Ähren zählen für mehr Ökologie
Für Achim Walter ist klar: Die aufkeimende Künstliche Intelligenz wird die Agrar?kologie entscheidend voranbringen. Doch bevor man die Früchte der KI ernten kann, müssen Computer noch einiges lernen.
?berdüngte Felder, verdichtete B?den, Treibhausgase und Insektensterben – die Liste agrar?kologischer Problemfelder ist alt und lang. Aktuell bereitet das Trinkwasser viele Sorgen, weil Pestizide und hohe Nitratwerte dessen Qualit?t bedrohen.
Auf der Anklagebank sitzt jeweils die Landwirtschaft. Kl?gerin ist eine Gesellschaft, die im Prinzip ?Bio für alle? fordert, aber nur besch?mende sechs Prozent ihres Einkommens für Lebensmittel ausgibt (und dabei gr?sstenteils nicht Bio kauft). Die Politik soll klare, neue Regeln definieren. Und die Wissenschaft? Sie soll die Fakten sachlich kl?ren und L?sungswege aufzeigen.
Ein Schritt nach dem anderen
Damit die Wissenschaft dies kann, braucht sie jedoch vernünftige Werkzeuge. Dazu geh?rt nicht nur chemische Analytik, sondern auch eine Quantifizierung, wie erfolgreich sich ein bestimmter Bestand an Kulturpflanzen unter bestimmten Bedingungen entwickelt. Oder auch, welche Insekten und Kr?uter in welcher Anzahl an einer bestimmten Stelle vorkommen. Dafür braucht es viele, zuverl?ssig erhobene Daten.
Künstliche Intelligenz – genauer gesagt: Maschinelles Lernen – hat grosses Potenzial, um solche Daten in der notwendigen Menge und Qualit?t zu erheben. Aus Bildern heraus lassen sich zum Beispiel die Eigenschaften von B?den, aber auch die Anzahl von Kulturpflanzen sowie die Menge an Sch?dlingen quantifizieren.
Auf dieser Datenbasis kann man dann im n?chsten Schritt den Zustand der Kulturen absch?tzen und schliesslich festlegen, wie viel Wasser, N?hrstoffe und Pestizide es an welcher Stelle und zu welchem Zeitpunkt braucht. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass oft der erste Schritt das schw?chste Glied dieser Kette darstellt. Eine simple Routineaufgabe aus der Züchtung mag dies verdeutlichen.
Beispiel ?hrenz?hlung
In der Pflanzenzüchtung geht es darum, anhand von vielen Merkmalen geeignete Sorten zu entwickeln. Um krankheitsresistente oder besser an die Umwelt angepasste Weizensorten zu züchten ist es etwa wichtig, in etlichen Versuchen unter entsprechenden Bedingungen die jeweils erfolgreichen – sprich ertragreichen – Varianten zu identifizieren. Das heisst unter anderem: zu quantifizieren, wie viele ?hren sie pro Fl?che hervorbringen.
Nun ist ?hren z?hlen eine zwar einfache, aber zeitraubende Aufgabe, die Forschende seit langem mit eigenen H?nden und Augen durchführen. Man k?nnte denken, das sollte heute mit Hilfe von Smartphone und App doch rascher und zuverl?ssiger zu machen sein. Leider nein: Die ?hren sind auf Bildern teilweise schlecht erkennbar, weil ein Blatt sie verdeckt, sie zu stark oder zu schwach belichtet sind und weil sie noch dazu von Sorte zu Sorte anders aussehen.
Gesucht: Weltbester Weizen?hrenz?hler
Dies dem Rechner beizubringen, daran arbeiten erst jetzt zahlreiche Forschungsgruppen gemeinsam im Rahmen der ?Global Wheat Head Detection Challenge?.1 Dazu haben sie auf mehreren Kontinenten 4700 Bilder von Weizen annotiert – das heisst gez?hlt, wie viele ?hren jeweils zu erkennen sind. Dies für unterschiedliche Sorten und Anbaubedingungen. Nun l?uft ein Wettbewerb um den besten Lern-Algorithmus: Welche Software schafft es, die korrekte Anzahl ?hren am zuverl?ssigsten zu bestimmen? Teilnehmen k?nnen Spezialisten, aber auch alle neugierigen Bürgerinnen und Bürger, die sich dies zutrauen.
?In Zukunft wird es m?glich sein, anhand der Bilder von Satelliten, Traktoren und Drohnen verschiedene Massnahmen auf dem Feld genau zu beurteilen.?Achim Walter
Solche Wettbewerbe sind in der Bildverarbeitung gang und g?be. Sie basieren teilweise auf Citizen Science-Projekten2 und werden immer ?fter erfolgreich von der Feld?kologie aufgenommen, beispielsweise um Wildtiere zu z?hlen.3
Ich bin überzeugt: Wenn es gelingt, diese Arbeitsweise auch in die Agrarwissenschaft zu übertragen, k?nnen Pflanzenzüchtung und Agrar?kologie entscheidend profitieren.4 Dann wird es mitunter m?glich sein, anhand der Bildaufnahme von Satelliten, Traktoren und Drohnen die Folgen verschiedener Management-Massnahmen auf dem Feld genau zu beurteilen. Und wir k?nnten besser informiert als heute diskutieren, wie die Landwirtschaft sich weiterentwickeln soll.
Dieser Text erscheint auch als Meinungsbeitrag im externe Seite Tagesanzeiger.
Referenzen
1 Projekt externe Seite Global Wheat Dataset und Website zur Challenge der Professur für Kulturpflanzenwissenschaften. Eine Zusammenstellung der Bilder und Annotations-Prozeduren, auf denen der Daten-Wettbewerb basiert, findet sich in dieser externe Seite Publikation oder als externe Seite Vorabdruck
2 Schweizer Citizen Science-Projekte im ?berblick: externe Seite Schweiz forscht
3 Quantifizierung der Biodiversit?t am Beispiel eines viel beachteten Projekts zur Foto-basierten Beschreibung von Wildtieren in der Serengeti: externe Seite Automatically identifying, counting, and describing wild animals in camera-trap images with deep learning. PNAS: Norouzzadeh et al. 2018
4 Maschinelles Lernen in der Agrarwissenschaft: externe Seite Machine learning approaches for crop yield prediction and nitrogen status estimation in precision agriculture: A review. Computers and Electronics in Agriculture: Chlingaryan et al. 2018