Seltene Proteine kollabieren früher
Einige Organismen halten es in heissen Quellen aus, andere nur bei milden Temperaturen, denn ihre Proteine sind nicht gleichermassen hitzebest?ndig. Diesen Unterschieden sind ETH-Forschende nachgegangen, und sie zeigten, dass oft nur wenige Schlüsselproteine über Leben und Hitzetod einer Zelle entscheiden.
Man schl?gt ein Ei auf, l?sst es in die heisse Bratpfanne gleiten – und fast unmittelbar danach wird das transparente und glibbrige Eiklar weiss und fest. Was man beim Spiegeleierbraten beil?ufig beobachtet, ist ein wichtiges biochemisches Ph?nomen: die Denaturierung von Proteinen.
Proteine werden in der Zelle als fadenf?rmige Moleküle hergestellt, die anschliessend zu einer proteinspezifischen Form zusammengekn?uelt werden: Manche sind kugelig, andere r?hrenf?rmig. Bei der Denaturierung zerfallen diese Formen. Die Proteine werden wieder f?dig und büssen dadurch auch ihre Funktionen ein.
Denaturierung auf einen Schlag?
Bislang ging die Forschung aufgrund von Computeranalysen davon aus, dass ein Grossteil der Proteine einer Zelle denaturieren, wenn der schmale Temperaturbereich, in welchem Proteine optimal funktionieren, überschritten wird. Beim Darmbakterium E. coli liegt die optimale Betriebstemperatur bei rund 37 Grad Celsius, ab 46 Grad sterben die Bakterien ab, weil die Formen ihrer Proteine zerfallen.
Diese grunds?tzliche Annahme st?sst nun ein Team von Forschenden unter der Leitung von Paola Picotti, Assistenzprofessorin in Biochemie der ETH Zürich, um. In einer Studie, die soeben in der Fachzeitschrift ?Science? erschien, zeigen die Forscherinnen und Forscher auf, dass beim Erreichen eines kritischen Temperatur-Schwellenwerts nur ein kleiner Anteil von Schlüsselproteinen gleichzeitig denaturieren.
In ihrer Studie – der umfassendsten, die je zu diesem Thema gemacht wurde – untersuchten und verglichen sie die Gesamtheit aller Proteine, das sogenannte Proteom, von vier Organismen bei unterschiedlichen Temperaturen. So setzten die Forschenden das Darmbakterium E. coli, menschliche Zellen, Hefezellen und das hitzebest?ndige Bakterium T. thermophilus schrittweise steigenden Temperaturen bis zu 76 Grad aus. Nach jedem Temperaturschritt massen die Wissenschaftlerinnen s?mtliche in den Zellen vorhandenen Proteine und bestimmten deren Struktur. Total analysierten die Forschenden 8000 verschiedene Proteine.
Schlüsselkomponenten zerfallen zuerst
?Dank diesen Untersuchungen k?nnen wir nun aufzeigen, dass bei Temperaturen, bei denen die Organismen jeweils absterben, nur wenige Proteine kollabieren?, sagt Picotti. ?Die Voraussage, dass die Mehrzahl der Proteine eines Organismus gleichzeitig denaturieren, konnten wir nicht best?tigen.?
Rund 80 der untersuchten Proteine zerfielen bereits dann, wenn die Temperatur das artspezifische Optimum um wenige Grad überstiegen hatte. Obschon sie nur einen kleinen Teil der Proteine einer Zelle ausmachen, ist das für die Zelle fatal, denn manche dieser Proteintypen üben lebenswichtige Funktionen aus oder sind zentrale Schlüsselkomponenten in einem grossen Proteinnetzwerk. ?Sobald diese Schlüsselkomponenten ausfallen, kann die Zelle nicht weiterleben?, sagt Picotti.
Flexibilit?t kann instabil machen
Dass Schlüsselkomponenten eines biologischen Systems hitzeempfindlich sind, erscheint auf den ersten Bilck als Fehlleistung der Evolution. Diese Proteine seien aber instabil als Folge ihrer Flexibilit?t, um vielf?ltige Aufgaben in der Zelle erledigen zu k?nnen, sagt die Biochemikerin. ?Flexibilit?t und Stabilit?t k?nnen sich gegenseitig ausschliessen. Die Zelle muss da einen Kompromiss eingehen.?
Die Forschenden zeigen zudem auf, dass die Proteine, die am stabilsten und am wenigsten anf?llig für Verklumpungen oder anomale Faltungen sind, in den Zellen auch die h?ufigsten sind. Aus Sicht der Zelle sei dies sinnvoll. W?re es umgekehrt und würden die h?ufigsten Proteine am schnellsten anormale Strukturen annehmen, müsste die Zelle viel Energie in deren Wiederaufbau oder deren Entsorgung investieren. Deshalb sorgen Zellen dafür, dass h?ufige Proteine stabiler sind als die seltenen.
Weshalb aber k?nnen dem Bakterium T. thermophilus selbst Temperaturen von über 70 Grad nichts anhaben? Diese Zellen, so die Forscherin, würden bevorzugt die hitzesensibleren und für die Funktion unentbehrlichen Proteine stabilisieren, unter anderem durch angepasste Proteinsequenzen.
W?rmetolerante Bakterien für industrielle Prozesse
Picottis Erkenntnisse k?nne dabei helfen, Organismen genetisch so zu ver?ndern, dass sie h?here Temperaturen ertragen. Bereits heute werden gewisse Chemikalien, wie zum Beispiel Ethanol, biotechnologisch mit Hilfe von Bakterien produziert. Oft arbeiten diese Bakterien nur in einem engen Temperaturfenster, was jedoch beim Ertrag Grenzen setzt. K?nnte die Produktion bei h?heren Temperaturen ablaufen, k?nnte der Ertrag optimiert werden, ohne dass die Bakterien Schaden nehmen.
Die Forscher fanden auch Anzeichen dafür, dass gewisse denaturierte Proteine bei noch h?heren Temperaturen dazu tendieren, sich erneut zu verklumpen und Aggregate zu bilden. In menschlichen Zellen fanden Picotti und Kollegen das Protein DNMT1, das bei zunehmender W?rme erst denaturiert und sp?ter mit Seinesgleichen aggregiert. Dieses und weitere Proteine mit ?hnlichen Eigenschaften wird mit Nervenerkrankungen wie Alzheimer oder Parkinson in Verbindung gebracht.
Erste umfassende Stabilit?tsstudie
Bei dieser Studie handelt sich um die erste, welche die Hitzestabilit?t von Proteinen mehrerer Organismen und in grossem Massstab direkt in der komplexen Zellmatrix untersuchte. Proteine wurden für die Messungen weder aus dem Zellsaft isoliert noch gereinigt. Die Forscher brachen für ihre Untersuchungen die Zellen auf und massen danach bei verschiedenen Temperaturen die Stabilit?t aller Proteine direkt im Zellsaft.
Literaturhinweis
Leuenberger P, Ganscha S, Kahraman A, Cappelletti V, Boersema PJ, von Mering C, Claassen M, Picotti P. Cell-wide analysis of protein thermal unfolding reveals determinants of thermostability. Science 2017. 355: eaal7825, doi: externe Seite 10.1126/science.aal7825