Nanopartikel bleiben unberechenbar

Das Verhalten von Kleinstteilchen in der Umwelt ist ?usserst komplex. Um dieses umfassend zu verstehen, fehlt es heute an systematischen Experimentaldaten, wie ETH-Umweltwissenschaftler in einer grossen ?bersichtsstudie zeigen. Eine standardisiertere Herangehensweise würde das Forschungsfeld weiterbringen.

Viele künstliche Nanopartikel gelangen früher oder später in Gewässer, Böden und Sedimente. (Grafik: iStock / enot-poloskun)
Viele künstliche Nanopartikel gelangen früher oder sp?ter in Gew?sser, B?den und Sedimente. (Grafik: iStock / enot-poloskun)

Die Nanotech-Industrie boomt. J?hrlich werden weltweit mehrere Tausend Tonnen künstliche Nanopartikel hergestellt. Ein Teil davon gelangt früher oder sp?ter in Gew?sser und B?den. Was dort mit ihnen genau geschieht, k?nnen selbst Experten nur schwer sagen. Die Frage ist komplex, denn es gibt viele verschiedene Arten von künstlichen Nanopartikeln. Und vor allem: Die Partikel verhalten sich in der Umwelt je nach herrschenden Bedingungen v?llig unterschiedlich.

Forschende um Martin Scheringer, Privatdozent am Departement Umweltsystemwissenschaften, wollten Licht ins Dunkel bringen. Sie suchten in 270 wissenschaftlichen Studien und den beinahe 1000 darin erw?hnten Laborexperimenten zum Verhalten von künstlichen Nanopartikeln nach Mustern. Dies mit dem Ziel, allgemeingültige Voraussagen zum Verhalten der Partikel zu machen.

Partikel heften sich an alles

Den Forschenden pr?sentierte sich beim Kombinieren der Daten jedoch ein sehr uneinheitliches Bild. ?Der Sachverhalt ist komplexer, als das wohl viele Wissenschaftler noch vor Jahren vorausgesagt h?tten?, sagt Scheringer. ?Und wir müssen einsehen, dass wir mit den uns heute zur Verfügung stehenden Daten noch kein einheitliches Bild zeichnen k?nnen.?

Nicole Sani-Kast, Doktorandin in der Gruppe von Scheringer und Erstautorin der in der Fachzeitzeitschrift PNAS ver?ffentlichten Analyse, erg?nzt: ?Künstliche Nanopartikel verhalten sich sehr dynamisch, und sie sind sehr reaktionsfreudig. Die Teilchen heften sich an alles, was sie finden: an andere Nanopartikel, um mit ihnen Agglomerate zu bilden, oder andere in der Umwelt vorhandene Moleküle.?

Netzwerk-Analyse

Die Forschenden werteten die in der Fachliteratur veröffentlichten Experimentaldaten mit einer Netzwerk-Analyse aus. Diese Analyse macht sichtbar, welche Arten von Nanopartikeln (blau) bei welchen Umweltbedingungen (rot) untersucht wurden. (Grafik: Thomas Kast)
Die Forschenden werteten die in der Fachliteratur ver?ffentlichten Experimentaldaten mit einer Netzwerk-Analyse aus. Diese Analyse macht sichtbar, welche Arten von Nanopartikeln (blau) bei welchen Umweltbedingungen (rot) untersucht wurden. (Grafik: Thomas Kast)

Womit genau die Teilchen reagieren und wie schnell, h?ngt von verschiedenen Faktoren ab: dem S?uregrad von Wasser oder Boden, der Konzentration der vorhandenen Mineralstoffe und Salze und vor allem der Zusammensetzung der im Wasser gel?sten oder im Boden vorhandenen organischen Moleküle. Ausserdem macht die Tatsache, dass künstliche Nanopartikel oft oberfl?chenbeschichtet sind, die Sache noch komplizierter: Denn je nach Umweltbedingungen behalten oder verlieren die Partikel ihre Beschichtung, was wiederum ihr Reaktionsverhalten beeinflusst.

Um die in der Literatur ver?ffentlichten Resultate auszuwerten, wandte ETH-Doktorandin Sani-Kast erstmals in diesem Forschungsfeld eine Netzwerk-Analyse an, wie sie zum Beispiel aus der Sozialforschung zum Erfassen von Netzwerken sozialer Beziehungen bekannt ist. Damit konnte sie zeigen, dass die vorhandenen Daten wenig divers, wenig konsistent und wenig strukturiert sind.

Mehr Systematik für maschinelles Lernen

?W?ren strukturierte, konsistentere und ausreichend diverse Daten vorhanden, w?re es denkbar, mit den Methoden des Maschinellen Lernens allgemeingültige Muster zu entdecken?, sagt Scheringer. ?Wir sind allerdings noch nicht an diesem Punkt.? Zun?chst müssten ausreichend strukturierte Experimentaldaten vorhanden sein.

?Damit die Wissenschaftsgemeinschaft jedoch systematisch und standardisiert solche Experimente durchführt, w?re wohl irgendeine Art von Koordination n?tig?, erg?nzt ETH-Doktorandin Sani-Kast, doch sie weiss, dass solche Arbeiten schwierig zu koordinieren sind. Es entspricht eher der Natur und den Vorlieben von Wissenschaftlern, neue Methoden zu entwickeln und zuvor nicht analysierte Umweltbedingungen zu untersuchen, als routinem?ssig standardisierte Experimente durchführen.

Künstliche von natürlichen Nanopartikeln unterscheiden

Neben der mangelnden Systematik gibt es noch ein zweites, handfestes Problem beim Erforschen des Verhaltens von künstlichen Nanopartikeln: Viele künstliche Nanopartikel bestehen aus chemischen Elementen und Verbindungen, die natürlicherweise in der Umwelt vorkommen. Künstliche Teilchen in der Umwelt von natürlichen zu unterscheiden, war mit bisherigen Messmethoden schwierig.

Forschende am Departement Chemie und angewandte Biowissenschaften der ETH Zürich unter der Leitung von ETH-Professor Detlef Günther haben jüngst jedoch eine leistungsf?hige Methode etabliert, mit der eine solche Unterscheidung in Routineuntersuchungen m?glich wird. Die Wissenschaftler nutzten dazu eine topmoderne und hochempfindliche Massenspektrometrie-Technik (genannt spICP-TOF-Massenspektrometrie). Mit dieser k?nnen sie von jedem einzelnen Nanoteilchen einer Probe bestimmen, aus welchen chemischen Elementen es zusammengesetzt ist.

In Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern der Universit?t Wien wandten die ETH-Forschenden die Methode auf Bodenproben an, die natürliche Nanopartikel mit dem chemischen Element Cer enthalten, und in die sie künstliche Cerdioxid-Nanopartikel mischten. Mit Methoden des maschinellen Lernens – die sich für diese spezielle Fragestellung hervorragend eigneten – konnten die Forschenden Unterschiede in den chemischen Fingerabdrücken der beiden Teilchenklassen ausmachen. ?W?hrend künstlich hergestellte Nanopartikel oft aus einer einzigen Verbindung bestehen, enthalten natürliche Nanopartikel meist noch eine Reihe von zus?tzlichen chemischen Elementen?, erkl?rt Alexander Gundlach-Graham, Postdoc in Günthers Gruppe.

Die neue Messmethode ist sehr empfindlich: Die Wissenschaftler konnten damit künstliche Partikel in Proben mit bis zu hundertmal mehr natürlichen Teilchen messen.

Literaturhinweise

Sani-Kast N, Labille J, Ollivier P, Slomberg D, Hungerbühler K, Scheringer M: A network perspective reveals decreasing material diversity in studies on nanoparticle interactions with dissolved organic matter. PNAS 2017, 114: E1756-E1765, DOI: externe Seite 10.1073/pnas.1608106114

Praetorius A, Gundlach-Graham A, Goldberg E, Fabienke W, Navratilova J, Gondikas A, Kaegi R, Günther D, Hofmann T,  von der Kammer F: Single-particle multi-element fingerprinting (spMEF) using inductively-coupled plasma time-of-flight mass spectrometry (ICP-TOFMS) to identify engineered nanoparticles against the elevated natural background in soils. Environonmental Science: Nano 2017, 4: 307-314, DOI: externe Seite 10.1039/c6en00455e

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