Weltoffene Expertin für Stadtklima

Estefania Tapias z?hlt zu den anerkanntesten Expertinnen f¨¹r thermischen Komfort und erforscht, wie Temperatur, Luftfeuchte oder Luftgeschwindigkeit das Wohlbefinden von Menschen in St?dten beeinflussen. Daf¨¹r pendelt die 29-j?hrige regelm?ssig zwischen dem ETH Future Cities-Labor in Singapur und dem Departement f¨¹r Architektur in Z¨¹rich hin und her. Dazu hat sie seit 2014 eine Serie von sogenannten MOOC (massive open online courses) zur Planung der Stadt der Zukunft aufgebaut. ?ber 116'000 Menschen haben daran bereits weltweit teilgenommen. Als Postdoktorandin in der Forschungsgruppe von Gerhard Schmitt, ETH-Professor f¨¹r Informationsarchitektur, ist sie zudem in das interdisziplin?re Forschungsprojekt ?Cooler Calmer Singapore? involviert, bei dem es unter anderem darum geht, das Wohlbefinden der Menschen durch eine Reduktion von Hitze zu steigern.

St?dteforscherin statt K¨¹nstlerin

Urspr¨¹nglich hatte Estefania Tapias gar nicht vor, in die Forschung zu gehen. Sie wollte K¨¹nstlerin werden. Doch als es an die Wahl des Studienfachs ging, riet ihr Vater davon ab. Der ausgebildete ?konom und Begr¨¹nder einer Bildungsinstitution f¨¹r Unternehmer aus der ?rmeren Bev?lkerung Kolumbiens, die er gemeinsam mit seiner Frau leitet, legt viel Wert auf eine solide akademische Grundlage. Seine ?lteste Tochter hatte Politikwissenschaften und die mittlere Medizin gew?hlt.

Als Kompromiss entschied sich Estefania Tapias f¨¹r ein Architekturstudium an der Pontificia Universidad Javeriana in ihrer Heimatstadt Bogota. Schon bald stellte sie jedoch fest, dass ihr das Studium nicht genug zu bieten hatte. ?Ich wollte nicht nur sch?ne H?user bauen, sondern Zusammenh?ngen auf den Grund gehen und Probleme l?sen?. Gesellschaftliches Engagement hatte sie von jeher im Elternhaus gelernt. Nachhaltigkeit war das Thema, das sie f¨¹r sich entdeckte und das sie seitdem leidenschaftlich erforscht.

Um mehr dar¨¹ber zu lernen, wechselte sie f¨¹rs Masterstudium in nachhaltiger Architektur nach Italien an die Polytechnische Universit?t in Turin. ?Unsere Eltern haben uns fr¨¹h zu Selbst?ndigkeit erzogen?, sagt sie und erz?hlt, wie sie bereits mit sechs Jahren f¨¹r einige Monate mit ihren Schwestern Verwandte in Kalifornien besuchte ¨C ohne Eltern. Mit elf Jahren lebte sie f¨¹r drei Monate bei einer Tante in Frankreich. ?Ich habe dort zwar nicht, wie von meinen Eltern erhofft, Franz?sisch gelernt, da meine Tante meist Spanisch gesprochen hat. Doch seitdem weiss ich, wie ich mich im Ausland zurecht finde.? Heute f¨¹hlt sich die Forscherin in der ganzen Welt zuhause.

R¨¹ckkehr als Forscherin

Nach Kolumbien kehrte sie erst w?hrend ihrer Doktorarbeit zur¨¹ck. ?F¨¹r meinen Master habe ich gelernt, wie man ein nachhaltiges Geb?ude errichtet?, erl?utert Tapias. ?Im n?chsten Schritt wollte ich wissen, wie sich die Technologie weiterentwickeln muss, um in St?dten Nachhaltigkeit dauerhaft zu implementieren?.

Bereits von Turin aus hatte sie Kontakte an der ETH Z¨¹rich aufgebaut und bewarb sich f¨¹r ihre Doktorarbeit am Departement Architektur. Hier besch?ftigte sich die Forscherin mit dem st?dtischen Komfortklima im kolumbianischen Barranquilla. ?In der Stadt nahe der Karibik herrscht ein tropisches Klima, weshalb schon ein leichter Temperaturanstieg durch die Klimaerw?rmung f¨¹r die Menschen unertr?glich wird.?

Unverkrampfter Umgang

Um ihre Arbeit zum Erfolg zu f¨¹hren, brauchte Estefania Tapias neben der technischen Ausr¨¹stung mit Messger?ten vor allem zuverl?ssige Partner vor Ort zur Datenerhebung. Dabei kam der Wissenschaftlerin zugute, dass sie nicht nur gerne forscht, sondern genauso gerne netzwerkt. ?Ich bin an drei Hochschulen gegangen und habe Studierende an Bord geholt?. Tapias entwickelte eine App, mit der die Studierenden Daten sammeln konnte.

Als weiteren Betreuer f¨¹r ihre Doktorarbeit konnte die ETH-Forscherin Andreas Matzarakis, einen international bekannten Experten f¨¹r Umweltmeteorologie von der Universit?t Freiburg, gewinnen. ?Viele haben mich gefragt, wie ich das gemacht habe?, erz?hlt sie. ?Ich habe ihm einfach eine Mail geschrieben ¨C wobei mir der Name der ETH sicher geholfen hat.? Parallel zum Doktorat an der ETH Z¨¹rich erlangte sie zudem ein Climate-KIC PhD-Label des Europ?ischen Instituts f¨¹r Innovation und Technologie (EIT).

Alles verbinden

Trotz ihrer Erfolge ist sie bescheiden geblieben. ?Ich f¨¹hle mich oft nicht als Wissenschaftlerin?, sagt sie. Es ist wohl vor allem ihre Offenheit f¨¹r Menschen und Themen, die sie antreiben. Das Ergebnis kann sich jedoch mehr als sehenlassen. Erst k¨¹rzlich wurde sie f¨¹r die Forbes-Liste ?30 under 30? in der Kategorie Wissenschaft nominiert.

Ob sie es in diese Auswahl schafft, entscheidet sich Anfang 2018. Wenn nicht, so ist es sehr wahrscheinlich, dass noch andere Ehrungen auf sie warten: Schon heute geh?rt sie den ?Global Shaper? des World Economic Forum (WEF) an und hat die EIT Alumni-Organisation aufgebaut. Ausserdem m?chte sie in ihrer Freizeit eine Initiative f¨¹r Frauen gr¨¹nden. ?Meine Mutter war immer zerrissen zwischen ihrer Arbeit am Bildungsinstitut und ihrer F¨¹rsorge f¨¹r ihre T?chter?, erz?hlt sie. ?Ich m?chte nicht, dass Frauen in Zukunft w?hlen m¨¹ssen, sondern sie sollen in ihrem Leben beides verfolgen k?nnen, pers?nliche und berufliche Ziele.?