Sich positionieren im Cleantech-Rennen

Um die Klimaziele des Pariser Abkommens zu erreichen, ist eine konsequente Wende hin zu erneuerbaren Energien n?tig. Die Dekarbonisierung braucht jedoch gezielte staatliche Technologief?rderung, wie Analysen zeigen.

Windrad mit Solarpanel
Die Integration erneuerbarer Energien stellt neue Anforderungen an das Stromnetz. (Bild: Heiko Kueverling / Colourbox)  

Tobias Schmidt erinnert sich noch lebhaft an die UN-Klimakonferenz in Kopenhagen, an der er 2009 als Doktorand teilgenommen hatte. Etwas ?naiv?, wie er heute sagt, im Glauben, die Politiker seien vor allem deshalb angereist, um die Welt vor der nahenden Klimakrise zu retten. Die Verhandlungen in Kopenhagen waren jedoch entt?uschend. Am Ende einigte man sich auf einen unverbindlichen Minimalkonsens. ?Irgendwann hat es bei mir klick gemacht?, erz?hlt Schmidt, heute Assistenzprofessor für Energiepolitik an der ETH Zürich. ?Mir wurde bewusst, dass es in der Klimapolitik l?ngst nicht nur ums Klima geht, sondern vor allem um industrielle Wettbewerbsf?higkeit.?

Das diplomatische Fiasko in Kopenhagen führt Schmidt vor allem auf die Angst vor ?konomischen Einbussen zurück. 2009 hatte das Beratungsunternehmen McKinsey zum zweiten Mal seine vielzitierte ?marginal abatement cost curve? publiziert. Sie zeigte, wie viel die Vermeidung einer Tonne CO2-?quivalente mit unterschiedlichen Technologien im Jahr 2030 voraussichtlich kosten wird. ?Die Prognosen waren teils viel pessimistischer als die tats?chliche Entwicklung?, sagt Schmidt.

Die Autoren gingen beispielsweise davon aus, dass die Elektromobilit?t noch bis mindestens 2030 eine Nische bleiben würde. Doch mittlerweile wurden über 8,5 Millionen Elektrofahrzeuge verkauft – Tendenz stark steigend. Und die damals errechneten Kosten für Fotovoltaikanlagen im Jahr 2030 wurden l?ngst unterschritten.

W?hrend in den 1990er Jahren die Vermeidung einer Tonne CO2 mittels Fotovoltaik noch mehrere tausend Franken gekostet hatte, spart man durch die Vermeidung heute oft auch Geld für die Stromproduktion – die Vermeidungskosten sind also teilweise bereits negativ. ?Die Innovation im Cleantech-Bereich wurde stark untersch?tzt?, sagt Schmidt. Mit weitreichenden Konsequenzen: ?Kein Politiker wollte sich 2009 zum Ausbau von vermeintlich teuren Technologien verpflichten, die seinem Land Wettbewerbsnachteile bringen k?nnten.?

Technologie als Treiber der Politik

Den genau gegenteiligen Effekt hat Schmidt sechs Jahre sp?ter an der Klimakonferenz in Paris beobachtet. Viele Staaten hatten inzwischen F?rderprogramme für Forschung und Entwicklung im Bereich der erneuerbaren Energietechnologien eingeführt. Das deutsche ?Erneuerbare-Energien-Gesetz? und die Einspeisevergütung hatten den Ausbau von Fotovoltaik und Windturbinen in die H?he getrieben. China baute mit Milliardeninvestitionen seine eigene Fotovoltaikindustrie auf. ?In Paris hatten viele Politiker erkannt, dass CO2-arme Technologien zunehmend wettbewerbsf?hig werden und neue Industrien mit tausenden von Arbeitspl?tzen entstehen k?nnten.?

Dies sei mit einer der wichtigsten Gründe gewesen, dass sich in Paris 195 Staaten aufs Ziel einigen konnten, die globale Klimaerw?rmung auf deutlich unter zwei Grad Celsius im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter zu begrenzen, argumentierte Schmidt sp?ter in einem vielbeachteten Kommentar in ?Nature Energy?. Insofern sei technologische Innovation immer auch ein Treiber von politischen Ambitionen.

Um diese These weiter zu fundieren, untersuchte Schmidts Gruppe den politischen Diskurs im deutschen Bundestag rund um die ?Energiewende?. Die Forschenden unterzogen über 800 Seiten Text aus energiepolitischen Debatten zwischen 1983 und 2013 ?einer Diskurs-Netzwerkanalyse und konnten aufzeigen, wie sich bei den Parteien die Argumentationen zur Energiewende über die Zeit ver?nderten. Die zentrale Erkenntnis: Neben der Versorgungssicherheit, Kosteneffizienz und Reduktion von Umweltauswirkungen geh?rte der Aufbau einer starken, konkurrenzf?higen Industrie für neue Energietechnologien zu den wichtigsten Argumenten im politischen Diskurs.

In diesem Befund liege Potenzial zur ?berbrückung von politischen Gr?ben, ist Schmidt überzeugt: ?Je mehr Regierungen verstehen, dass eine CO2-arme Energiepolitik neue ?konomische Opportunit?ten schafft, desto eher sind sie bereit, ihre Klimaambitionen zu erh?hen, um den Unternehmen Wettbewerbsvorteile zu verschaffen.?
 

?Fast alle Parteien haben mittlerweile erkannt: Nun geht es um das Cleantech-Race.?Tobias Schmidt

China, das Land mit den aktuell h?chsten j?hrlichen CO2-Emissionen, ist laut Schmidt ein gutes Beispiel, um die Politik-Technologie-Rückkoppelung zu beobachten, die seine Gruppe in mehreren Artikeln beschrieben hat. Die Zentralregierung hat ihre Klimaziele in den vergangenen Jahren kontinuierlich versch?rft und gleichzeitig mit billigen Krediten den Aufbau der weltweit gr?ssten Fotovoltaikindustrie erm?glicht. Peking gab zudem das Ziel bekannt, den Strassenverkehr mittelfristig komplett auf Elektromobilit?t umstellen zu wollen, und kurbelte die Batteriezellenproduktion mit gezielter F?rderung unterschiedlicher Systeme an. Und im September überraschte China die Welt mit der Ansage, seine Wirtschaft bis 2060 komplett dekarbonisieren zu wollen.

Laut Schmidt h?ngen die ambitionierten Ziele l?ngst nicht nur mit einem neu erwachten Umweltbewusstsein zusammen, sondern mit der Motivation, im Cleantech-Sektor zur führenden Industriemacht aufzusteigen. ?Jobs und Wettbewerbsf?higkeit sind für Politiker kurzfristig sehr viel relevanter als die Erreichung von Klimazielen.? Peking gehe in der Technologief?rderung sehr geschickt vor und verfolge eine ?technology-smart policy?, also eine Politik, die verschiedene Technologien – abh?ngig von deren Komplexit?t, Innovationskurven und der Preisentwicklung – mit unterschiedlichen Politikinstrumenten f?rdert. In Europa hingegen gelte h?ufig das Giesskannenprinzip.

Herausforderung Speicherung

In der Schweiz wurde die Energiewende bisher durch eine kostenorientierte Einspeisevergütung (KEV) und Einmalvergütungen für erneuerbare Energien gef?rdert. Hinzu kam ein Programm für Geb?udesanierungen sowie die F?rderung von Forschung und Innovation. Trotzdem liegt der Anteil von erneuerbaren Energien am Strommix (ohne Wasserkraft) derzeit lediglich bei rund vier Prozent. Laut Bund soll dieser in den kommenden Jahren deutlich ansteigen, um sowohl den Wegfall des Atomstroms zu kompensieren als auch den zus?tzlichen Bedarf an Strom aufgrund der Elektrifizierung der Mobilit?t.

Das gr?sste Potenzial für den Ausbau in der Schweiz sehen Experten in der Fotovoltaik. Doch die Integration von grossen Mengen Sonnenenergie stellt neue Anforderungen an das Stromverteilnetz. Mit der Simulationsplattform ?Nexus-e? simulieren ETH-Forschende mit der Unterstützung des Bundesamts für Energie, wie ein solches Netz künftig konzipiert sein müsste und welche politischen und ?konomischen Faktoren die Umsetzung beeinflussen. ?Das gr?sste Problem ist, dass die Stromeinspeisung zu jedem Zeitpunkt genau dem Stromverbrauch entsprechen muss?, erkl?rt Gabriela Hug, Projektleiterin von Nexus-e und Professorin am Power Systems Laboratory. ?Aufgrund der Wetterabh?ngigkeit von Fotovoltaik brauchen wir deshalb Technologien, die es erm?glichen, Energie auch langfristig und kostengünstig zu speichern.?

Die Fotovoltaik liefert n?mlich im Sommer bedeutend mehr Strom als?im Winter. Ohne saisonale Speicher müsste nach Abschalten der Atomkraftwerke im Winter, wenn der Stromverbrauch in den Haushalten am h?chsten ist, noch deutlich mehr Strom importiert werden. Als saisonale Speicher k?nnten Wasserkraftwerke mit künstlichen Seen dienen, wie sie in der Schweiz bereits vorhanden sind; eventuell sogar dort, wo sich die Gletscher aufgrund der aktuellen Klimaerhitzung aus den T?lern zurückziehen. Oder ?Power-to-X?, also die Umwandlung von Strom in Energietr?ger, darunter Wasserstoff oder synthetische Treibstoffe wie Methan.

Doch solche Technologien sind oft noch nicht ausgereift und teuer. Die Stromkonsumenten k?nnten auch selbst zur ?Batterie? werden, indem sie ihre Elektroautos und Waschmaschinen in Abh?ngigkeit zu den Bedürfnissen eines stabilen Stromnetzes nutzen. Die rasanten Entwicklungen in der Informations- und Kommunikationstechnologie und die zunehmende Verfügbarkeit von Nutzerdaten er?ffnen diesbezüglich neue M?glichkeiten. Doch Autos und Waschmaschinen k?nnen überschüssige Energie nur kurzfristig speichern und nicht vom Sommer in den Winter retten. Deshalb sei eine gute Integration der Schweiz in den europ?ischen Stromverbund für ein stabiles Netz mit einem hohen Anteil an erneuerbarer Energie zentral, ist Hug überzeugt.

Eine weitere Herausforderung ist die Regelungstechnik: Die Stromerzeugung über Synchronmaschinen, wie dies in Kern-, Wasser- und Kohlekraftwerken der Fall ist, l?sst mehr Zeit, um kurzfristige Differenzen zwischen Einspeisung und Verbrauch auszugleichen. Die Fotovoltaik hingegen erzeugt schnellere Frequenz?nderungen, womit die Gefahr von Stromunterbrüchen steigt. Auch dafür sucht Hugs Forschungsgruppe derzeit neue L?sungen.

Verschiebungen im politischen Spektrum

Tobias Schmidt ist trotz technischer Herausforderungen und drohender Rückschl?ge aufgrund einer Corona-?bedingten Wirtschaftsrezession vorsichtig optimistisch, was die globale Energiewende angeht. ?Mit dem Klimavertrag von Paris hat vor fünf Jahren ein regelrechtes Rennen um grüne Energietechnologien begonnen. Daran konnte auch Donald Trumps Rückzug der USA aus dem Abkommen nichts ?ndern.? Zudem erkennt er zunehmend Verschiebungen im politischen Spektrum – auch in der Schweiz: ?Noch 2018 hat die FDP das neue CO2-Gesetz im Nationalrat abgeschossen?, erinnert Schmidt. Diesen Herbst nun hat das Parlament (mit Ausnahme der SVP-Fraktion) dieses geschlossen verabschiedet. Für Schmidt zeigt das: ?Fast alle Parteien haben mittlerweile erkannt: Nun geht es um das Cleantech-Race!?

Dieser Text ist in der Ausgabe 20/04 des ETH-Magazins Globe erschienen.

Zur Person

Gabriela Hug ist Professorin am Institut für elektrische Energieübertragung. Ihr Spezialgebiet ist die Integration von erneuerbaren Energien ins bestehende Stromverteilnetz. Zu dieser Thematik ist sie regelm?ssig mit Politikern und Unternehmerinnen im Gespr?ch.

Tobias Schmidt ist Assistenzprofessor für Energiepolitik am Departement Geistes-, Sozial- und Staatswissenschaften und hat ursprünglich Elektrotechnik studiert. Heute ber?t er auch Politikerinnen, Unternehmer und UN-Organisationen bei Strategien zur Energiewende.

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