Botschafter gegen den Hass

So wie er beim Gespr?ch in seinem bl¨¹tenweissen Hemd mit hellgrauer Hose dasitzt, sieht man Kunaal Sharma nur selten bei der Arbeit. Seine Forschung als Politikwissenschaftler am ETH-Institut f¨¹r Internationale Konfliktforschung klingt zwar nach einem Schreibtischjob, doch tats?chlich forscht er oft vor Ort, beispielsweise mit islamischen Geistlichen in Indien oder in Nairobis Stadtteil Eastleigh, einem ber¨¹chtigten N?hrboden f¨¹r Extremismus.

An solchen Orten ergr¨¹ndet Sharma die Ursachen von islamisch gepr?gtem Extremismus und sucht nach Wegen aus Hass und Gewalt. ?Ich m?chte herausfinden, warum Religion zu intolerantem und extremistischem Verhalten f¨¹hrt und wie Religion stattdessen helfen k?nnte, Konflikte zu verhindern.?

Akribische Einsatzplanung

Bei seiner Feldarbeit versucht der Forscher zun?chst, die jeweilige Situation zu verstehen, die Menschen kennenzulernen und sich unauff?llig vor Ort zu bewegen. Das hilft Vertrauen aufzubauen und sch¨¹tzt ihn zudem vor ?berf?llen oder gar Entf¨¹hrungen ¨C denn ungef?hrlich ist die Forschung an potenziellen Krisenherden nicht.

?Ich bin mir der Risiken bewusst?, sagt der 29-j?hrige Amerikaner mit indischen Wurzeln. Auf jeden Aufenthalt bereitet er sich akribisch vor. Oft muss er mehrmals in die L?nder reisen, um Gespr?che mit einflussreichen politischen Vertretern zu f¨¹hren und ?rtliche Projektmitarbeiter auszubilden, bevor er mit der eigentlichen Forschungsarbeit beginnen kann.

Schwerpunkt Indien

Der Schwerpunkt seiner Arbeit liegt auf S¨¹dasien und vor allem auf Indien. Hier f?llt er aufgrund seiner Herkunft auf den ersten Blick kaum auf. Zudem ist er fliessend in Urdu und Hindi und kann sich auf Persisch verst?ndigen. Selbst in Kenia, wo er zurzeit Projekte am Laufen hat, sch¨¹tzt ihn, dass es in Nairobi eine grosse Gemeinde indischer Einwanderer gibt. ?Solange ich nicht spreche und mit Einheimischen unterwegs bin, merkt keiner, dass ich Amerikaner bin?.

Die bislang gr?sste ?ffentliche Aufmerksamkeit erhielt seine Studie zur Fl¨¹chtlingskatastrophe im krisengesch¨¹ttelten Grenzgebiet zwischen Syrien und der T¨¹rkei. Sharma erforschte dort gemeinsam mit Egor Lazarev, wie sich die Ablehnung der T¨¹rken gegen¨¹ber syrischen Fl¨¹chtlingen verringern und die Bereitschaft, sie zu unterst¨¹tzen erh?hen, l?sst.

Dazu formulierten die beiden Wissenschaftler zuerst verschiedene Botschaften, welche die Gemeinsamkeiten beider V?lker unterstrichen und die finanziellen Folgen der Fl¨¹chtlingshilfe f¨¹r die T¨¹rkei benannten. Dann konfrontierten die Konfliktforscher verschiedene Gruppen von T¨¹rken mit jeweils einer unterschiedlichen Auswahl dieser Botschaften. Bei einer anschliessenden Befragung konnten sie sehen, welche Botschaften welchen Effekt hatten. Das Ergebnis: ?Der gemeinsame kulturelle Hintergrund und die Tatsache, dass Syrer und T¨¹rken sunnitische Moslems sind, sind die wichtigsten Argumente, um Toleranz und Verst?ndnis f¨¹r die Fl¨¹chtlinge aufzubauen?, erkl?rt Sharma.

Friedensf?rdernde Botschaften wirken

F¨¹r ihn pers?nlich am wichtigsten waren allerdings die Ergebnisse, die ein Teilbereich seiner Dissertation ¨¹ber Extremismus unter Sunniten und Schiiten in Nordindien ergab. Diese Forschung f¨¹hrte er in Lucknow (Lakhnau), der Hauptstadt von Indiens bev?lkerungsreichstem Bundesstaat Uttar Pradesh, durch. Sharma wolle herausfinden, wie friedensf?rdernde Botschaften von religi?sen F¨¹hrern den Extremismus unter muslimischen Jugendlichen beeinflusst.

Dazu ¨¹berzeugte der Forscher lokale Geistliche, friedenstiftende Audiobotschaften aufzuzeichnen, die sich an die jeweils andere religi?se Gruppierung richteten. Dann beauftragte er zuf?llig ausw?hlte junge sunnitische und schiitische M?nner, sich die Botschaften des Geistlichen der einen Gruppe oder anderen Gruppe oder von beiden anzuh?ren. Zum Vergleich mussten sich einige der jungen M?nner keine der Botschaften anh?ren.

Das erstaunliche Resultat: Die Botschaften der sunnitischen Geistlichen ver?nderte das extremistische Verhalten der sunnitischen jungen M?nner deutlich, die Botschaften der schiitischen Kleriker hingegen hatten keinen Einfluss auf das Verhalten der schiitischen Jugendlichen. ?Von einer starken Position ausgehend, waren die Sunniten gewillt, sich die Friedensbotschaften anzuh?ren. Die in der Opferhaltung verharrenden Schiiten hingegen wollten sich die Botschaften nicht anh?ren?, erkl?rt Sharma.

Mit ETH-Stipendium weiterforschen

Um weiter zu erforschen, welche Rolle die Religion bei Konflikten spielt, bewarb sich Sharma 2017 erfolgreich um ein ETH Fellowship-Stipendium. ?Als ETH Fellow habe ich f¨¹r zwei Jahre eine sehr gute finanzielle Ausstattung und kann zudem mit ETH-Professor Lars-Erik Cedermann, einem f¨¹hrenden Experten in Sachen ethnischen Konflikten, zusammenarbeiten?. Cedermann erforscht vor allem die Muster von B¨¹rgerkriegen in verschiedenen L?ndern. Dies erg?nze seinen eigenen Ansatz, der sich auf Gruppen und Individuen konzentriere, sehr gut.

Der Wechsel nach Z¨¹rich fiel Sharma leicht. ?Ich war w?hrend meines Bachelor-Studiums ein Jahr in Oxford; im Graduiertenkolleg waren viele meiner engsten Freunde Europ?er?, sagt der Wissenschaftler, der in Long Island, New York, als mittlerer von drei Br¨¹dern zur Welt kam. Neben seiner Offenheit f¨¹r andere Kulturen zeichnen ihn eine klare Vision und sein Fleiss aus. ?Ich stamme aus einer Familie, die in mancher Hinsicht dem Clich¨¦e der hart arbeitenden Indo-Amerikaner-Familie entspricht?, sagt er und zeichnet an die Tafel in seinem B¨¹ro die Schritte seiner beruflichen Laufbahn.

Protest gegen Irakkrieg pr?gte Studienwahl

Er war ein naturwissenschaftlich begabter Sch¨¹ler, der auch im Debattierclub seiner Schule re¨¹ssierte und Freude an Gesellschaftsthemen hatte. So schwankte er lange zwischen Medizin, Recht und Politik. Gepr?gt durch die Proteste gegen den zweiten Irakkrieg in den 2000er Jahren w?hlte er dann Politikwissenschaften.

Sharma, der seinen Glauben als Hindu moderat und s?kular lebt, wollte die Ursachen f¨¹r islamischen Extremismus verstehen. ?Ich interessierte mich f¨¹r die Zusammenh?nge zwischen Religion und Terror, weil sie Gesellschaften spalten und unschuldigen Menschen viel Leid bringen.? Bei Praktika in Washington D.C. begann er sich f¨¹r die praktische Anwendung seiner Forschung zu interessieren. Heute wird er h?ufig eingeladen, um seine Forschung Entscheidungstr?gern zu pr?sentieren. Er ber?t zudem diverse Organisationen, wie gewaltt?tiger Extremismus verringert werden kann.

Praktischer Nutzen als Treiber

?Eine wichtige Motivation f¨¹r meine Forschung ist, dass ich an etwas arbeite, das praktischen Nutzen hat?, erkl?rt Sharma. Indem er sich in die Politik und die Konfliktforschung einbringe, hoffe er, den Beitrag von indischst?mmigen Amerikanern ¨¹ber medizinische und wissenschaftliche Berufe hinaus auszuweiten. ?Ich m?chte mit meiner Forschung die Sicherheit in Amerika und in der Welt verbessern.? Daher arbeitete er auch zwei Jahre lang f¨¹r die US-amerikanische Denkfabrik ?Council on Foreign Relations?, die sich auf aussenpolitische Themen spezialisiert hat, bevor er 2012 sein Doktorat begann.

F¨¹r seine Zukunft w¨¹nscht er sich eine Fortsetzung seiner akademischen Karriere. Allerdings reichen ihm Forschung und Vorlesungen allein nicht. Sollte sich keine Professur ergeben, kann er sich auch vorstellen, wieder f¨¹r eine Denkfabrik oder f¨¹r eine Nichtregierungsorganisation zu arbeiten. Sicher ist, dass er jeden Weg genauso strukturiert gehen und gestalten wird wie seinen bisherigen, den er an die Tafel seines B¨¹ros gezeichnet hat.