Sonnenaktivität über ein Jahrtausend rekonstruiert
Ein internationales Forschungsteam unter Leitung der ETH Zürich hat aus Messungen von radioaktivem Kohlenstoff in Baumringen die Sonnenaktivit?t bis ins Jahr 969 rekonstruiert. Die Ergebnisse helfen der Forschung, die Sonnendynamik besser zu verstehen und erlauben eine genauere Datierung organischer Materialien mit der C14-Methode.
Was in der Sonne vorgeht, l?sst sich nur indirekt beobachten. Sonnenflecken zum Beispiel geben Aufschluss über den Grad der Sonnenaktivit?t – je mehr Flecken auf der Sonnenoberfl?che sichtbar sind, desto aktiver ist unser Zentralgestirn in seinem Innern. Auch wenn Sonnenflecken bereits seit dem Altertum bekannt sind, wurden sie doch erst seit Erfindung des Fernrohrs vor etwa 400 Jahren im Detail dokumentiert. Seitdem weiss man beispielsweise, dass sich die Zahl der Flecken in regelm?ssigen Elfjahreszyklen ?ndert und dass es darüber hinaus lang andauernde Phasen von starker und schwacher Sonnenaktivit?t gibt, die sich auch im irdischen Klima niederschlagen.
Wie sich die Sonnenaktivit?t allerdings vor Beginn dieser systematischen Aufzeichnungen entwickelt hat, liess sich bislang nur schwer nachvollziehen. Ein internationales Forschungsteam unter Leitung von Hans-Arno Synal und Lukas Wacker am Labor für Ionenstrahlphysik der ETH, an dem unter anderem das Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung in G?ttingen und die schwedische Universit?t Lund beteiligt waren, hat nun mithilfe von Messungen des Gehalts an radioaktivem Kohlenstoff in Baumringen den Elfjahreszyklus der Sonne bis ins Jahr 969 zurückverfolgt. Gleichzeitig haben die Forschenden damit eine wichtige Datenbasis zur genaueren Altersbestimmung mit der C14-Methode geschaffen. Ihre Ergebnisse wurden kürzlich im Fachjournal Nature Geoscience ver?ffentlicht.
Sonnenaktivit?t aus Baumringen
Um die Sonnenaktivit?t über ein Jahrtausend mit einer extrem guten zeitlichen Aufl?sung von nur einem Jahr zu rekonstruieren, nutzten die Wissenschaftler Baumring-Archive aus England und der Schweiz. In diesen Baumringen, deren Alter sich pr?zise durch Z?hlen der Ringe bestimmen l?sst, befindet sich ein winzig kleiner Teil an radioaktivem Kohlenstoff C14, wobei von 1000 Milliarden Atomen nur etwa eines radioaktiv ist. Aus der bekannten Halbwertszeit dieses C14-Isotops – etwa 5700 Jahre – l?sst sich dann auf den radioaktiven Kohlenstoffgehalt schliessen, der sich zum Zeitpunkt der Bildung eines Jahresrings in der Erdatmosph?re befand. Da radioaktiver Kohlenstoff haupts?chlich von kosmischen Teilchen gebildet wird, die wiederum vom Magnetfeld der Sonne mehr oder weniger von der Erde ferngehalten werden – je aktiver die Sonne, desto besser schirmt sie die Erde ab -, l?sst sich aus einer ?nderung des C14-Gehalts in der Atmosph?re auf die Sonnenaktivit?t schliessen.
Moderne Nachweismethoden verbessern Resultate
Genaue Messungen der ?nderung dieses ohnehin sehr kleinen Gehalts gleichen allerdings der Suche nach einem Staubkorn auf einer Nadel in einem riesigen Heuhaufen. ?Die einzigen Messungen dieser Art wurden in den 80er und 90er Jahren gemacht?, sagt Lukas Wacker, ?allerdings nur für die letzten 400 Jahre und mit der extrem aufwendigen Z?hlmethode?. Bei dieser Methode werden die radioaktiven Zerfallsereignisse von C14 in einer Probe mit einem Geigerz?hler direkt gez?hlt, wozu man vergleichsweise viel Material und, wegen der langen Halbwertszeit von C14, noch mehr Zeit braucht. ?Mit der modernen Beschleuniger-Massenspektrometrie konnten wir nun mit einer tausendmal kleineren Jahresringprobe in wenigen Stunden den C14-Gehalt auf etwa ein Promille genau bestimmen?, erg?nzt Nicolas Brehm, der als Doktorand für diese Analysen verantwortlich ist.
Bei der Beschleuniger-Massenspektrometrie werden die zun?chst elektrisch aufgeladenen C14- und C12-Atome (der ?normale?, nichtradioaktive Kohlenstoff; C14 dagegen enth?lt in seinem Kern zwei Neutronen mehr) des Baummaterials mit einer Spannung von mehreren Tausend Volt beschleunigt und dann durch ein Magnetfeld geleitet. In diesem Magnetfeld werden die unterschiedlich schweren Kohlenstoffisotope verschieden stark abgelenkt und k?nnen so getrennt gez?hlt werden. Um aus diesen Rohdaten schliesslich die gewünschten Informationen über die Sonnenaktivit?t zu bekommen, müssen die Forscher diese anschliessend noch einer aufwendigen statistischen Analyse unterziehen und mittels Computermodellen aufarbeiten.
Regelm?ssiger Elfjahreszyklus
Dieses Vorgehen erlaubte es den Forschern, die Sonnenaktivit?t von 969 bis 1933 lückenlos zu rekonstruieren. Daraus konnten sie sowohl die Regelm?ssigkeit des Elfjahreszyklus über ein Jahrtausend best?tigen als auch die Tatsache, dass die Amplitude dieses Zyklus (also die St?rke des Ausschlags der Sonnenaktivit?t nach oben und unten) bei lang andauernden solaren Minima ebenfalls kleiner ist. Solche Erkenntnisse sind wichtig für ein besseres Verst?ndnis der inneren Dynamik der Sonne. Die Messdaten erlaubten es auch, das solare Ereignis mit energetischen Protonen aus dem Jahr 993 zu best?tigen. Bei einem solchen Ereignis führen stark beschleunigte Protonen, die w?hrend einer Sonneneruption zur Erde gelangen, zu einer leichten ?berproduktion von C14. Darüber hinaus fand das Forschungsteam Anzeichen zweier weiterer, bislang unbekannter Ereignisse in den Jahren 1052 und 1279. Dies k?nnte darauf hindeuten, dass solche Ereignisse – die elektronischen Schaltkreise auf der Erde und in Satelliten empfindlich st?ren k?nnen – h?ufiger auftreten als bisher angenommen.
Genauere Datierung mit der C14-Methode
Da Baumring-Archive für die letzten 14’000 Jahre existieren, wollen die Forscher mit ihrer Methode demn?chst die j?hrlichen C14-Konzentrationen bis zum Ende der letzten Eiszeit bestimmen. Gleichsam als Zugabe k?nnen die Daten der neuen Studie in Zukunft für eine viel genauere Datierung organischer Materialien mit der C14-Methode verwendet werden und sind bereits in die neue Ausgabe der international anerkannten Radiokarbon-Kalibrierkurven (IntCal) eingeflossen. ?Zuvor war die ETH an dieser Referenzdatenbasis nicht beteiligt gewesen?, sagt Lukas Wacker, ?doch nun haben wir mit unseren Ergebnissen auf einen Schlag ein Drittel der Messwerte beigesteuert.?
Literaturhinweis
Brehm N, Bayliss A, Christl M et al. Eleven-year solar cycles over the last millennium revealed by radiocarbon in tree rings. Nat. Geosci. 14, 10–15 (2021). doi: externe Seite 10.1038/s41561-020-00674-0