Ein feines Gehör für Zeitreisen oder wie die Zeiten wirklich ticken

Sind Sie sich schon einmal selber begegnet? Nat¨¹rlich nicht. Das passiert h?chstens bei Zeitreisen in der Science-Fiction. In Spielfilmen wie ?Zur¨¹ck in die Zukunft? etwa (vgl. Box). In diesem Kassenhit aus den 1980er-Jahren reist Marty McFly 1985 zur¨¹ck ins Jahr 1955. Das ist jenes Jahr, in dem sich seine Eltern verlieben. Als Marty McFly in die Handlung eingreift, ver?ndert er die Vergangenheit ¨C und l?uft Gefahr, dass sich seine Eltern weder verlieben noch heiraten. Tr?te das ein, k?me er am Ende gar nie auf die Welt. Wie aber k?nnte Marty durch die Zeit reisen, wenn es ihn nicht gibt?

Aus diesen Widerspr¨¹chen bezieht der Kinofilm seinen Unterhaltungswert. ??Zur¨¹ck in die Zukunft? ist ein gutes Beispiel f¨¹r die inneren Spannungen, mit denen Geschichten ¨¹ber Zeitreisen zu k?mpfen haben?, sagt Norman Sieroka. Als Physiker und Philosoph hat er sich eingehend mit der Zeit auseinandergesetzt. ?Widerspr¨¹che wie sie Marty McFly erlebt, entstehen vor allem, wenn die Abfolge von Ursache und Wirkung verkehrt wird. Die Frage, ob dies ¨¹berhaupt m?glich ist, macht das Thema Zeitreisen zu einem philosophisch interessanten Thema.?

Reisen durch zeitartige Schlaufen

In der Physik etwa gibt es Theorien, in denen Zeitreisen prinzipiell m?glich sind. Die allgemeine Relativit?tstheorie zum Beispiel l?sst unter bestimmten Bedingungen geschlossene, zeitartige Kurven zu. Raum und Zeit sind in dieser Theorie nicht unabh?ngig voneinander, sondern werden durch die Geometrie definiert. Man kann sich die Raumzeit wie eine Murmelbahn vorstellen: ?hnlich wie Murmeln, die in den Rillen rollen, umkreisen die Planeten die Sonne auf einer Bahn, die ihnen die Form der Raumzeit vorgibt.

In gewissen Teilen des Universums k?nnte sich die Geometrie so stark kr¨¹mmen, dass sich die Raumzeit-Kurven bis zu ihrem Anfangspunkt zur¨¹ckb?gen und so zeitartige Schlaufen bildeten. Raumfahrende, die durch eine solche Schlaufe reisten, k?men dann irgendwann zu einem Zeitpunkt zur¨¹ck, an dem sie ?schon einmal waren? oder den es ?schon einmal gab?.

Was Zeitreisen ¨¹ber Zeittheorien sagen

In solchen Beschreibungen von Zeitreisen spiegeln sich zeittheoretische Grundpositionen: ?Ist jemand ¨¹berzeugt, dass ¨C quasi per Definition ¨C Vergangenes nicht mehr existiert und Zuk¨¹nftiges noch nicht, dann wird diese Person vermutlich Zeitreisen f¨¹r faktisch unm?glich halten, da die Reiseziele gar nicht existieren.? Eine solche Person h?lt gewissermassen nur die Gegenwart f¨¹r real.

Diese zeitphilosophische Grundposition nennt Sieroka eine ?Modalzeit-Theorie? (A-Theorie im Fachjargon), denn ihre grundlegende Ordnung ist eben die von vergangen, gegenw?rtig und zuk¨¹nftig. Davon grenzt er die ?Lagezeit-Theorie? (B-Theorie) ab, die Ereignisse danach ordnet, ob sie fr¨¹her oder sp?ter eintreten. Typische Beispiele f¨¹r diese Position finden sich in der Physik. Zum Beispiel misst man, wenn eine Kugel eine schiefe Bahn hinunterrollt, die Zeit zwischen einem fr¨¹heren Zeitpunkt t₁ und einem sp?teren t₂ ¨C ob man gestern, heute oder morgen misst, ist egal.

Die Relativit?tstheorie kennt keine absolute Gleichzeitigkeit, weshalb sich in dieser Theorie kein Zeitpunkt eindeutig als Jetzt oder Gegenwart bestimmen l?sst. ?Modalzeit-Theorien? werden dementsprechend in der Physik kaum vertreten.

F¨¹r die menschliche Wahrnehmung und das subjektive Erleben allerdings haben das Jetzt und die ?Modalzeit? einen ¨¹berragenden Stellenwert: ?Menschen k?nnen sich an Vergangenes, nicht aber an Zuk¨¹nftiges erinnern. Ebenso kann man die Zukunft, aber nicht die Vergangenheit handelnd beeinflussen?, erl?utert Sieroka.

?Auf der anderen Seite ergibt sich die Fr¨¹her-Sp?ter-Ordnung, weil es Ursachen und Wirkungen in der Welt gibt, und weil Wirkungen auf ihre Ursachen folgen und nicht umgekehrt.?

Es gibt nicht nur eine ?wahre? Zeit

?Zur¨¹ck in die Zukunft? ¨¹berspielt das auf witzige Weise: ?Wenn ich einmal geboren bin, dann ist diese Tatsache quasi verbucht und kann auch dann nicht umgekehrt werden, wenn ich durch die Zeit reise ¨C zumindest innerhalb einer einzelnen Welt wie sie die klassische Physik beschreibt?, folgert Sieroka, der als Privatdozent der ETH Z¨¹rich eine ?Philosophie der Zeit? ver?ffentlichte.

Seit April ist Norman Sieroka Professor f¨¹r Theoretische Philosophie an der Universit?t Bremen sowie Mitglied im Directory Board des Turing Centre Zurich an der ETH. Ausserdem forscht Sieroka mit Renato Renner, ETH-Professor f¨¹r Theoretische Physik, ¨¹ber den quantenphysikalischen Zeitbegriff und die konzeptionellen Voraussetzungen von Quantenuhren.

Was aber ist die Gegenwart wirklich? Stellt sie einen Zeitpunkt dar oder hat sie eine Ausdehnung? Auf diese Frage haben verschiedene Wissenschaften und Anwendungsbereiche eine passende Antwort. Sieroka verfolgt deshalb einen vergleichenden Ansatz: ?Es gibt nicht eine elementare oder ?wahre? Zeit, auf die man alle anderen reduzieren kann. Ein tieferes Verst?ndnis der Zeit entsteht erst, wenn man die verschiedenen Erscheinungsformen und ihre Querverbindungen ernst nimmt.? 

In der Mathematik galt die Zeit lange als Paradebeispiel eines Kontinuums, das sich vermeintlicherweise aus einzelnen Punkten zusammensetzt. ?Ein solches Kontinuum entpuppt sich bei genauer Betrachtung eher als theoretische Forderung denn als Tatsache?, r?umt Sieroka ein, ?und f¨¹hrt zu ?berlegungen, ob die Zeit wom?glich eher aus sich ¨¹berlappenden Intervallen aufgebaut ist.?

H?ren ist Zeitwahrnehmung

Eine Veranschaulichung daf¨¹r bietet der ?bergang vom Rhythmus zu h?rbaren T?nen (vgl. Film 2): Bei einer sehr tiefen Frequenz h?rt man einen Rhythmus, beziehungsweise ?punktartige?, einzelne Clicks. Sobald die Frequenz schneller wird, nimmt man keinen Rhythmus mehr wahr, sondern einen Ton mit einer bestimmten H?he. Im Filmbeispiel lassen sich mit der Zeit sogar zwei Tonh?hen unterscheiden. Typisch ist, dass der ?bergang nicht an einem bestimmten Zeitpunkt erfolgt, sondern fliessend in einem kurzen, zeitlich ausgedehnten ?Moment?. Ebenso h?rt man in Musikst¨¹cken nicht getrennt aufeinanderfolgende T?ne, sondern eine umfassende Melodie.

?So wie das Sehen unsere Raumwahrnehmung pr?gt, so pr?gt das H?ren die Zeitwahrnehmung?, sagt Sieroka. In der Regel k?nnen Menschen die Dauer von T?nen genauer absch?tzen als die Dauer, wie lange man ihnen ein Bild zeigt (vgl. Film 1). F¨¹r Sieroka ist das H?ren ein Beispiel, weshalb man keine Zeitform gegen¨¹ber einer anderen zur¨¹ckstellen sollte: ?Zeit ist eine so grundlegende Dimension des menschlichen Daseins, dass sie sowohl physikalische und biologische als auch gesellschaftliche und geistige Merkmale umfasst und strukturiert.?