verfügbaren Reserven werden spätestens Ende 2025 aufgebraucht sein»
Die ETH Zürich hat heute ihren Gesch?ftsbericht publiziert und über ihre finanzielle Situation berichtet. Dabei hat sie aufgezeigt, dass die BFI-Botschaft 2025-2028 die Hochschule zur Prüfung einschneidender Massnahmen zwingt. Stefan Spiegel, Vizepr?sident für Finanzen und Controlling, und ETH-Pr?sident Jo?l Mesot erkl?ren, was dies für die ETH-Community bedeutet.
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Im heute publizierten Gesch?ftsbericht ist zu lesen, dass die ETH Zürich im letzten Jahr 50 Millionen Franken ?berschuss gemacht hat. Hat es die ETH Zürich beim Sparen übertrieben?
Stefan Spiegel: Nach einem Verlust von rund 70 Millionen Franken 2022 bin ich froh, dass wir kein weiteres Defizit ausweisen müssen. Dies haben wir dank interner Kostendisziplin, der erfreulichen Entwicklung bei Donationen und einem positiven Finanzergebnis erreicht. Und nein, wir haben nicht zu viel gespart. Denn trotz dieses positiven Ergebnisses nimmt die Liquidit?t der ETH Zürich seit 2020 kontinuierlich ab. Die ETH Zürich kann ihren Liquidit?tsbedarf für Investitionen und Betrieb schon seit Jahren nicht vollst?ndig aus Bundesbeitr?gen und Drittmitteleinnahmen decken. Wir leben im Moment von den frei verfügbaren Reserven, die aber Ende 2025 vollst?ndig aufgebraucht sein werden.
Genau diese Reserven hat auch der Bund im Visier. Deshalb hat er dem ETH-Bereich für 2025 nochmals massive Sparvorgaben gemacht. Was heisst das nun für die ETH Zürich?
Stefan Spiegel: Dass der Bund weiter sparen muss, ist keine ?berraschung. Daher haben wir in den letzten Jahren an der ETH schon mehrere schmerzhafte Verzichtsplanungen vorgenommen. Die nun zus?tzlich auferlegten Sparvorgaben für 2025 werden wir durch die Nutzung der noch vorhandenen frei verfügbaren Reserven bew?ltigen k?nnen.
?Anders als in den beiden Vorjahren werden wir keine fl?chendeckenden Sparmassnahmen vorschreiben.?Stefan Spiegel, Vizepr?sident für Finanzen und Controlling
Was bedeutet dies für unseren internen Budgetplanungsprozess 2025?
Stefan Spiegel: Anders als in den beiden Vorjahren werden wir keine fl?chendeckenden Sparmassnahmen vorschreiben. Die Kürzungen von insgesamt rund 60 Millionen Franken, die wir in der letztj?hrigen Budgetplanung vorgenommen hatten, kommen uns auch in den Folgejahren zugute. Klar ist aber, dass wir unsere Ausgaben weiterhin gezielt überprüfen und mittelfristig unsere Effizienz weiter steigern sowie unsere Leistungserbringung priorisieren müssen.
Damit scheint dann alles wieder im grünen Bereich zu sein?
Stefan Spiegel: Nein, leider nicht. Die kurzfristigen Sparvorgaben k?nnen wir bew?ltigen. Was uns aber Sorge bereitet, ist die mittel- und langfristige Perspektive. So h?lt der Bundesbeitrag schon lange nicht mehr mit den Studierendenzahlen mit. Das nun im Rahmen der BFI-Botschaft 2025-2028 in Aussicht gestellte j?hrliche Budgetwachstum von 1.2 Prozent wird dazu führen, dass sich diese Schere weiter ?ffnet. Ohne zus?tzliche Gegenmassnahmen k?nnte die ETH Zürich bereits heute aussergew?hnliche Aufw?nde wie beispielsweise das Abfedern der Teuerung in den Jahren 2022 und 2023 nicht mehr bew?ltigen. Sp?testens ab 2026 k?nnten zudem die internen Verpflichtungen, zum Beispiel im Bereich von zugesagten Forschungsprojekten und -initiativen, nicht mehr vollumf?nglich erfüllt werden. Und Ende 2028 w?ren s?mtliche Reserven, auch die zweckgebundenen, aufgebraucht. Die finanzielle Schieflage wird sich deshalb in den n?chsten Jahren versch?rfen. Zudem fehlen uns natürlich diese Reserven für gr?ssere Investitionen oder den Ausgleich von Schwankungen.
?Wir sind an einem Punkt, wo wir das anhaltende Studierendenwachstum bei real betrachtet stagnierendem Budget nicht mehr ohne Qualit?tseinbussen in Lehre und Forschung meistern k?nnen.?Jo?l Mesot, ETH-Pr?sident
Jo?l Mesot, ist das der Grund, warum Sie heute vor die Medien getreten sind?
Jo?l Mesot: Ja. Ich sehe es als unsere Pflicht, der ?ffentlichkeit aufzuzeigen, welche Konsequenzen die aktuelle BFI-Botschaft für unsere Hochschule haben wird. Wir sind an einem Punkt angelangt, wo wir das anhaltende Studierendenwachstum bei real betrachtet stagnierendem Budget nicht mehr ohne Qualit?tseinbussen in Lehre und Forschung meistern k?nnen. Ich mache mir zudem Sorgen um die Zukunft der Schweiz. Offensichtlich sind sich nicht alle bewusst, welchen Anteil Forschung und Bildung an unserem Wohlstand haben. Die Schweiz geh?rt heute zu den innovativsten L?ndern der Welt. Diese Stellung verlieren wir, wenn Forschung und Bildung zu stark zur Kasse gebeten werden.
Sie haben die Prüfung von einschneidenden Massnahmen angedroht. Zum Beispiel auch die Einführung von Studienplatzbeschr?nkungen. Das w?re ein Tabubruch.
Jo?l Mesot: Das w?re es. Aber wir sind an einem Punkt angelangt, wo wir alle Optionen auf den Tisch legen müssen. Wenn wir keine Abstriche bei der Qualit?t machen wollen, dann gehen mehr Studierende bei stagnierendem Budget einfach nicht auf. Wie eine solche Studienplatzbeschr?nkung konkret ausgestaltet werden k?nnte, haben wir jedoch noch nicht diskutiert.
Man h?rt auch Stimmen, dass man doch einfach die Studiengebühren erh?hen k?nne. Wieso haben sie diese Massnahmen nicht ins Feld geführt?
Jo?l Mesot: Ich und auch die ganze Schulleitung sind klar der Meinung, dass dies der falsche Weg w?re. Der Zugang zu einem ETH-Studium basiert auf Leistung und intellektuellem Potenzial. Eine Erh?hung der Studiengebühren verschiebt diesen Fokus auf ?konomische Aspekte und verletzt unser Gleichbehandlungsprinzip: Nicht mehr die Besten, sondern jene, die es sich leisten k?nnen, würden den Weg an die ETH finden. Für die soziale Mobilit?t in der Schweiz w?re das verheerend.
Zus?tzlich erw?hnen Sie einen ?gezielten Anstellungsstopp?. Was meinen Sie damit?
Jo?l Mesot: Indirekt w?re dies ein Stellenabbau über die Fluktuation – das darf man nicht sch?nreden. Wir wollen dies aber gezielt in Bereichen machen, wo wir uns aufgrund der finanziellen Situation für einen Leistungsabbau entscheiden müssten. Es ist heute schon so, dass zumindest in den zentralen Einheiten s?mtliche Stellenbesetzungen vom zust?ndigen Schulleitungsmitglied bewilligt werden müssen und dass wir dabei sehr restriktiv sind.
Sie sprechen auch davon, einzelne Forschungs- und Studienrichtungen einzustellen. An welche denken Sie da?
Jo?l Mesot: Wie gesagt, wir sprechen hier von m?glichen Massnahmen, die wir ergreifen müssten, wenn sich am geplanten Budgetwachstum nichts mehr ?ndert. Unsere ?berlegungen dazu sind daher noch nicht konkret. Aber ja, wenn wir l?ngerfristig unsere Ausgaben nicht mehr mit den Einnahmen decken k?nnen, müssen wir auch überlegen, auf welche Forschungs- und Studienrichtungen wir verzichten müssten.
Wie geht es nun weiter und sehen Sie Chancen, dass das Budgetwachstum in der BFI-Botschaft nach oben korrigiert wird?
Jo?l Mesot: Das Parlament kann die BFI-Botschaft noch anpassen. Wir haben heute über die finanziellen Auswirkungen und m?gliche Gegenmassnahmen informiert. Zudem sind wir zusammen mit dem ETH-Rat im engen Austausch mit der Politik. Gemeinsam versuchen wir das Parlament zu überzeugen, dass die Willens- und Wissensnation Schweiz auf Investitionen in ihren einzigen Rohstoff angewiesen ist.
Das Sparthema dominiert seit langem die ETH-Agenda. Wie verhindern wir, dass dies intern die Innovationskraft l?hmt?
Jo?l Mesot: Klar, das Sparthema pr?gt die ?ffentliche Debatte und treibt uns alle sehr stark um. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass wir als ETH grunds?tzlich noch immer über grosszügige finanzielle Mittel und eine hervorragende Infrastruktur verfügen. Wenn ich auf das letzte Jahr zurückschaue, dann sehe ich, dass unser Output, unsere Forschung und unser Beitrag an die Gesellschaft nach wie vor grossartig sind. Zudem, das hat das letzte Jahr auch gezeigt, sind wir beim Anwerben von Donationen immer erfolgreicher und werden dort unsere Anstrengungen weiter ausbauen. Ich bin insgesamt voll davon überzeugt, dass wir immer noch viele Trümpfe in der eigenen Hand haben und es gemeinsam packen werden, die Wettbewerbsf?higkeit unserer Hochschule weiter zu erh?hen.
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