Kühlvorhang statt Klimaanlage

Trockenheit und Hitze steigen mit dem Klimawandel an. Effiziente Raumkühlung wird deshalb wichtiger. Ein ETH-Doktorand am Laboratorium für funktionale Materialien hat eine Alternative zu strombetriebenen Klimaanlagen entwickelt: einen Kühlvorhang aus einer dreilagigen, por?sen Membran.

Vergr?sserte Ansicht: Mario Stucki
Stromsparen bei Hitze: Mario Stucki entwickelte eine neuartige Membran, die R?ume kühlt. (Bild: Peter Rüegg / ETH Zürich)

Alles begann mit einer vagen Idee: ?Wir dachten, es w?re interessant, gegens?tzliche Funktionen in einem Material zu verbinden?, erz?hlt Mario Stucki, Doktorand am Functional Materials Laboratory der ETH Zürich. Er kombinierte zwei Lagen von hydrophobem (wasserabstossendem) Polyethuran mit einer mittleren Lage aus hydrophilem (wasseranziehendem) Polymer. Die resultierende Membran fühlt sich trocken an, obschon sie mit Wasser getr?nkt ist. Und da die ?usseren Schichten mit L?chern von rund einem  Mikrometer Durchmesser überzogen sind, kann Wasser aus der mittleren Schicht in die Umgebung entweichen.

Alternative für hitzegeplagte Gebiete

Als Stucki realisierte, wie gut der Wassertransport über die verschiedenen Schichten hinweg funktioniert, kam die Idee mit dem Kühlvorhang auf. ?Das Verdampfen von Wasser ben?tigt viel Energie?, erkl?rt Stucki. ?Dabei wird der Luft W?rme entzogen, sie kühlt sich ab, und gleichzeitig steigt die Luftfeuchtigkeit in der Umgebung.? Herk?mmliche Luftbefeuchter arbeiten genauso – brauchen dafür jedoch viel Strom. Stuckis System hingegen ist passiv. ?Die Sonnenstrahlung, die durch ein Fenster auf den Vorhang f?llt, liefert genug Energie für diese Art der Raumklimatisierung.?

Für heisse und trockene Gebiete k?nnten solche Vorh?nge ein Segen sein. Auf der Arabischen Halbinsel litten die Menschen 2015 an einer Hitzewelle mit Temperaturen von über 50°C. Und Klimawissenschaftler prognostizieren für Wüstengebiete noch h?here Temperaturen und gr?ssere Trockenheit. Das k?nnte sogar dazu führen, dass bestimmte Klimazonen unbewohnbar werden. Geb?ude und R?ume zu kühlen, wird deshalb zunehmend essentiell, verschlingt jedoch Unmengen an Strom. In den USA zum Beispiel gehen heute rund 15 Prozent des Energieverbrauchs auf Klimager?te zurück. Ein Grossteil der Energie stammt aus fossilen Quellen. Der passive Kühlvorhang w?re eine umwelt- und klimaschonende Alternative.

Weiterentwicklung einer früheren Innovation

Stucki sorgte bereits 2013 mit seiner Masterarbeit an der ETH Zürich für Aufsehen: In kürzester Zeit entwickelte er ein neuartiges Material für den Outdoor-Bereich. Dieses enth?lt im Gegensatz zu üblichen funktionalen Textilien keine umwelt- und gesundheitssch?dlichen Fluorverbindungen.

Seine aktuelle Forschung greift auf die damalige Erfindung zurück: Er funktionalisierte sein Textil über Platzhalter. Dazu mischte er winzige Kalkpartikel in das flüssige Polymer, das sp?ter zum Textil verarbeitet wird. Der Kalk kann anschliessend durch Behandlung mit Salz- oder Essigs?ure aus dem festen Material herausgel?st werden, so dass an den Stellen der Nanopartikel winzige L?cher entstehen. Diese sind n?tig, damit das Material funktional ist und ?atmen? kann. Die Aussenw?nde des Kühlvorhangs sind aus einem solchen por?sen Kunststoff gefertigt, damit die mittlere, hydrophile Schicht das Wasser überhaupt an die Umgebung abgeben kann.

Erstaunlich dünn: Die Membran ist kaum dicker als ein Blatt Papier. (Bild: Peter Rüegg / ETH Zürich)
Erstaunlich dünn: Die Membran ist kaum dicker als ein Blatt Papier. (Bild: Peter Rüegg / ETH Zürich)

Um die verschiedenen Lagen zu einem Material zu kombinieren, konnte Stucki auf eine Methode zurückgreifen, die 2012 von ETH-Professor Wendelin Stark und seiner Gruppe entwickelt worden war. Dabei werden die verschiedenen Schichten nicht miteinander verklebt, wie in industriellen Prozessen üblich. Vielmehr werden sie in einem geeigneten L?sungsmittel aufeinandergelegt, wodurch die ?usseren Schichten leicht angel?st werden und sich mit der mittleren verbinden. Nur so k?nnen die Forscher sicherstellen, dass das Aussenmaterial der Membrane por?s bleibt.

?Proof of concept? geglückt

Die grunds?tzliche Funktionalit?t des Kühlvorhangs konnte Stucki im Versuch beweisen. Dafür steckte er die dreilagige Membrane in ein Wasserbad und mass bei 30°C und 50 Prozent Luftfeuchtigkeit die Wasserabgabe an die Umgebung (zwischen 1,2 und 1,7 Kilogramm Wasser pro Tag und Quadratmeter). Die Forscher rechneten die Ergebnisse auf ein kubisches Geb?ude von 10 Meter Seitenl?nge hoch. Die darin verfügbare Vorhangfl?che von 80m2 reicht, um bei 40°C Aussentemperatur und 30°C Innentemperatur mehr W?rme abzuführen als die Sonne über die Einstrahlung zuführt. Das Haus würde somit passiv abgekühlt.

?Wir konnten zeigen, dass unser System grunds?tzlich funktioniert?, sagt Stucki. ?Doch für eine Kommerzialisierung müssten noch viele Fragen gekl?rt werden.? Zum Beispiel wie sich das Material mikrobiologisch verh?lt. Denn hohe Temperaturen und Feuchtigkeit bilden den idealen N?hrboden für das Wachstum von Bakterien und Pilzen. Der Kunststoff für den Aussenmantel k?nnte jedoch relativ einfach mit antiseptischen Materialien ersetzt werden, sagt Stucki. Dies sei einer der Vorteile der Funktionalisierung über Kalknanopartikel.

Eine weitere Herausforderung ist, dass die Vorh?nge über die Gesamtfl?che Wasser verdampfen k?nnen. Dafür muss der Wassertransport in der Membran noch verbessert werden. Und schliesslich ist noch unklar, wie lange die Membran stabil funktionieren würde.

Stucki wird sich nach Abschluss seines Doktorats im Sommer erst einmal auf die Kommerzialisierung von fluorfreien Outdoor-Textilien konzentrieren. Dafür sucht er aktuell Finanzierungspartner. Er schliesst allerdings nicht aus, dass auch die neuartige Membran Potenzial im Outdoor-Bereich hat. Denn sie eignet sich bestens, um Schweiss kontrolliert und gerichtet abzuführen – eine der wichtigsten Eigenschaften von funktionalen Textilien.

Literaturhinweis

Stucki M, Stark W. Stabilization of 2D Water Films in Porous Triple-Layer Membranes with a Hydrophilic Core: Cooling Textiles and Passive Evaporative Room Climate Control. Advanced Engineering Materials, 2017. DOI: externe Seite 10.1002/adem.201700134

Sommerserie

Im Rahmen einer Serie pr?sentiert ETH-News w?hrend der Ferienzeit regelm?ssig Beitr?ge zu Forschung und Innovation, welche etwas mit der sch?nsten Zeit des Jahres zu tun haben.

Bisher erschienen:

19.07. ?Den Urlaub nicht als Glücksmoment belasten?

21.07. ?Asphalt hat einen gewichtigen Nachteil?

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