Die Natur optimieren
Mittels molekulargenetischer Methoden lassen sich heute zukunftsf?hige Nutzpflanzen – wie beispielsweise ein Multin?hrstoffreis – züchten. Forschende fordern, das Risiko von neuen Pflanzensorten nicht aufgrund der Züchtungsmethode, sondern anhand ihrer Eigenschaften zu beurteilen.
Wenn es um die Ern?hrung geht, sehnen sich viele Menschen nach unberührter Natur. Was natürlich ist, gilt als gut und gesund. ?ko-Marketing n?hrt das Bild einer idealisierten Landwirtschaft, die mit naturnahen Methoden natürliche Nahrungsmittel produziert. Werkzeuge wie etwa die Gentechnik sind hingegen verp?nt. Sie gelten als künstliche Eingriffe in die Natur. Doch der verkl?rte Blick auf das Natürliche trügt. Wenig von dem, was wir heute essen, ist so natürlich entstanden. ?Seit 12'000 Jahren w?hlen Menschen Pflanzen anhand ihrer Merkmale aus, um sie essbar und ertragreicher zu machen?, sagt Bruno Studer, Professor für Molekulare Pflanzenzüchtung an der ETH Zürich. Die Landwirtschaft entstand durch künstliche Selektion.
Angepasste Kulturpflanzen
Heute steht die Landwirtschaft unter Druck, ?kologischer zu produzieren. Vor allem soll sie den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln reduzieren. Zudem muss sie in einem zusehends w?rmeren und trockeneren Klima stabile Ertr?ge von hoher Qualit?t liefern. Dazu braucht es krankheitsresistente und klimarobuste Sorten.
?Wir müssen unsere Kulturpflanzen genetisch fit machen für die Anforderungen von morgen?, sagt Studer. Die klassische Züchtung mittels Kreuzung ist jedoch oft zeitintensiv. Zusammen mit seinem Team entwickelt Studer molekulargenetische Methoden, um den Züchtungsprozess effizienter zu gestalten. Ein Beispiel sind genetische Marker, mit denen man Pflanzen mit den erwünschten Eigenschaften rasch identifizieren kann. Die Gruppe arbeitet eng mit der Forschungsanstalt Agroscope zusammen und wird von der Agrargenossenschaft Fenaco unterstützt.
Pr?zise Pflanzenzüchtung
Mit den neuen gentechnischen Verfahren auf Basis der Genschere Crispr/Cas hat die Wissenschaft seit knapp zehn Jahren ein m?chtiges Züchtungswerkzeug zur Hand. Die sogenannte Genom-Editierung arbeitet viel genauer als die Gentechnik der 2000er Jahre, bei der man mitunter artfremde DNA unkontrolliert in das Ergbut von Pflanzen schoss. Das Schweizer Gentechnikgesetz definiert Organismen, deren Erbgut so ver?ndert wurde, wie dies unter natürlichen Bedingungen durch Kreuzen oder Rekombination nicht vorkommt, als gentechnisch ver?ndert. Im Anbau sind solche Pflanzen seit 2005 durch ein Moratorium verboten. Die Genom-Editierung erlaubt es hingegen, das Erbgut zielgerichtet zu ver?ndern. Sie kann einzelne Gene einfügen, umschreiben oder ausschalten. Baut man zum Beispiel ein Resistenzgen einer verwandten Wildsorte ein oder schaltet man ein Gen stumm, das die Abwehr von Sch?dlingen unterdrückt, lassen sich so sehr effizient resistente Pflanzen erzeugen, ohne artfremdes Erbmaterial zu verwenden.
Die Gretchenfrage?
Da eine mit der Genschere gezielt herbeigeführte Ver?nderung im Erbgut oft nicht mehr von natürlich auftretenden oder herk?mmlich erzeugten Mutationen unterscheidbar ist, stellt sich die Frage, ob Genom-editierte Pflanzen als genetisch ver?nderte Organismen zu beurteilen sind. ?In der Schweiz und in Europa ist zurzeit genau das der Fall – Genom-editierte Pflanzen sind im Anbau verboten. Entsteht dieselbe Mutation jedoch auf natürliche Weise oder als Resultat herk?mmlicher Züchtung, unterliegt die gleiche Sorte keiner strengen Regulierung?, erkl?rt Studer. Das gilt paradoxerweise auch dann, wenn das Erbgut chemisch behandelt oder radioaktiv bestrahlt wird. ?Aus Sicht der Züchtungsforschung ergibt das keinen Sinn – eine Pflanze ist nicht ?künstlicher? oder ?gef?hrlicher?, weil sie durch pr?zise Gentechnik entstand?, sagt Studer. Zielführender w?re es, das Risiko von neuen Pflanzensorten nicht aufgrund der Methode, sondern anhand ihrer Eigenschaften zu beurteilen.
Multifunktionsreis?
Dieser Ansicht ist auch Navreet Bhullar, Dozentin am Institut für Molekulare Pflanzenbiologie. Bhullar verbessert Nahrungspflanzen hinsichtlich ihres Gehalts an Mikron?hrstoffen. Mehr als zwei Milliarden Menschen weltweit leiden an Mineralien- und Vitaminmangel, weil bei ihrem Grundnahrungsmittel Reis das polierte Korn fast keine lebenswichtigen Spurenelemente wie Eisen enth?lt. Bhullars Team hat transgene Reissorten entwickelt, die in ihren K?rnern nicht nur Eisen und Zink anreichern, sondern auch Beta-Karotin als Vorstufe von Vitamin A erzeugen. Mit ihrem Multin?hrstoffreis ist die Forschungsgruppe führend. ?Wir haben ihn mit klassischer Gentechnik entwickelt, weil das mit konventioneller Züchtung nicht m?glich ist?, erkl?rt die Biotechnologin. Mit Crispr/Cas hat Bhullar bisher noch nicht gearbeitet. Sie sieht jedoch gerade in der Kombination von Merkmalen wie Dürretoleranz, Sch?dlingsresistenz und Mikron?hrstoffen grosses Potenzial für eine nachhaltige Landwirtschaft, die auch globale Ern?hrungsprobleme l?sen kann.
Das Gentech-Moratorium l?uft Ende Jahr aus. Der Bundesrat will es um weitere vier Jahre verl?ngern und die Genom-Editierung unter das harte Anbauverbot stellen. Bislang h?tten sich die biologischen Risiken, die der alten Gentechnik nachgesagt wurden, nicht bewahrheitet, sagen Bhullar und Studer. Beide sind sich einig: ?Die Schweiz sollte sich den neuen Züchtungsmethoden nicht verschliessen.?
Dieser Text ist in der Ausgabe 21/02 des ETH-Magazins Globe erschienen.
Bruno Studer ist Professor für Molekulare Pflanzenzüchtung und forscht an molekularbiologischen Methoden, um den Züchtungsprozess effizienter zu gestalten.
Navreet Bhullar ist Dozentin am Institut für Molekulare Pflanzenbiologie und entwickelt neue Reis- und Weizensorten, die Mikron?hrstoffe wie Eisen und Zink anreichern.