Bürgerin in Uniform
Germaine J. F. Seewer ist die erste Frau im Rang eines Division?rs in der Schweizer Armee. Ihre neue Funktion als Kommandant H?here Kaderausbildung bringt sie wieder n?her an ihre Alma Mater zurück.
Pressetermine mag Germaine J. F. Seewer nicht sonderlich, vor allem wenn sie dabei im Zentrum steht. Doch für die ETH-Zeitschrift Globe habe sie gerne zugesagt, erkl?rt sie: ?Ich fühle mich immer noch mit der ETH Zürich verbunden, die Zeit dort hat mich gepr?gt.? Und sie weiss natürlich, dass sie als erste Frau im Rang eines Division?rs der Schweizer Armee eine Vorbildfunktion hat. Obwohl Frauen heute Zugang zu allen Waffengattungen haben und mit Fanny Chollet die erste Schweizer Kampfjetpilotin einen Medienauftritt zur geplanten Kampfjetbeschaffung hatte, sind Frauen in der Armee nach wie vor Ausnahmeerscheinungen. ?Es reicht nicht, wenn wir sie als gleichberechtigte Partnerinnen f?rdern?, erkl?rt Seewer. ?Es braucht auch die Akzeptanz des Umfelds, damit sich mehr junge Frauen für dieses freiwillige Engagement entscheiden.? Dazu geh?rt auch, dass Frauen wie Germaine Seewer zeigen: Man kann es als Frau bis in die h?chsten R?nge der Armee schaffen.
Dabei sieht Seewer das Thema recht nüchtern. Dass mit Viola Amherd nun erstmals eine Frau das Verteidigungsministerium führt, freut sie: ?Sie ist in der Bev?lkerung sehr beliebt?, stellt sie fest. ?Aber sie muss die gleichen Aufgaben erfüllen wie ein Mann. Ich sehe da keinen Unterschied.?
Immer wieder Vorreiterin
Seewers Nüchternheit kommt wohl daher, dass sie ihre ganze Berufskarriere in einem m?nnerdominierten Umfeld verbracht hat. Als die Walliserin an der ETH Zürich das Chemiestudium aufnahm, hatte sie keine zehn Kommilitoninnen. Sie mag sich noch gut an die Anfangszeit erinnern: Das alte Chemiegeb?ude kommt ihr in den Sinn, der steile H?rsaal, aber auch, dass sie eine Weile brauchte, um sich im Hauptgeb?ude zurechtzufinden.
Seewer ist eine zurückhaltende, unauff?llige Person, aber sie muss – wenn man?ihren Lebenslauf betrachtet – ein gesundes Mass an Hartn?ckigkeit und Durchsetzungsverm?gen besitzen. Sie gibt im Gespr?ch nur wenig Pers?nliches preis und h?lt sich bewusst zurück. Nur vereinzelt l?sst sie durchscheinen, dass es auf ihrem Lebensweg immer wieder Menschen gab, die in wichtigen Momenten ihre Laufbahn beeinflusst haben. Zu ihnen geh?rt auch ein Lehrer an der Mittelschule in Brig, der die junge Germaine Seewer für die Chemie zu begeistern vermochte. Den Wechsel vom ruhigen Wallis an die ETH habe sie problemlos gemeistert. ?Ich war mir bewusst, dass man an der ETH weniger Freiheiten geniesst als an anderen Hochschulen?, meint sie schmunzelnd. ?Ich hatte mich informiert und wusste, auf was ich mich einliess.?
?ber die Strassenseite
Ihr akademischer Weg führte sie zun?chst von der Chemie zu den Nutztierwissenschaften. ?Mir gefiel, dass ich das Gelernte buchst?blich auf der anderen Strassenseite anwenden konnte?, erkl?rt sie. Damals waren die Chemiker und Nutztierwissenschaftler noch unweit des ETH-Hauptgeb?udes einquartiert, getrennt nur durch eine kleine Quartierstrasse. Seewer untersuchte in ihrer Doktorarbeit, wie sich verschiedene Fütterungen, Rassen und das Geschlecht auf die Fleischqualit?t bei Schweinen auswirken. Zun?chst schien es, dass Seewer eine Forschungslaufbahn einschlagen würde. Sie arbeitete als Postdoc am Research Centre Foulum in D?nemark und danach als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Forschungsanstalt für Nutztiere in Posieux. ?Ich habe mich für ein Postdoc in D?nemark entschieden, weil die D?nen im Gegensatz zu den Amerikanern ?hnliche Vorstellungen zur Fleischqualit?t haben wie wir?, erl?utert sie.
Faszination Mensch
Auch wenn sie heute als h?here Stabsoffizierin in einem ganz anderen Bereich t?tig ist, kann sie vieles, was sie damals gelernt hat, immer noch gut gebrauchen: Die analytische Denkweise, das Wissen, wie wichtig sorgf?ltiges Quellenstudium ist, ein ausgesprochenes Flair für Zahlen, aber auch das kritische Hinterfragen von Statistiken sind Aspekte, die ihr spontan in den Sinn kommen. Nicht zuletzt habe sie an der ETH auch gelernt, vernetzt zu denken.
?Die Westschweizer haben einen sch?nen Begriff, in dem ich mich wiederfinde: citoyen-soldat.?Germaine Seewer
Seit Seewer 1998 als Fachlehrer dem Armeenachrichtendienst beitrat, hat sie viele Stationen absolviert. Unter anderem leistete sie als Stabsoffizierin einen Einsatz bei der Swisscoy im Kosovo, war für einige Zeit Milit?rbeobachterin der Uno in ?thiopien und Eritrea und kommandierte von 2008 bis 2010 – nun als Berufsmilit?r – die Führungsunterstützungsschulen der Luftwaffe. Ein grosser Karriereschritt erfolgte 2013, als sie vom Bundesrat zum Brigadier bef?rdert und gleichzeitig Chef Personelles der Armee wurde. Fünf Jahre sp?ter übernahm sie als erste Frau das Kommando einer Brigade.
?Mich faszinieren die vielen Menschen?, meint sie zur Frage, was sie an ihrem Beruf fasziniere. In der Armee würden sich Menschen aus verschiedenen Landesteilen und unterschiedlichen Gesellschaftsschichten begegnen und gemeinsam eine Aufgabe bew?ltigen. ?Die Westschweizer haben dazu einen sch?nen Begriff, in dem ich mich wiederfinde: citoyen-soldat.? Dass sich die Armee immer wieder an neue gesellschaftliche Rahmenbedingungen anpassen müsse, versteht sich für Seewer von selbst. ?Die heutigen 20-J?hrigen denken anders als wir damals als 20-J?hrige?, meint sie. ?Aber auch wir hatten andere Auffassungen als unsere Vorg?nger.?
Ein spezielles Frühjahr
Seit Anfang Jahr ist Seewer nun für die h?here Kaderausbildung der Armee verantwortlich. ?Nun bin ich wieder zurück in der Ausbildung?, freut sie sich. Dabei wird sie künftig wieder mehr mit der ETH zu tun haben, spielt die Milit?rakademie an der ETH (MILAK) doch eine wichtige Rolle in der Ausbildung der Berufsoffiziere. ?Eigentlich h?tte ich inzwischen einen Antrittsbesuch bei ETH-Pr?sident Jo?l Mesot und bei der Rektorin Sarah Springman absolvieren sollen?, stellt sie fest. ?Doch wegen der besonderen Umst?nde mussten wir das verschieben.?
Tats?chlich sah sich die Armee in der Corona-Krise unvermittelt mit einer speziellen Situation konfrontiert. ?Für einmal standen zum Beispiel mit den Sanit?tsformationen Truppengattungen im Mittelpunkt, die sonst nicht so viel Aufmerksamkeit bekommen?, erkl?rt Seewer. Und ja, die Armee habe ihre Aufgabe gut bew?ltigt, sagt sie und verweist auch auf die positiven Rückmeldungen aus dem Gesundheitswesen, der Politik und der Bev?lkerung. Obwohl sie selbst nicht direkt in den Corona-Einsatz der Armee involviert war, brauchte es auch in ihrem Zust?ndigkeitsbereich einen Sondereffort. ?Wir mussten zügig neue Ausbildungsformate einführen, weil der übliche Pr?senzunterricht nicht mehr m?glich war?, erkl?rt sie.
Die Wurzeln nicht vergessen
Den Kontakt zur ETH habe sie nie ganz verloren, h?lt sie fest. ?Als Mitglied der Alumni-Vereinigung blieb ich immer in Kontakt mit der Hochschule. Und da die Diplomfeiern und Jahrestagungen der MILAK im ETH-Hauptgeb?ude stattfinden, kam ich zwischendurch auch an meine Alma Mater zurück.? Als Alumna unterstützt sie über die ETH Foundation das Excellence Scholarship & Opportunity Programme, mit dem hervorragende Masterstudierende mit einem Leistungsstipendium gef?rdert werden. ?Ich bin stolz auf meine Bildungsinstitution und gebe gerne etwas zurück?, h?lt Seewer fest. Sie freue sich, dass die ETH in den Rankings so gut abschneide, und es sei klar, dass sich die Hochschule international ausrichten müsse, wenn sie erfolgreich sein wolle. ?Dennoch wünsche ich mir, dass die ETH als eidgen?ssische Hochschule ihre Wurzeln nicht vergisst. Sie ist für unser Land eine besondere Institution, zu der wir Sorge tragen müssen.?
Germaine Josephine Fran?oise Seewer
Die 1964 geborene Walliserin wurde im Januar 2020 als erste Schweizerin zum Division?r bef?rdert, dem zweith?chsten Grad der Schweizer Armee in Friedenszeiten. Als Kommandantin?H?here Kaderausbildung der Armee sowie Stellvertreterin Chef Kommando Ausbildung ist sie für die Ausbildung des Berufskorps sowie für die H?here Kaderausbildung der gesamten Armee zust?ndig. Seewer unterstehen in dieser Funktion rund 220 Mitarbeitende. Zuvor hatte sie das Kommando der Führungsunterstützungsbrigade 41?/?SKS inne und befehligte als erste Frau eine Brigade. Seewer ist regelm?ssige Teilnehmerin der Patrouille des Glaciers, des weltweit gr?ssten Rennens im Skibergsteigen.
Dieser Text ist in der aktuellen Ausgabe des ETH-Magazins Globe erschienen.