Wie ein Forschungsaufenthalt im Ausland eine Dissertation bereichert

Der Forschungsgegenstand von Tamaki Ohmura sind Parlamente. In ihrem B¨¹ro am Haldeneggsteig untersucht sie, wie sich Parlamentarierinnen und Parlamentarier in Abstimmungen verhalten. Welche Wirkung hat zum Beispiel das Wahlsystem auf die Entscheidungsfindung einzelner Parlamentsmitglieder? Verhalten sich die Politikerinnen und Politiker anders, je nachdem, wie und von wem sie gew?hlt wurden? F¨¹hlen sie sich eher einer lokalen oder eher einer nationalen W?hlerschaft verpflichtet oder folgen sie strikt ihrer Partei?

Diese Fragen erforscht Tamaki Ohmura mittels Abstimmungsdaten aus dem Deutschen Bundestag. Sie ist Doktorandin in der Gruppe von Stefanie Bailer, Assistenzprofessorin f¨¹r Global Governance an der ETH Z¨¹rich.

Deutsches Mischwahlsystem

Deutschland w?hlt seine Bundestagsabgeordneten nach zwei verschiedenen Verfahren: die eine H?lfte wird lokal in aktuell 299 Wahlkreisen durch Mehrheitswahl gew?hlt, die andere H?lfte durch Verh?ltniswahl (Proporz) aufgrund der Wahllisten der Parteien in den Bundesl?ndern. Auch Schweizerinnen und Schweizer w?hlen mit zwei Verfahren, wenden diese jedoch je nach Kammer getrennt an: im St?nderat erfolgt die Sitzverteilung entsprechend der Mehrheit der Stimmen pro Kandidat, im Nationalrat gem?ss dem W?hleranteil der Parteien in den Kantonen.

?Das Mischwahlsystem ist historisch noch vergleichsweise jung. 1949  entstand es zuerst in Deutschland. Daher haben wir dort die l?ngsten Erfahrungswerte. Mittlerweile kennen jedoch auch andere L?nder unterschiedliche Formen von Mischwahlsystemen. Mich interessiert, wie sich das individuelle Entscheidungsverhalten einzelner Parlamentsmitglieder in Mischwahlsystemen von jenem in reinen Systemen unterscheidet?, legt Tamaki Ohmura dar. Ihre Doktorarbeit wird sie voraussichtlich n?chstes Jahr abschliessen.

Abstimmungsverhalten bei Gewissensentscheiden

In ihrer Analyse der Abstimmungsdaten schenkt sie den sogenannten Gewissensabstimmungen besondere Aufmerksamkeit. Dabei handelt es sich um Gesetze, die einen Inhalt moralischer Natur aufweisen, wie etwa die Regulierung von Schwangerschaftsabbr¨¹chen, Euthanasie oder Stammzellenforschung. In der Regel wird die Fraktionsdisziplin bei solchen Abstimmungen aufgehoben, weshalb die ¨¹blichen Erkl?rungen zum individuellen Abstimmungsverhalten nicht zum Tragen kommen. Obwohl diese Themen eine hohe Gesellschaftsrelevanz aufweisen, sind Untersuchungen zu deren Entscheidungsfindung weitgehend ausgeblieben.

Bis zum Abschluss ihrer Dissertation hat sie noch einige Arbeit vor sich: Sie hat in Kooperation mit Forschenden aus einem von der Thyssen Stiftung finanzierten Projekt alle namentlichen Abstimmungsdaten seit 1949 erhoben. Bei der Erhebung, Auswertung und Interpretation der Daten aus dem Bundestag und der institutionellen Informationen zum Wahlsystem ist sie auf den internationalen Austausch mit Politikwissenschaftlerinnen und ¨Cwissenschaftlern der Universit?ten Bamberg und Konstanz angewiesen.

Mit Doc.Mobility nach San Diego

Ab dem zweiten Jahr ihres Doktorats k?nnen sich Doktorierende von Schweizer Hochschulen beim Schweizerischen Nationalfonds (SNF) f¨¹r das Mobilit?tsstipendium ?Doc.Mobility? bewerben, wenn sie einen Forschungsaufenthalt im Ausland ins Auge fassen. F¨¹r Tamaki Ohmura stand fest, dass sie sich bei einem Spezialisten f¨¹r Methoden der vergleichenden Parlamentsforschung  weiterbilden wollte.

Von verschiedenen Forschenden wusste sie, dass Kaare Str?m, Professor f¨¹r Politikwissenschaft an der Universit?t von Kalifornien in San Diego, nicht nur zu den innovativsten Forschern seines Fachs geh?rt, sondern zugleich der Betreuung seiner Gastdoktorierenden viel Wert beimisst.

?Ich wollte zu Kaare Str?m, weil er einer der f¨¹hrenden Parlamentsforscher ist und dadurch Doktoranden mit demselben Forschungsinteresse an seine Institution zieht?, sagt Tamaki Ohmura, ?der Austausch und die intensiven Diskussionen der verschiedenen Forschungsarbeiten in seinem Doktorandenseminar haben mich enorm vorangebracht.?  Sechs Monate blieb sie in San Diego (im Rahmen von Doc.Mobility sind Auslandaufenthalte zwischen sechs und 18 Monaten m?glich).

Fr¨¹h vorbereitet

Am Anfang musste Tamaki Ohmura sich etwas umstellen, weil das Doktorat in San Diego anders organisiert ist als in Z¨¹rich und sich auch die Alltagskultur unterscheidet. Im R¨¹ckblick empfindet sie die Zeit in den USA als sehr bereichernd. Geholfen hat ihr, dass sie sich vor ihrem Aufenthalt fr¨¹h mit Kaare Str?m abstimmte und so die Kurse belegen konnten, die ihr f¨¹r ihre Forschung am meisten n¨¹tzten.

?berhaupt, res¨¹miert Tamaki Ohmura, habe es ihr sehr geholfen, dass sie schon fr¨¹hzeitig an einer Konferenz mit Kaare Str?m ¨¹ber ihre Forschung reden und ihren Besuch in San Diego mit ihm besprechen konnte. Als sie sich dann f¨¹r Doc.Mobility bewarb, erhielt sie rasch Str?ms Zusage und hatte so genug Zeit, um den Antrag und den Kurzbeschrieb ihres Projekts f¨¹r den SNF zu schreiben. Das Bewerbungsverfahren selbst, sagt sie, sei gut dokumentiert und unkompliziert, aber auch zeitaufw?ndig.

Ausgehend von ihren Erfahrungen, r?t Tamaki Ohmura:  ?Sich fr¨¹hzeitig ¨¹ber Aufenthaltsm?glichkeiten erkundigen. Einen Professor ausw?hlen, der einen gut betreut. Regelm?ssig den Kontakt zu ihm und zu anderen Topforschenden pflegen und vor allem Kurse besuchen, die an der ETH nicht angeboten werden.?