Verstehen, wie Viren in der Evolution entstanden sind
Forschende der ETH Zürich haben in einem Laborexperiment einen Schlüsselschritt in der Evolutionsgeschichte von Viren nachgestellt: Es ist den Forschenden gelungen, ein natürliches Protein so zu ver?ndern, dass Hüllen entstanden sind, die Erbgut einlagern k?nnen.
Viren hatten schon immer einen grossen Einfluss auf das Leben. Entstanden sind sie irgendwann vor ein paar Milliarden Jahren. Wann genau, ist schwierig abzusch?tzen. Und auch darüber, wie sich die Viren w?hrend der Evolution entwickelt haben, gibt es mehrere Theorien. Forschende der ETH Zürich haben nun allerdings einen Schlüsselschritt in der Evolution von Viren im Labor nachvollziehen k?nnen: Die Entstehung einer Virushülle, die in der Lage ist, das Viruserbgut einzulagern.
Vereinfacht gesagt bestehen Viren vor allem aus ihrem Erbgut (RNA oder DNA) und einer Proteinhülle, welches dieses umschliesst. Die Hülle ist dazu da, das Erbgut vor Umwelteinflüssen zu schützen sowie bei dessen Verbreitung zu helfen. Um das Erbgut in ihrem Innern einlagern zu k?nnen, müssen Bestandteile der Hülle das virale Erbgut genau erkennen und sich nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip an dieses heften k?nnen.
Mutation und Selektion
Forschenden unter der Leitung von Donald Hilvert, emeritierter Professor am Department Chemie und Angewandte Biowissenschaften, ist es gelungen, ein bakterielles Protein so zu ver?ndern, dass es diese F?higkeit erlangte. Die Wissenschaftler verwendeten dazu ein Protein des in heissen Quellen vorkommenden Bakteriums Aquifex aeolicus. In den Bakterien setzen sich jeweils 60 solcher Proteine natürlicherweise zu winzigen regelm?ssigen geometrischen Hohlk?rpern mit 12 gleichen Seitenfl?chen zusammen. Diese Kapseln dienen in den Bakterien dazu, eine bestimmte biochemische Reaktion besonders effizient ablaufen zu lassen. ?Im Prinzip sind diese bakteriellen Kapseln etwas ?hnliches wie eine Virushülle, allerdings mit der Ausnahme, dass die bakteriellen Kapseln nicht mit RNA wechselwirken?, erkl?rt ETH-Professor Hilvert.
Damit die Kapselproteine genau dies tun, haben er und seine Kollegen das Protein mithilfe der Gentechnik so ver?ndert, dass es sich an beliebige RNA-Moleküle heften kann. Anschliessend ahmten die Forschenden in einem mehrstufigen Experiment die biologische Evolution im Schnelldurchlauf nach. Dadurch erreichten sie, dass die Hüllenproteine nur noch mit einem bestimmten RNA-Molekül wechselwirkten. Sie unterzogen dazu dieses Protein in mehreren Runden zun?chst zuf?lligen genetischen Ver?nderungen und setzten es anschliessend einem geeigneten Selektionsdruck aus.
Auf diese Weise gelang es den Wissenschaftlern erstmals Proteinhüllen herzustellen, welche sich an ihre eigene RNA-Bauanleitung heften und diese effizient in ihrem Innern einlagern. Die entstandenen Kapseln waren gr?sser als die ursprünglichen: 240 Proteine fügten sich zu einem geometrisch regelm?ssig aufgebauten Hohlk?rper mit 42 Seitenfl?chen zusammen. In jedem dieser Hohlk?rper befanden sich zwei bis drei RNA-Bauanleitungsmoleküle. Die Forschenden zeigten schliesslich zusammen mit Kollegen der Universit?ten Leeds und York: Die RNA-Moleküle haben sich w?hrend des Evolutionsexperiments im Labor in ihrer dreidimensionalen Struktur so ver?ndert, dass sie auf ?hnliche Weise in den Kapseln eingelagert werden wie das in vielen bekannten Virenfamilien der Fall ist.
Breite Anwendungen
?Wir konnten damit im Labor zeigen: Ein RNA-Molekül und das von ihm codierte Protein k?nnen sich so ver?ndern, dass sich das Protein zu Kapseln zusammenfügt und RNA einlagert?, sagt Hilvert. ?Auf ?hnliche Weise k?nnte auch die Evolution von RNA-Viren vor Milliarden Jahren abgelaufen sein.? Eine bestimmte Theorie zur Evolution von Viren besagt, dass Viren ihren Ursprung in biologischen Zellen haben und dass die ersten Viren Proteine ihrer Wirtszelle rekrutierten, um ihr Genom zu schützen und zu transportieren.
Um die Entstehung von Viren ganz zu verstehen, warten noch viele weitere unbeantwortete Fragen, denen die Wissenschaftler als n?chstes nachgehen m?chten: Es geht darum zu verstehen, wie solche Hüllen im Laufe der Evolution gelernt haben, aus einer Zelle zu entweichen, in andere Zellen einzudringen und dort das Erbgut freisetzen zu k?nnen.
Bedeutend ist diese Forschungsarbeit allerdings nicht nur für die Erkl?rung der Virusevolution. Die Entwicklung von Virus-?hnlichen Partikeln ist auch ein bedeutendes Forschungsgebiet mit breiten Anwendungen. Dabei geht es darum, künstliche Hüllen zu entwickeln, welche RNA oder DNA enthalten sowie in der Lage sind, diese in biologische Zellen zu bringen. Anwendungen w?ren beispielsweise Impfstoffe, die Zelltherapie oder Vehikel zur Verabreichung von Medikamenten.
Literaturhinweis
Tetter S et al.: Evolution of a virus-like architecture and packing mechanism in a repurposed bacterial protein. Science, 10. Juni 2021, doi: externe Seite 10.1126/science.abg2822