Die smarten Netzanalysten
Der ETH-Spin-off Adaptricity hat eine Software entwickelt, mit der sich die zunehmend intelligenteren Stromnetze analysieren lassen. Bald folgt die unternehmerische Bew?hrungsprobe: Im Herbst startet der Verkauf der Software-Lizenzen.
Andreas Ulbig und Stephan Koch hatten einen guten Riecher. Als die beiden ETH-Doktoranden ab 2010 begannen, an einer Software für intelligente Stromnetze zu tüfteln, konnten sie noch nicht wissen, dass sich in den folgenden Jahren Bundesrat und Volk für den Atomausstieg aussprechen würden. Ohne diese Energiewende h?tten die beiden wom?glich aus ihrer Idee nie ein Startup gemacht. So aber taten sie sich mit dem Wirtschaftsinformatiker Francesco Ferrucci zusammen und gründeten Anfang 2014 die Firma Adaptricity.
Eines der gr?ssten Probleme der Energiewende sind deren hohe Kosten. So müssen zum Beispiel die Stromnetze ausgebaut werden, um dem steigenden Anteil an erneuerbaren Energien, W?rmepumpen und Elektroautos zu genügen. In Zeiten, in denen Kupferkabel für den Leitungsbau immer teurer werden, sind Investitionen in Milliardenh?he n?tig. Dort setzt Adaptricity an: Die Firmengründer haben eine Software entwickelt, die Betreibern von Stromnetzen hilft, ihre Netze besser zu verstehen und zu planen. Dadurch lassen sich unn?tige Investitionen verhindern und notwendige Netzinvestionen kosteneffizienter gestalten.
Das Verteilnetz als grosse Black Box
Andreas Ulbig, 35, operativer Leiter bei Adaptricity und genauso wie Gesch?ftsführer Koch aus Deutschland für sein Doktorat an die ETH gekommen, klappt seinen Laptop auf und zeigt anhand eines Beispiels, wie die Simulation funktioniert. Auf dem Bildschirm ist eine Satellitenkarte zu sehen, auf der die Stromleitungen bis zu den einzelnen Haushalten eingezeichnet sind. Nun kann Ulbig simulieren, was passiert, wenn im Quartier eine Fotovoltaik-Anlage gebaut wird. Per Mausklick zieht er eine solche in die Karte. Sofort ver?ndern sich die Spannungen im Netz, allerdings nur minim. Ausserdem ist das Stromnetz in diesem Gebiet auch in Spitzenzeiten maximal zu 15 Prozent ausgelastet. Ulbigs Fazit: ?Diese Solaranlage k?nnte man ohne Probleme bauen, ohne dafür das Stromnetz verst?rken zu müssen.“
Ulbig ist erstaunt, wie wenig bis heute über die Stromnetze bekannt ist. ?Die Verteilnetze sind nach wie vor eine grosse Black Box“, sagt er. So würden Netzbetreiber oft erst dann von Stromunterbrüchen erfahren, wenn Betroffene den St?rdienst der Elektrizit?tswerke anrufen. In Schweizer Haushalten werden Stromz?hler meistens nach wie vor von Mitarbeitern der Stromwerke abgelesen. Doch das k?nnte sich bald ?ndern, denn der Bund plant Investitionen in so genannte Smartmeter, mit welchen sich Daten in Echtzeit abrufen lassen. Sobald diese intelligenten Stromz?hler Daten liefern, kann Adaptricity diese analysieren und die entsprechende Netzbelastung berechnen. Damit bringt die Firma Licht ins Dunkel der Black Box und schafft Netztransparenz.
Mitten im Wachstumsschub
Bis vor kurzem war der Firmensitz von Adaptricity ein 25 Quadratmeter kleiner Raum am Power Systems Laboratory der ETH. Anfangs war es Koch, der nach seiner Dissertation im Rahmen des Pioneer Fellowship Programms von der ETH angestellt wurde. Nach der Firmengründung kamen weitere Mitarbeiter dazu, viele von ihnen Studenten oder Praktikanten. Man arbeitete an der Software, partizipierte an Forschungs- und Pilotprojekten zusammen mit der ETH. Der kleine ETH-Spin-off finanzierte sich anfangs haupts?chlich über solche Projekte sowie über erste kleinere Beratungsmandate für Schweizer Netzbetreiber. 2015 erhielt Adaptricity von der F?rderinitiative Venture Kick zudem 130'000 Franken Starthilfe.
Seit Anfang 2017 ist Adaptricity aber auf Wachstumskurs. Im Februar übernahm der Kabelhersteller LEONI zwei Drittel der Aktien und stellte die Firma finanziell vorerst auf sichere Beine. Das Startup zog daraufhin von der ETH an die Hohlstrasse im Zürcher Kreis vier um. 22 Mitarbeiter besch?ftigt die Firma heute, einige davon in Deutschland.
Vom Lizenzverkauf h?ngt der Erfolg ab
Die gr?sste Ver?nderung steht allerdings noch bevor. Bis anhin machte Adaptricity seinen Umsatz vor allem mit Beratermandaten bei Netzbetreibern in der Schweiz und Deutschland. Im letzten Jahr erzielte das Unternehmen so immerhin schon einen sechsstelligen Betrag. Das skalierbare Modell, von dem die Zukunft der Firma abh?ngt, ist jedoch ein anderes: Der Verkauf von Lizenzen für ihre SmartGrid-Softwareplattform.
Momentan sind die IT-Leute von Adaptricity mit den letzten Arbeiten am Produkt besch?ftigt. Verkaufsstart ist für diesen Herbst geplant. Vom Erfolg dieses Gesch?fts wird abh?ngen, ob Adaptricity seine Ziele erreicht: Im Gesch?ftsjahr 2019 m?chten die Firmengründer die Gewinnzone erreichen. Dem Erfolg wird derzeit alles untergeordnet. So schlug Mitgründer Ulbig, der nebenberuflich als ETH-Dozent t?tig ist, vor kurzem gar den Ruf auf eine Voll-Professur an einer deutschen Universit?t aus.
Die potenziellen Kunden von Adaptricity sind schnell ausgemacht, da als solche ausschliesslich Netzbetreiber infrage kommen. In der Schweiz sind diese allesamt in ?ffentlicher Hand. Adaptricity orientiert sich aber auch in Richtung Ausland. Zum Glück für die Firma ist die Energiewende nicht nur in der Schweiz, sondern auch in anderen L?ndern wie etwa Deutschland ein politischer Trend. Die Ausgangslage ist für Adaptricity also dieselbe geblieben wie vor der Gründung: Letztlich wird die Politik entscheiden, wie viel Geld in erneuerbare Energien und somit auch in die intelligenten Stromnetze fliesst. Je mehr die Politiker diesbezüglich aufs Tempo drücken, desto besser für die smarten Netzanalysten aus Zürich.
Adaptricity an der Scientifica 2017
Hat dieser Beitrag Ihr Interesse geweckt? An der Scientifica erfahren Sie mehr über die Arbeit von Adaptricity. Am Sonntag halten Andreas Ulbig und Thierry Zufferey um 13.00 Uhr im Science Café in der Oberen Mensa UZH einen externe Seite Vortrag zum Thema ?Wo fliesst der Strom? Netztransparenz und effizientere Stromnetze dank Smart Metering?.
An der externe Seite Scientifica k?nnen Sie viele weitere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler kennenlernen und ihnen Ihre Fragen stellen am
- Freitag, 1. September 2017, 18 – 21 Uhr (Vernissage)
- Samstag, 2. September 2017, 13 – 19 Uhr
- Sonntag, 3. September 2017, 11 – 17 Uhr