So baut sich ein grosser Proteinkomplex in einer Zelle auf
ETH-Forschende um Karsten Weis haben eine Methode entwickelt, mit der sie erstmals detailliert den Ablauf des Zusammenbaus von grossen Proteinkomplexen untersuchen k?nnen. Als Fallbeispiel haben die Biologen einen der gr?ssten zellul?ren Komplexe gew?hlt: den Kernporenkomplex aus Hefezellen.
Zellen stellen eine grosse Anzahl verschiedener Proteinkomplexe her, die ihrerseits aus einer Vielzahl von Einzelproteinen zusammengesetzt sind. Solche Proteinkomplexe wie etwa Ribosomen regulieren fast alle lebenswichtigen biologischen Funktionen einer Zelle.
Mittlerweile ist es Biologen und Biologinnen gelungen, die Struktur vieler dieser Proteinkomplexe zu bestimmen. Wenig erforscht ist hingegen, wie sich solche Komplexe aus Einzelproteinen zusammenfügen und mit der Zeit ver?ndern. Mit g?ngigen Ans?tzen konnten Wissenschaftler den genauen Ablauf dieser Reaktionen in Zellen kaum untersuchen, gerade was grosse Komplexe betrifft.
Einen neuen Ansatz pr?sentiert nun eine Gruppe von ETH-Forschenden um Karsten Weis und seinem wissenschaftlichen Mitarbeiter Evgeny Onischenko am Institut für Biochemie der ETH Zürich. Mit dieser Methode ist es m?glich, die Dynamik von Zusammensetzungsreaktionen jeglicher Proteinkomplexe, auch sehr grosser, zeitlich hochaufgel?st nachzuverfolgen. Die Studie erschien soeben in der Fachzeitschrift ?externe Seite Cell?.
Von Stoffwechselanalysen inspiriert
Ihre neue Methode nennen die ETH-Forschenden ?KARMA? (Kinetic analysis of incorporation rates in macromolecular assemblies). Angelehnt ist ?Karma? an Methoden zur Untersuchung von Stoffwechselvorg?ngen. Um den Metabolismus zu erforschen, nutzten Wissenschaftler schon seit langer Zeit radioaktiven Kohlenstoff, mit dem sie beispielsweise Glukosemoleküle markieren. Zellen nehmen diese auf und wandeln sie in ihrem Stoffwechsel um. Dank der radioaktiven Markierung k?nnen Forschende nachverfolgen, wo und zu welcher Zeit die Glukosemoleküle oder ihre Stoffwechselprodukte auftreten.
?Diese Art von Untersuchungen hat uns dazu inspiriert, die Zusammensetzungsreaktionen von Proteinkomplexen nach einem ?hnlichen Prinzip zu erforschen?, erkl?rt Weis. Und zwar nutzen die ETH-Forschenden markierte Aminos?uren, die Grundbausteine von Proteinen, die isotopisch schwerere Kohlenstoff- und Stickstoff-Varianten enthalten. In eine Kultur von Hefezellen ersetzen die Forschenden die leichten Aminos?uren durch ihre schwereren Gegenstücke. Bei der Synthese von Proteinen verwenden die Hefen dann diese schweren Aminos?uren, was sich auf das Molekulargewicht der neu hergestellten Proteine auswirkt.
Zeitraffer der Komplexbildung
Die Forscher entfernen in regelm?ssigen Zeitintervallen Hefezellen aus den Kulturen, um Proteinkomplexe zu isolieren. Mittels Massenspektrometrie messen die Wissenschaftler den winzigen Gewichtsunterschied zwischen Molekülen mit schwereren Aminos?uren und solchen ohne. Das gibt einen Aufschluss über das Alter eines Proteins in einem Komplex. Vereinfacht gesagt gilt: je ?lter ein Protein ist, desto früher wurde es in den Komplex eingebaut. Mittels kinetischer Modelle k?nnen die Forscher aus diesen Altersunterschieden schliesslich die genaue Reihenfolge des Aufbaus eines Proteinkomplexes rekonstruieren.
Als Fallbeispiel, um ihre Methode zu validieren, w?hlten Weis und seine Mitarbeitenden den Kernporenkomplex von Hefezellen. Dieses Gebilde umfasst 500 bis 1000 Bauteile aus rund 30 unterschiedlichen Proteinen, die jeweils mehrfach vorkommen. Damit ist diese Struktur einer der gr?ssten bekannten Proteinkomplexe überhaupt.
Mithilfe von ?Karma? konnten die ETH-Biochemiker detailliert aufschlüsseln, wann welche Module eingebaut werden. Die Forschenden entdeckten unter anderem ein hierarchisches Prinzip: Einzelne Proteine bilden innert kürzester Zeit Untereinheiten, die sich dann ausgehend vom Zentrum bis zur Peripherie in einer bestimmten Sequenz zusammensetzen.
Langlebiges Grundgerüst
?Wir konnten nun erstmals zeigen, dass einige Proteine sehr schnell für den Bau des Porenkomplexes verwendet wurden. Andere hingegen wurden erst nach einer Stunde in den Komplex eingebaut. Das dauert erstaunlich lange?, sagt Weis. Eine Hefezelle teilt sich alle 90 Minuten. Für den kompletten Aufbau des so wichtigen Porenkomplex heisst das also, dass eine Hefezelle fast eine ganze Generation ben?tigt. Weshalb der Zusammenbau neuer Poren bezogen auf den Vermehrungszyklus der Hefe so lange dauert, ist nicht bekannt.
Die ETH-Forschenden zeigen zudem, dass die Pore, ist sie einmal fertig, sehr stabile und langlebige Bestandteile hat, wie etwa das innere Grundgerüst, in welchem w?hrend der Lebenszeit kaum Bauteile ausgewechselt werden. Proteine an der Peripherie des Kernporenkomplexes werden hingegen h?ufig ausgetauscht.
Defekte Kernporen begünstigen Krankheiten
Kernporen geh?ren zu den wichtigsten Proteinkomplexen in Zellen. Sie sind verantwortlich für den Austausch von Stoffen und Molekülen zwischen dem Zellkern und dem Zellsaft. Kernporen transportieren beispielsweise Boten-RNA aus dem Zellkern hinaus. Die Zellmaschinerie ausserhalb des Zellkerns braucht diese Moleküle als Bauplan für neue Proteine.
Kernporen sind zudem direkt oder indirekt an Krankheiten des Menschen beteiligt. So spielen Ver?nderungen an der Kernpore und ihrer Proteine bei Leuk?mien, neurodegenerativen Krankheiten wie Alzheimer oder bei Diabetes eine Rolle. ?Generell ist es ist allerdings nicht gut verstanden, weshalb Defekte an der Pore zu diesen Krankheitsbildern führen?, sagt Weis. Mit ?Karma? k?nnten solche Fragen künftig besser angegangen werden.
Vielseitig nutzbare Plattform
?Obwohl wir ?Karma? in dieser Arbeit nur auf einen einzigen Proteinkomplex angewendet haben, sind wir begeistert über zukünftige Anwendungsm?glichkeiten, und unsere Methode erlaubt es nun, die zeitlichen Abl?ufe von vielen biologischen Prozessen zu entschlüsseln?, betont der ETH-Professor. So ist es m?glich, mit dieser Technik molekulare Ereignisse zu untersuchen, die w?hrend des Infektionszyklus’ von Viren, wie Covid-19 auftreten. Das k?nnte dann helfen, neue Wirkstoffkandidaten zu finden, die den Infektionszyklus unterbinden.
Darüber hinaus kann die neue Methode über Proteine hinaus auf andere biologische Moleküle wie RNA oder Lipide erweitert werden.
Literaturhinweis
Onischenko E, Noor E, Fischer JS, Gillet L, Wojtynek M, Vallotton P, Weis K: Maturation Kinetics of a Multiprotein Complex Revealed by Metabolic Labeling, Cell, Available online 16 December 2020. DOI: externe Seite 10.1016/j.cell.2020.11.001