«Künstlich wird häufig mit Risiko verbunden»

Frau Bearth, Sie forschen an der Professur f¨¹r Konsumverhalten. Bei Ans?tzen, die als k¨¹nstlich betrachtet werden, wie gentechnisch ver?nderte Pflanzen oder Impfungen, gehen die Emotionen oft hoch. Warum?
Angela Bearth:?K¨¹nstlich wird h?ufig mit Risiko und negativen Assoziationen verbunden. Laien wissen zum Beispiel nicht automatisch, wie ein mRNA-basierter Impfstoff funktioniert. Sie verlassen sich in solchen F?llen in der Regel auf sogenannte Heuristiken, also Entscheidungsvereinfachungen: Wenn etwas k¨¹nstlich ist, dann ist es schlecht. Solche Vereinfachungen helfen, Entscheidungen zu treffen.

Herr Panke, Ihr Fachgebiet, die synthetische Biologie, klingt auch ziemlich k¨¹nstlich?¡­
Sven Panke:?Wir waren ¨¹ber den Namen nie richtig gl¨¹cklich. Er stammt aus einer Arbeitsgruppe vom MIT und Berkeley. Im Sinne von Science Branding war er ¨C zumindest in Europa ¨C eine mittelschwere Katastrophe. Aber klar, in der synthetischen Biologie geht es darum, einen genetischen Schaltkreis herzustellen, der in der Zelle etwas Sinnvolles tut. Wir ver?ndern immer in einer gewissen Weise ein biologisches System. Wir ?manipulieren? es, aus dem Englischen ?to manipulate?. Im Deutschen ist auch dieser Begriff schlecht konnotiert.

Also beeinflusst die Sprache, wie wir zu etwas stehen?
Bearth:?Das ist eine der grossen Schwierigkeiten, mit der ich mich auch methodisch auseinandersetze. Wenn ich frage, wie gef?hrlich findest du Biotechnologie, dann suggeriere ich bereits, dass es gef?hrlich sein k?nnte. Besser ist es, ein Thema auszuweiten und ¨¹ber gr?ssere Probleme zu reden. Und erst dann zu fragen, was die Leute davon halten.

Ein grosses Thema sind aktuell Corona und die mRNA-basierte Covid-Impfung. Herr Panke, Sie leiten ein neues EU-Konsortium, das sich mit dem therapeutischen Nutzen der mRNA besch?ftigt. Was ist das Ziel?
Panke:?Wir m?chten wissen, ob wir den chemischen Raum, den die Natur f¨¹r uns aufgespannt hat, verlassen k?nnen. Was ist m?glich, wenn wir in der Zelle bei den Molek¨¹len, die fast ¨¹berall gleich sind, Ver?nderungen einf¨¹hren? K?nnten wir so beispielsweise neue Therapeutika entwickeln?
 

?ber das hinauszugehen, was bis jetzt m?glich war, hat der Mensch ja schon immer versucht. Ist das, was heute in der Forschung passiert, grunds?tzlich anders?
Panke:?Wenn wir uns in der Natur umschauen, sehen wir, dass bestimmte Molek¨¹ltypen im Kanon der Natur nahezu unver?ndert auftauchen, zum Beispiel die DNA. Hier zu sagen, k?nnen wir mal was anderes ausprobieren, hat vielleicht schon einen grenz¨¹berschreitenden Charakter.

Dann ist Skepsis nicht ganz unberechtigt?
Bearth:?Grunds?tzlich ist Skepsis ja nichts Schlechtes. Es ist auch gut, dass wir ein gewisses Vorsorgeprinzip in uns haben. Wenn etwas unsicher ist, versuchen wir uns auf individueller Ebene zu sch¨¹tzen. Aber es ist schwierig, wenn gesellschaftliche Entscheide nur auf Gef¨¹hlen basieren und nicht wissenschaftsbasiert sind.

Herr Panke, beeinflusst Sie ?ffentliche Skepsis?
Panke:?Ja, unbedingt! Ich k?nnte nicht etwas machen, womit ich alle um mich herum vor den Kopf stosse. Daf¨¹r bin ich auch pers?nlichkeitsm?ssig nicht gebaut. Nat¨¹rlich sind wir an der ETH dem Neuen gegen¨¹ber sehr aufgeschlossen. Auf der anderen Seite gibt es von staatlicher Seite einen ganzen Katalog an Regelungen, die einen Rahmen vorgeben, in dem ich mich als Wissenschaftler bewegen kann, ohne mich st?ndig fragen zu m¨¹ssen, ob ich jetzt nicht gerade etwas Falsches tue.

Frau Bearth, Sie sind nicht nur Forscherin an der ETH, sondern auch Vizepr?sidentin beim Forum Genforschung des SCNAT. Wie erleben Sie den Austausch zwischen Wissenschaft, Entscheidungstr?gern und der ?ffentlichkeit?
Bearth:?Ich erlebe ihn als gr?sstenteils sehr konstruktiv. Es ist eine neue Generation herangewachsen, die mit Klimaschutz aufgewachsen ist und in neuen Technologien viele M?glichkeiten sieht. Crispr hat ein besseres Image als die traditionelle Genforschung. Zudem sind viele Forschende problembewusster geworden und investieren vermehrt in Wissenschaftskommunikation.
Panke:?Mir stellt sich das ganz anders dar, obwohl wir uns in der synthetischen Biologie auch schon fr¨¹h um einen Dialog bem¨¹ht haben. Ich habe das Gef¨¹hl, dass wir Wissenschaftler seit den 1980er-Jahren massiv an Vertrauen in der Gesellschaft verloren haben. Es gelingt uns nicht, diese Vertrauenskrise durch bessere Information zu ¨¹berwinden. Die Leute glauben uns nicht mehr. Wir haben es schon zu oft verbockt.
Bearth:?Ich w¨¹rde hier widersprechen. Es gibt kaum Studien, die zeigen, dass Vertrauen in die Wissenschaft kontinuierlich sinkt. Das Vertrauen bleibt stabil oder es steigt sogar in gewissen Bereichen. Wenn wir den gegenteiligen Eindruck haben, liegt es m?glicherweise daran, dass die Menschen, die kein Vertrauen in die Wissenschaft haben, sehr laut sind. Am Ende ist das aber eine Minderheit, die jedoch gut organisiert ist. Impfgegner machen zum Beispiel richtige Kampagnen. Das kann zu sinkendem Vertrauen f¨¹hren, aber ganz grunds?tzlich ist der Grossteil der Bev?lkerung dann h?chstens ein bisschen verunsichert.
Panke:?Denken wir doch mal an Gentechnik in der Pflanzenz¨¹chtung. Die Forschenden in diesem Gebiet haben sich alle M¨¹he gegeben, zur Information der ?ffentlichkeit beizutragen. Nur leider hat das aus meiner Wahrnehmung nie irgendwohin gef¨¹hrt. Woran liegt das denn?
Bearth:?Ich stimme zu, dass Information wahrscheinlich nicht der einzige Weg ist. Wir k?nnen nicht alle zu Experten machen. Aber die Leute sollen schon ein gewisses Verst?ndnis f¨¹r den Problembereich haben. Wir haben k¨¹rzlich eine Studie zur Kartoffelf?ule und verschiedenen L?sungsans?tzen gemacht. Interessanterweise waren die Leute am meisten vom Gentransfer angetan, also der klassischen Gentechnologie ¨C egal, ob wir den Begriff Gentechnologie verwendet haben oder nicht. Es wird oft sehr verallgemeinernd gesagt, die oder alle Konsumenten m?chten keine Gentechnik. Ich glaube, so einfach ist die Antwort nicht.
 

Im Zusammenhang mit gr¨¹ner Gentechnik oder Crispr wird oft argumentiert: Wir machen damit das Gleiche wie die Natur, nur schneller und zielgerichteter. Ist dieses Argument berechtigt?
Bearth:?Nat¨¹rlich kann man mit diesen Technologien eine Mutation erzeugen, die nat¨¹rlicherweise auch passieren k?nnte. Aber es steckt eben ein Mensch mit einer Absicht dahinter, den man nachher auch verantwortlich machen kann. Und das ist in der Bewertung durch die Konsumenten schon etwas anderes. Solche Aspekte bezieht ein Naturwissenschaftler nicht unbedingt mit ein. Eine Grundlagenforscherin fragt sich nicht prim?r, welches Unternehmen diese Technologie benutzt, wer daran gewinnt und wer verliert. Das alles fliesst aber bei der Beurteilung durch die ?ffentlichkeit mit ein.

Ist es denn immer klar, was nat¨¹rlich und was k¨¹nstlich ist? Macht diese Unterscheidung ¨¹berhaupt Sinn?
Panke:?Doch, nat¨¹rlich macht sie Sinn, weil es offensichtlich wichtige soziale Codes sind. Diese Begriffe sind Chiffren, die man benutzt, um bestimmte Dinge aus gesellschaftlicher Sicht zu kontrastieren. Ich habe als Wissenschaftler nicht die alleinige Macht, diese Worte zu definieren, und ich m?chte das auch gar nicht. Vielmehr muss ich mich mit dem auseinandersetzen, was die Gesellschaft mir vorh?lt.
Bearth:?Ich sehe das ganz ?hnlich. Ich finde die Begrifflichkeiten aber dann schwierig, wenn sie zu uninformierten Entscheidungen f¨¹hren, vor allem auf politischer oder gesellschaftlicher Ebene. Konkret habe ich viel im Bereich Toxikologie geforscht. Da existiert ein typisches Grundmissverst?ndnis: F¨¹r Laien ist chemisch, was in einem Reagenzglas blubbert, aber nicht die Luft, die wir einatmen, oder Wasser, das wir trinken. Und das f¨¹hrt nat¨¹rlich schnell zu Missverst?ndnissen.

Herr Panke, st?rt es Sie, dass Wissenschaft und Laien die Begriffe unterschiedlich verstehen?
Panke:?Nein ¨C im Gegenteil. Wir Wissenschaftler und unsere Erkenntnisse sind ein Werkzeug im Kasten. Wir versuchen, mit unseren Mitteln einen Beitrag zur Zukunft der Gesellschaft zu leisten. Aber wir sollten unseren Beitrag nicht verabsolutieren wollen.?