Mit Dolchstössen gegen Amöben
Forschende der ETH Zürich und der Universit?t Wien entdeckten bei einer Bakterienart winzige Dolche, mit denen sich die Bakterien wehren k?nnen, um nicht von Am?ben aufgefressen zu wehren. Ausserdem entschlüsselten die Wissenschaftler die dreidimensionale Struktur der Vorrichtung zum schnellen Ausfahren der Mikro-Dolche.
Bakterien müssen sich vor Am?ben in Acht nehmen. Denn hungrige Am?ben machen Jagd auf sie. Sie fangen die Bakterien mit ihren Scheinfüsschen, verleiben sie sich ein und verdauen sie schliesslich.
Allerdings gibt es auch Bakterien, die sich zu wehren wissen. Amoebophilus ist so eines. Forschende der Universit?t Wien haben es vor einigen Jahren entdeckt. Das Bakterium kann im Innern von Am?ben überleben. Mehr noch: Es hat sich das Am?beninnere sogar zu seinem bevorzugten Lebensraum gemacht.
Wissenschaftler der ETH Zürich fanden nun gemeinsam mit den Wiener Entdeckern des Bakteriums einen Mechanismus, von dem sie annehmen, dass er für das ?berleben von Amoebophilus im Am?beninnern zentral ist. Das Bakterium besitzt Mikro-Dolche und geeignete Ausfahrvorrichtungen. Mit den Dolchen kann es die Am?ben von innen piesacken und dadurch dem Verdautwerden entkommen.
Befreiung aus dem Am?benmagen
Die Ausfahrvorrichtung besteht aus einem Mantelrohr, das über eine Grundplatte und eine Verankerung innen an der Membran des Bakteriums befestigt ist. Jo?o Medeiros, Doktorand in der Gruppe von ETH-Professor Martin Pilhofer erkl?rt den Mechanismus: ?Das Mantelrohr steht unter Federspannung, und in dessen Innern liegt der Mikro-Dolch. Zieht sich das Mantelrohr zusammen, wird der Dolch durch die Bakterienmembran extrem schnell nach aussen gedrückt.?
Einverleibte Bakterien befinden sich in den Am?ben in einem spezialisierten und von einer Membran umgebenen Verdauungskompartiment. ?Unsere Forschungsresultate legen nahe, dass die Bakterien in der Lage sind, die Dolche in die Membran des Am?ben-Verdauungskompartiments zu stossen?, sagt Désirée B?ck, ebenfalls Doktorandin in Pilhofers Gruppe und Erstautorin der in der Fachzeitschrift Science ver?ffentlichten Arbeit. Dies führt dazu, dass das für die Bakterien unwirtliche Kompartiment zerf?llt und die Bakterien freigibt. Ausserhalb des Verdauungskompartiments, aber immer noch im Innern der Am?ben, k?nnen die Bakterien prima überleben und sich sogar vermehren.
Wie genau das Verdauungskompartiment zerst?rt wird, ist noch nicht bekannt. ?M?glicherweise reisst die Hülle allein aus mechanischen Gründen?, sagt Pilhofer. Denkbar sei aber auch, dass die Dolche der Amoebophilus-Bakterien mit einer Art Pfeilgift – mit membranabbauenden Enzymen – impr?gniert seien. Im Erbgut der Bakterien sind die Bauanleitungen für solche Enzyme vorhanden, wie Matthias Horn, Professor an der Universit?t Wien, und seine Mitarbeitenden zeigen konnten.
Pr?zisionsfr?sen
Mit einer ganz neuen Methode, die erst von einer Handvoll Forschungslabors weltweit angewandt wird, darunter jenem von ETH-Professor Pilhofer, konnten die Wissenschaftler die dreidimensionale Struktur der Dolche und ihrer Ausfahrvorrichtungen hochaufl?send ermitteln. Doktorandin B?ck fror dazu Am?ben mit einverleibten Bakterien bei minus 180 Grad Celsius ein.
Vergleichbar mit einem Pal?ontologen, der mit Hammer und Meissel Fossilien aus einem Stein freilegt, bearbeitete Doktorand Medeiros mit einem fein fokussierten Ionenstrahl (engl. focused ion beam) als ?Nanomeissel? die tiefgefrorenen Proben: In beeindruckender Pr?zisionsarbeit konnte er die Am?be und einen Grossteil des Bakteriums wegfr?sen und so die molekularen Dolche und ihre Abschussvorrichtungen freilegen, um davon schliesslich ein dreidimensionales Elektronentomogramm zu erstellen.
Erstes Bild der Gesamtstruktur
Mit der Dolch-Ausstossvorrichtung verwandte Systeme gibt es auch andernorts in der Biologie: Sich auf die Infektion von Bakterien spezialisierte Viren (Bakteriophagen) injizieren mit solchen Systemen ihr Erbgut in Mikroorganismen. Und es gibt sogar Bakterien, welche solche Mikroapparate in die Umgebung absondern k?nnen, wo sie konkurrierende Mikroorganismen bek?mpfen.
In ihrer Arbeit pr?sentieren die Wissenschaftler zum ersten Mal im natürlichen Kontext die gesamte r?umliche Struktur einer Ausstossvorrichtung, die sich im Innern einer Zelle befindet. Ausserdem zeigen die Forschenden zum ersten Mal, wie die Grundplatte und die Verankerung dieser Ausstossvorrichtung aussieht. ?In der Vergangenheit untersuchten Zellbiologen die Funktion solcher Systeme, und Strukturbiologen konnten die Struktur einzelner Bestandteile aufkl?ren?, sagt Pilhofer. ?Mit der von uns an der ETH etablierten Technik, dem Kryo-Ionenstrahl-Fr?sen und der Kryo-Elektronentomographie, k?nnen wir nun jedoch die Brücke schlagen zwischen der Zellbiologie und der Strukturbiologie.?
Mehrl?ufige Kanonen
Bisher bekannte Mikro-Injektionsapparate treten einzeln auf. Die Wissenschaftler aus Zürich und Wien haben in Amoebophilus nun erstmals Apparate gefunden, die in Bündeln bis zu rund 30 solcher Apparate vorkommen. ?Man k?nnte auch von mehrl?ufigen Kanonen sprechen?, sagt Pilhofer.
Mit Erbgutvergleichen gingen die Forschenden ausserdem der Frage nach, wie Amoebophilus im Laufe der Evolutionsgeschichte zu seinen Dolch-Ausstossvorrichtungen gekommen ist. ?Die entsprechenden Gene haben grosse ?hnlichkeit mit jenen der Injektionssysteme von Bakteriophagen?, sagt Pilhofer. ?Wir gehen davon aus, dass sich die Gene von Vorl?ufern heutiger Bakteriophagen vor langer Zeit ins Erbgut der Bakterien eingenistet haben.?
Bei weiteren Bakterien ebenfalls vorhanden
Die Erbgutvergleiche legen zudem nahe, dass die neuentdeckten Mikro-Dolche nicht nur bei Amoebophilus vorkommen, sondern darüber hinaus bei zahlreichen weiteren Bakterienarten aus mindestens neun der wichtigsten Bakteriengruppen. Ob diese Bakterien ihre Dolche ebenfalls verwenden, um nicht von Am?ben verdaut zu werden, oder ob die Dolche noch ganz anderen Zwecken dienen, müssen die Forschenden erst noch untersuchen. So schnell wird ihnen die Arbeit nicht ausgehen.
Und schliesslich m?chten die Wissenschaftler die neue Methode, das Kryo-Ionenstrahl-Fr?sen, für die Strukturaufkl?rung weiterer komplexer Molekülsysteme verwenden. ?Die Technik dürfte für viele Fragen der Zell-, Infektions- und Strukturbiologie interessant sein. Bereits jetzt arbeiten wir mit anderen Forschungsgruppen zusammen und bieten ihnen unsere Expertise an?, sagt ETH-Doktorand Medeiros.
Literaturhinweis
B?ck D, Medeiros JM, Tsao HF, Penz T, Weiss GL, Aistleitner K, Horn M, Pilhofer M: In situ architecture, function, and evolution of a contractile injection system. Science, 18. August 2017, doi: externe Seite 10.1126/science.aan7904