Dieser Roboter sticht ins Auge
Patienten mit einer altersbedingten Erkrankung der Netzhaut ben?tigen regelm?ssig Spritzen ins Auge. Diese müssen ihnen bisher spezialisierte ?rzte verabreichen. Doch schon bald k?nnte das ein Roboter übernehmen.
In der Schweiz ist die h?ufigste Ursache für eine schwere Sehbehinderung bei ?lteren Menschen die sogenannte Makuladegeneration. Bei den über 80-J?hrigen ist jeder Fünfte betroffen. Die Krankheit führt zwar selten zur vollst?ndigen Erblindung, beeintr?chtigt das Sehverm?gen aber stark. Betroffene sehen h?ufig nur noch verschwommen, k?nnen nicht mehr lesen oder Auto fahren. In schweren F?llen nehmen sie nur noch hell und dunkel wahr.
Die Krankheit l?sst sich nicht heilen, aber im fortgeschrittenen Stadium mit Medikamenten behandeln. Diese halten den Krankheitsverlauf auf und k?nnen manchmal sogar die Sehkraft wieder verbessern. Dazu muss Patienten in Abst?nden von vier bis sechs Wochen ein Medikament gespritzt werden, und zwar direkt ins Auge. ?Die Prozedur ist unangenehm, aber in der Regel nicht schmerzhaft?, sagt Professor Stephan Michels, Stellvertretender Chefarzt der Augenklinik des Zürcher Stadtspitals Triemli. Allein am Triemli werden 7500 Augeninjektionen pro Jahr durchgeführt, schweizweit sind es etwa 100'000. ?Manchmal behandle ich bis zu 60 Patienten an einem Tag?, sagt Michels.
Injektionen per Knopfdruck
Unterstützen k?nnte ihn und seine Kollegen dabei künftig ein Roboter, den der ETH-Start-up Ophthorobotics derzeit entwickelt. Die Firma haben Forschende des Multiscale Robotic Lab der ETH zusammen mit ?rzten des Triemlispitals gegründet. ?Unser Roboter wird der erste sein, der für Augeninjektionen eingesetzt werden kann?, sagt Franziska Ullrich, Maschinenbauingenieurin an der ETH und CEO von Ophthorobotics.
Dank dem Roboter braucht der Arzt die Spritze nicht mehr selbst zu verabreichen. Stattdessen wird das mobile Ger?t über dem Kopf des liegenden Patienten platziert. Es erstellt mit Hilfe von zwei Kameras ein 3D-Bild des Auges, in das die Injektion erfolgen soll. Dann berechnet es die Einstichstelle und positioniert selbstst?ndig die Injektionsnadel. Der Arzt kann alles in Echtzeit auf einem Bildschirm überwachen. Er muss nur noch kurz die Einstellungen prüfen und dann die Injektion per Knopfdruck starten. ?Mit dem Roboter wird der Eingriff pr?ziser und sicherer ?, sagt ETH-Forscherin Ullrich. Sie arbeitet an der Weiterentwicklung des Ger?ts, das vorerst nur als Prototyp im Labor existiert.
Bis jetzt führen ?rzte die Augeninjektionen manuell durch. Diese finden im Operationssaal statt. Dort bereitet zun?chst das Pflegepersonal den Patienten vor. Dessen Auge wird mit einem Lokalan?sthetikum unempfindlich gemacht und desinfiziert. Dann wird das Lid mit einer Klammer vorsichtig offen gehalten. Anschliessend setzt der Arzt die Spritze mit einer sehr feinen Nadel. Der Bereich, in den er injizieren kann, ist ein sehr schmaler Streifen zwischen Iris und ?usserem Augenwinkel. W?hrend des Einstichs darf der Patient das Auge nicht bewegen, weil es sonst verletzt werden k?nnte. ?Das kommt extrem selten vor?, sagt Augenarzt Michels.
Trotzdem würde der Roboter eine noch gr?ssere Sicherheit bieten. Denn er misst mit Hilfe von Sensoren, ob der Patient das Auge unmittelbar vor dem Einstich bewegt. In dem Fall bricht das Ger?t die Injektion sofort ab. ?Es kann schneller reagieren als wir ?rzte?, sagt Michels. Ein weiterer Vorteil wird sein, dass der Roboter jeden Patienten mittels Iris-Scan eindeutig identifiziert. So gibt es keine Verwechslungen von Patienten.
Gleichzeitig ist vorgesehen, dass das System automatisch die entsprechende Krankenakte aufruft, in der s?mtliche vorherigen Behandlungen gespeichert sind – beispielsweise auch, in welches von beiden Augen injiziert werden soll und mit welcher Medikamentendosis. Sogar die exakte Stelle des Einstichs merkt sich das System bei jeder Behandlung und berechnet dann für das n?chste Mal eine etwas andere Position. Das ist deshalb wichtig, weil zu h?ufiges Spritzen an derselben Stelle das Auge sch?digen k?nnte.
?rzte k?nnen Zeit sinnvoller nutzen
Den gr?ssten Vorteil des Roboters sieht Michels jedoch darin, dass er den ?rztinnen und ?rzten Zeit sparen und gr?ssere Flexibilit?t erm?glichen würde. Denn diese müssen bisher im Operationssaal warten, bis der n?chste Patient vorbereitet ist und sie die Spritze setzen k?nnen – ungenutzte Zeit, die sich über den Tag auf mehrere Stunden summiert. Eine Injektion an sich dauert hingegen nur etwa 30 Sekunden. ?Dank dem Roboter muss der Arzt künftig nicht mehr selbst im Operationssaal anwesend sein?, sagt Ullrich. Er kann das Ger?t von einem anderen Raum aus steuern, etwa seinem Sprechzimmer. ?Dadurch kann er die Zeit zwischen den Injektionen für andere Aufgaben nutzen?, sagt Ullrich.
Damit die Kommunikation mit dem Patienten trotzdem sichergestellt ist, werden im Ger?t ein Bildschirm sowie Mikrofon und Lautsprecher integriert sein. So k?nnen Arzt und Patient sich w?hrend der Behandlung sehen und miteinander sprechen, ?hnlich wie beim Skypen. Der Bildschirm dient ausserdem dazu, dass der Patient seinen Blick im Moment des Einstichs auf etwas fixieren und so die Augen besser still halten kann. Welche Bilder man ihm dazu am besten zeigt, testet man derzeit in Zusammenarbeit mit der Hochschule für Technik und Wirtschaft HTW Chur.
Hohe Akzeptanz bei Patienten
Dass sich Patienten dem Roboter auch tats?chlich anvertrauen würden, darauf deutet eine erste Umfrage hin, die Ophthorobotics mit 15 Personen mit Makuladegeneration durchgeführt hat. ?Wir waren überrascht davon, wie positiv die Befragten reagiert haben?, sagt Ullrich. Alle gaben an, dass sie sich vom Roboter behandeln lassen würden – auch dann, wenn der Arzt oder die ?rztin nicht im Raum ist, sie aber mit ihm oder ihr kommunizieren k?nnen.
Bei Spit?lern findet der Injektionsroboter ebenfalls Anklang: Bereits fünf Augenkliniken haben Interesse ge?ussert, ein solches Ger?t zu kaufen. Doch zun?chst müssen die Forschenden aus dem bestehenden Prototyp ein klinisch einsetzbares Ger?t entwickeln, dieses testen und schliesslich zertifizieren lassen. Dazu suchen sie zurzeit die n?tige Finanzierung. Einen ersten Erfolg k?nnen sie verzeichnen: Der Start-Up erh?lt vom Schweizerischen Nationalfonds und von der Kommission für Technologie und Innovation einen F?rderpreis in H?he von 130'000 Franken, der den Transfer von Forschungserkenntnissen in die Wirtschaft beschleunigen soll.
Dieser Artikel ist in der aktuellen Ausgabe von ?Globe? erschienen.