Ein soziales Netzwerk für die globale Wiederherstellung
Das Start-up ?Restor? will die Erfolgsrate bei ?kosystem?wiederherstellungen und Schutzprojekten steigern, indem es Menschen mit besseren Datengrundlagen und Informationen vernetzt. Dafür kombiniert es Wissen aus der Praxis mit Daten von ?kosystemforschenden und Satellitenaufnahmen.
Tom Crowther, ETH-Professor für globale ?kosysteme, bringt globales und pers?nliches Umweltengagement gerne zusammen. Zum Beispiel bei unserer t?glichen Tasse Kaffee. Geht es nach Crowther, so soll künftig in den meisten Zürcher Cafés ein Kleber von ?Restor? zu finden sein, seines kürzlich gegründeten Start-ups. Der Kunde oder die Kundin zückt das Smartphone, scannt den QR-Code auf dem Kleber und erh?lt innert Sekunden alle wichtigen Informationen zum Aufforstungsprojekt, das mit dem Kauf des Kaffees unterstützt wird. Darunter die bewirtschaftete Fl?che, Baumarten und Potenzial zur CO2-Speicherung.
?Mit Restor wird die ganze Welt der Umwelterhaltung und -restauration auf jedem Smartphone zug?nglich?, sagt Crowther. ?Dafür haben wir eine Art Google Earth für die Wiederherstellung von allen m?glichen ?kosystemen der Welt entwickelt.? Durch den einfachen Zugang zu allen wichtigsten Daten eines Umweltprojekts soll das Potenzial der globalen ?kosystem-Wiederherstellung im Kampf gegen die Klimakrise besser ausgesch?pft werden. Und dieses ist riesig: Rund 30 Prozent des akkumulierten globalen Kohlenstoffes in der Atmosph?re k?nnten gem?ss Crowthers Berechnungen durch massive Aufforstung gebunden werden.
Mit maschinellem Lernen B?ume z?hlen
Der 34-j?hrige ?kologe machte 2015 mit einem Modell auf sich aufmerksam, mit den Daten von Satelliten mit jenen von Umweltforschenden verknüpft werden. Auf diese Weise konnte er erstmals berechnen, dass es auf der Welt rund drei Billionen B?ume gibt. In der Folge wurde die ?Billion Tree Campaign? mehrerer Umweltorganisationen auf eine ?Trillion Tree Campaign? ausgeweitet. Crowther sieht sich nicht nur als Forscher, sondern genauso als Teil einer globalen Bewegung, die den rapiden Verlust an Biodiversit?t bek?mpfen will. Und so ist der Forscher heute auch im Beirat der Initiative ?Dekade für die ?kosystemrestaurierung? des UN-Umweltprogramms.
Crowther geh?rt zu einer Generation von ?kologen, deren wichtigste Arbeitsgrundlagen riesige Datens?tze und ausgefeilte Algorithmen sind. Sie nutzen gezielt maschinelles Lernen, um relevante Muster in den Datenbergen zu erkennen. 2019 wurde Crowther mit einer Publikation in der Zeitschrift ?Science? auf einen Schlag berühmt. Er und sein Team berechneten, dass theoretisch eine Fl?che von 0,9 Milliarden Hektar zur natürlichen Wiederbewaldung verfügbar ist. Auf dieser Fl?che k?nnten 1 Billion (1000 Milliarden) B?ume gepflanzt werden, um so enorme Mengen Kohlenstoff aus der Luft zu absorbieren. Die Studie n?hrte Hoffnungen, dass die Klimakrise durch Aufforstung gemeistert werden k?nnte. Fachkollegen kritisierten jedoch, dass das Potenzial übersch?tzt wurde und gewisse Annahmen mangelhaft waren. Zudem h?tten die Wissenschaftler die Studie falsch kommuniziert, so dass Hoffnungen geweckt wurden, dass die Klimaziele auch ohne sofortige und konsequente Reduktion der CO2-Emissionen erreicht werden k?nnten.
Crowther und sein Team stellten sich der Diskussion, gestanden Fehler bei der Kommunikation der Ergebnisse ein. Sie betonten, dass B?ume pflanzen nicht das Allheilmittel gegen den Klimawandel sei, sondern eine von mehreren dringend ben?tigten Massnahmen. Gleichzeitig wurde es durch das enorme Echo in den Medien und Wissenschaften aber auch darin best?tigt, dass die Forschung einen Nerv getroffen hatte und dass die Wiederherstellung von ?kosystemen für den Kampf gegen die Klima- und Biodiversit?tskrise essentiell ist.
Zusammenarbeit mit Google Earth
Für die Webplattform ?Restor? des gleichnamigen Spin-offs hat das 30-k?pfige ?Crowther Lab? ein neues Modell entwickelt. Damit k?nnen die Forschenden systematisch bestimmen, welche Baumarten an einem bestimmten Ort heimisch sind. Das Modell berücksichtigt Klimadaten, Bodenparameter, wie den pH-Wert oder den Schlickanteil, Temperatur und Niederschlagsmenge. Die Datengrundlage stammt von über 60’000 Wissenschaftlern aus aller Welt. Vor allem aber wurden die Standorte von über 32’000 Wiederherstellungs- und Naturschutzinitiativen auf der Plattform registriert. All diese Projekte erhalten kostenlosen Zugang zu den ?kologischen Erkenntnissen. Gleichzeitig erh?lt auch die ?ffentlichkeit Einblick in die Projekte; sie kann deren Entwicklungen mitverfolgen, sich mit Initianten vernetzen und deren Bestrebungen unterstützen.
Für die datengetriebene Webplattform arbeitete das Crowther Lab mit den Entwicklern von Google Earth zusammen. Gemeinsam entwickelten sie eine Ansicht, um die Daten auf interaktiven Karten zu verorten und einfach lesbar zu machen. Nun k?nnen Nutzer und Nutzerinnen mit einer Aufl?sung von bis zu 30 Zentimetern in bestimmte Regionen hinein zoomen und auf der Karte Gebiete markieren, um mehr über deren Restaurierungs- und Erhaltungspotential zu erfahren. Dadurch erhalten sie Antworten auf Fragen, wie zum Beispiel: Wieviel CO2 k?nnte gebunden werden, wenn ein natürliches Feuchtgebiet geschützt und erhalten wird? Welche Arten sind für meine Agroforst-Pflanzungen geeignet? Oder wo w?re eine passive natürliche Regeneration sinnvoller als eine aktive Wiederaufforstung?
Damit richtet sich die Plattform nicht nur an Forschende, sondern explizit auch an Projektleiterinnen von Aufforstungen, an Landwirte und F?rsterinnen. ?Sie sind zugleich unsere wichtigste Datenquelle, denn sie kennen die Bedingungen vor Ort am besten?, sagt Crowther. ?Je mehr Daten sie in unsere Plattform eintragen, desto genauer wird das System.? Nutzerinnen und Nutzer k?nnten dabei selbst entscheiden, ob sie ihre Daten für alle sichtbar machen oder nur den Forschenden für anonymisierte Auswertungen zur Verfügung stellen. Zudem versichert Crowther: ?Wir verkaufen keine Daten – auch nicht an Google?. Die Zusammenarbeit mit dem amerikanischen Tech-Konzern beschr?nke sich auf die technische Umsetzung der Webplattform.
Das wissenschaftliche Interesse an aktuellen Daten aus den Aufforstungsprojekten ist hoch. Deshalb ist die ?Restor?-Plattform für die mit ihr affiliierten Forschenden eine kleine Goldgrube, denn die Daten werden nur für die wissenschaftliche Gemeinschaft verfügbar sein: ?Mit Restor k?nnen ?kologen ihre theoretischen Modelle mit Vor-Ort-Daten kontinuierlich kalibrieren?, erkl?rt Crowther.
Bessere Daten für erfolgreiche Wiederaufforstung
Tom Crowther betont, dass die Wiederherstellung von ?kosystemen sehr herausfordernd sei und detaillierte Kenntnisse der lokalen ?kologie und der sozialen Begebenheiten erfordere. Gem?ss Sch?tzungen sind heute nur etwa 30 Prozent der Aufforstungsprojekte erfolgreich. In Restor sieht er eine Chance, dies durch Zugang zu Daten über die ?kologie zu ?ndern.
?Jeder Eintrag hilft uns, die Erfolgsrate zu erh?hen und damit den Verlust von Biodiversit?t einzud?mmen.?Tom Crowther
Zudem erh?he Restor die Transparenz. Ob ein bestimmtes Wiederherstellungsprojekt nachhaltig durchgeführt wird, wer dahintersteht und wie es sich entwickelt, kann künftig jeder mit einem Smartphone und Internetanschluss selbst prüfen. Die gr?ssten Hürden, die dem Erfolg von solchen Projekten im Weg stehen, seien jedoch die wirtschaftlichen und sozialen Begebenheiten. Crowther hofft deshalb, dass Restor naturbasierte L?sungen mit nachhaltigen Marktpl?tzen verknüpft, um die Natur weltweit zu einer wirtschaftlich tragf?higen Option für lokale Gemeinschaften zu machen: ?Nur auf diese Weise werden Wiederherstellungen wirklich nachhaltig sein.?
Geht es nach Crowther, soll sich Restor zudem zu einer Art Social Media für ?kologieinteressierte entwickeln. ?ber die Plattform k?nnen sie sich vernetzen, voneinander lernen und gemeinsam neue Schutz- und Restaurierungsinitiativen planen. Auch Finanzierungsm?glichkeiten durch Stiftungen, internationale Geldgeber und Klimakompensationsmechanismen sollen in das System integriert werden.
Aktuell arbeiten im Zürcher Büro acht Mitarbeitende für das Non-Profit-Unternehmen, das einer eigens dafür gegründeten Stiftung geh?rt. Als CEO von Restor wurde kürzlich die Umweltwissenschaftlerin Clara Rowe verpflichtet. Crowther pr?sidiert die Stiftung und sichert den direkten Draht zu seiner Forschungsgruppe an der ETH. Sein Ziel bis Ende Jahr: ?Dass sich zus?tzlich 10’000 Aufforstungsprojekte auf Restor registrieren?. N?chstes Jahr will das Spin-off die Plattform zus?tzlich zu einer Art ?kodienstleistungs-Marktplatz ausbauen. Ein Früchteimporteur in der Schweiz k?nnte dann über Restor einen Bauern in Ghana suchen, der nicht nur Ananas kultiviert, sondern sich vor Ort auch für die Biodiversit?t engagiert. ?ber den Ananasimport aus Ghana würde er dann einen kleinen Beitrag für mehr Nachhaltigkeit in seinem Gesch?ftsbereich leisten. Wenig sp?ter soll die Plattform für s?mtliche Interessierte ge?ffnet werden. Darunter auch das kleine Café in Zürich mit dem Restor-Kleber am Tresen, das über die Auswahl seiner Lieferanten ein Zeichen gegen die fortschreitende Umweltzerst?rung setzen will.