Wie fliegen wir künftig klimaneutral?

Es ist politisch ausgemacht und aus Klimaschutzgr¨¹nden notwendig, dass unsere ganze Volkswirtschaft in den kommenden Jahrzehnten klimaneutral wird. Das gilt auch f¨¹r den Flugverkehr. Technisch machbar ist das, und es gibt zahlreiche M?glichkeiten, dies zu erreichen. ETH-Professor Marco Mazzotti und sein Team haben nun jene M?glichkeiten, deren Umsetzung kurz- und mittelfristig am einfachsten erscheint, miteinander verglichen und sie unter anderem nach ihrer Wirtschaftlichkeit bewertet.

Das Fazit der ETH-Forschenden: Am g¨¹nstigsten ist es, f¨¹r Flugzeuge auch in Zukunft fossile Treibstoffe zu verwenden, jedoch das ausgestossene CO₂ in Abscheidungsanlagen der Atmosph?re zu entnehmen und dauerhaft im Untergrund zu speichern (engl. carbon capture and storage, CCS). ?Die entsprechende Technologie ist schon bereit. Und in der Nordsee und anderswo sind seit Jahren unterirdische Lagerst?tten in Betrieb?, sagt Viola Becattini, Postdoc in Mazzottis Gruppe und Erstautorin der Studie.

?Der Ansatz kann zu einer kosteng¨¹nstigen L?sung f¨¹r eine klimaneutrale Luftfahrt werden, wenn zum Beispiel eine CO₂-Lenkungsabgabe oder ein Handel mit Emissionszertifikaten auf fossilen Flugzeugtreibstoffen eingef¨¹hrt wird, oder wenn Regierungen finanzielle Anreize f¨¹r den Einsatz von CCS und das Erreichen von Klimazielen schaffen w¨¹rden?, sagt ETH-Professor Mazzotti.

Direkt oder indirekt aus der Luft

Grunds?tzlich gibt es zwei M?glichkeiten, CO₂ abzuscheiden: entweder direkt aus der Luft oder indirekt an einem Ort, an dem organisches Material verbrannt wird, zum Beispiel in einer Kehrrichtverbrennungsanlage. ?Der Kohlenstoff des in einer Kehrrichtverbrennungsanlage verbrannten M¨¹lls stammt grob gesagt zur H?lfte aus fossilen Quellen, wie zum Beispiel Plastik, der aus Erd?l produziert worden ist. Bei der anderen H?lfte handelt es sich um organisches Material wie Holz oder daraus produzierte Stoffe wie Papier und Karton?, erkl?rt Mazzotti.

F¨¹r den Anteil des Kohlenstoffs aus fossilem Ursprung ist die Abscheidung und Lagerung aus Klimaschutzperspektive ein Nullsummenspiel: Kohlenstoff aus dem Untergrund wird dorthin zur¨¹cktransportiert, wo er herkommt. F¨¹r den Anteil aus organischen Quellen gilt: Pflanzen haben diesen Kohlenstoff urspr¨¹nglich aus der Luft als CO₂ aufgenommen. Scheidet man diesen Kohlenstoff ab und lagert ihn, so hat man indirekt CO₂ aus der Luft entfernt. CCS eignet sich daher, um Kohlenstoff aus fossilen Flugtreibstoffen wieder in den Untergrund zu verfrachten. Der Flugverkehr kann damit effektiv klimaneutral werden.

In ihrer Studie konnten die ETH-Wissenschaftler zeigen, dass die indirekte Kohlenstoffabscheidung aus Kehrichtverbrennungsabgasen bez¨¹glich der Kosten deutlich besser abschneidet als die technisch ebenfalls bereits machbare direkte Abscheidung von Kohlenstoff aus der Luft.

Synthetischer Treibstoff teurer

Als weitere Option untersuchten die Wissenschaftler die synthetische Herstellung von Flugtreibstoff aus CO₂, das direkt oder indirekt aus der Luft abgeschieden wird (engl. carbon capture and utilisation, CCU). Weil die chemische Synthese von Treibstoff aus CO₂ energieintensiv und daher teurer ist, ist dieser Ansatz in jedem Fall weniger wirtschaftlich als die Verwendung von fossilem Treibstoff und CCS. Ungeachtet, ob CO₂ direkt oder indirekt abgeschieden wird, ist CCU rund dreimal teurer als CCS.

ETH-Professor Mazzotti weist ausserdem auf einen Pferdefuss von CCU hin: Je nach Energiequelle ist dieser Ansatz aus Klimaschutzperspektive sogar kontraproduktiv, dann n?mlich, wenn f¨¹r die Produktion des Treibstoffs Elektrizit?t aus fossilen Kraftwerken verwendet wird. ?Bereits mit dem heutigen Strommix der Schweiz oder mit jenem Frankreichs, der einen hohen Kernkraftanteil aufweist, ist das energieintensive CCU klimasch?dlicher als der Status quo mit fossilen Flugtreibstoffen ¨C mit dem derzeit im EU-Durchschnitt verwendeten Strommix mit h?herem Fossilanteil erst recht?, sagt Mazzotti. CCU sei aus Klimaschutzperspektive nur dann interessant, wenn praktisch ausschliesslich Strom aus klimaneutralen Quellen verwendet w¨¹rde.

Je l?nger je lohnender

?Trotz dieser Einschr?nkung und den grunds?tzlich hohen Kosten gibt es m?glicherweise Weltregionen, in denen CCU sinnvoll ist. Zum Beispiel dort, wo sehr viel erneuerbarer Strom produziert wird und keine geeigneten CO₂-Speicherst?tten vorhanden sind?, sagt Becattini.

Die ETH-Forschenden berechneten die Kosten der verschiedenen M?glichkeiten einer klimaneutralen Luftfahrt nicht nur f¨¹r die Gegenwart, sondern auch f¨¹r die Zeit bis ins Jahr 2050. Sie erwarten, dass die CCS- und CCU-Technologien mit dem technischen Fortschritt sowie Skaleneffekten g¨¹nstiger wird. Der ¨¹ber Lenkungsabgaben erhobene Preis f¨¹r CO₂-Emissionen d¨¹rfte steigen. Wegen diesen beiden Entwicklungen rechnen die Forschenden damit, dass sich CCS und CCU je l?nger je mehr lohnen werden.

Infrastruktur n?tig

Die Forschenden betonen, dass es noch weitere M?glichkeiten gibt, den Flugverkehr klimaneutral zu gestalten. So laufen beispielsweise Forschungsanstrengungen f¨¹r Flugzeuge, die entweder mit Strom oder mit Wasserstoff betrieben werden. Diese Anstrengungen seien ernstzunehmen, sagt Mazzotti. Die Ans?tze h?tten aber auch Nachteile. So d¨¹rften elektrisch betriebene Flugzeuge wegen des hohen Gewichts von Batterien f¨¹r Langstrecken eher ungeeignet sein. Und f¨¹r die Nutzung von Wasserstoff als Treibstoff m¨¹ssen Flugzeuge und Versorgungsinfrastruktur von Grund auf neu entwickelt und aufgebaut werden. Weil diese Ans?tze derzeit noch im Entwicklungsstadium sind und entsprechend noch viele Fragen offen sind, haben die ETH-Wissenschaftler diese nicht in ihre Analyse einbezogen und sich auf Fl¨¹ssigtreibstoffe fokussiert.

Auch f¨¹r CCS brauche es aber eine Infrastruktur, betonen die Forschenden. Die Orte, an denen CO₂ effizient abgeschieden werden kann, und die Lagerorte f¨¹r CO₂ seien unter Umst?nden weit voneinander entfernt, weshalb es auch eine Transportinfrastruktur f¨¹r CO₂ brauche. Wissenschaft, Industrie und Politik m¨¹ssten sich in den kommenden Jahren anstrengen, um diese Infrastruktur zu planen und aufzubauen ¨C nicht nur f¨¹r das CO₂ der Luftfahrt, sondern auch f¨¹r jenes anderer CO₂-intensiver Branchen wie der chemischen Industrie oder der Zementindustrie.