Das rätselhafte, unsichtbare Objekt, das unsere Milchstrasse bewegt
Welche Geheimnisse birgt das schwarze Loch im Zentrum der Milchstrasse? Darüber spricht die Astronomin und Physik-Nobelpreistr?gerin Andrea Ghez n?chste Woche an den Paul Bernays Lectures 2021. Die Ehrenvorlesungen der Philosophie der exakten Wissenschaften findet ihrerseits zum zehnten Mal statt.
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Das Weltall ist auch ein Raum, der Fragen ausl?st: Was genau geschieht zum Beispiel im Zentrum einer Galaxie? Dieser Frage hat sich Andrea Ghez, Physik-Nobelpreistr?gerin von 2020, in ihrer Laufbahn als Astronomin und Astrophysikerin mit Hingabe gewidmet. K?nnte es sogar sein, dass sich im Kern jeder Galaxie ein supermassives schwarzes Loch befindet, das umso massiver ist, je massiver eine Galaxie ist? Das sind Fragen, die in der Astronomie diskutiert und erforscht werden.
Auch wenn die Existenz schwarzer L?cher heute wissenschaftlich anerkannt ist, so birgt ihre Natur noch immer ihre R?tsel: So hat die Grundlagenforschung bislang keine folgerichtig erscheinende Erkl?rung gefunden, wie oder woraus sich die ?supermassereichen schwarzen L?cher? bildeten und wie sie mit der Entstehung und der Entwicklung ganzer Galaxien zusammenh?ngen. Einer g?ngigen Theorie zufolge k?nnten sie aus der Verschmelzung bereits zuvor vorhandener stellarer schwarzer L?cher entstanden sein. Letztere entstehen, wenn massive Sterne kollabieren. Die Best?tigung oder Widerlegung dieser Annahme durch konkrete Messdaten steht freilich noch aus.
Von der M?glichkeit zur Gewissheit
Im Fall unserer Galaxie, der Milchstrasse, gilt es mittlerweile als theoretisch und empirisch weitestgehend gesichert, dass in ihrem Zentrum ein supermassereiches schwarzes Loch existiert. Sein Name ist Sagittarius A*. Den empirisch bisher überzeugendsten Nachweis seiner Existenz haben Reinhard Genzel, Direktor des Max-Planck-Instituts für extraterrestrische Physik, und Andrea Ghez, Professorin für Physik & Astronomie der Universit?t von Kalifornien, Los Angeles, erbracht. An den Paul Bernays Lectures 2021 wird Andrea Ghez n?chste Woche über den Weg ?von der M?glichkeit zur Gewissheit eines supermassereichen schwarzes Lochs? berichten. Desgleichen wird sie er?rtern, inwiefern die Erkenntnisse aus der Milchstrasse das Wissen über andere Galaxien erweitern k?nnen.
Den Physik-Nobelpreis erhielt Andrea Ghez 2020 zusammen mit Reinhard Genzel und Roger Penrose: Penrose für die Entdeckung, dass sich die Entstehung schwarzer L?cher mit der allgemeinen Relativit?tstheorie widerspruchsfrei voraussagen l?sst; Genzel und Ghez für die Entdeckung eines supermassiven kompakten Objekts im Zentrum unserer Galaxie. Physikalisch betrachtet sind schwarze L?cher n?mlich ?usserst massereiche und extrem kompakte Objekte, deren Gravitation so stark wird, dass sie alles anziehen, was in ihren Einzugsbereich, den so genannten Ereignishorizont, gelangt: Nichts kann sich einem schwarzen Loch entziehen, weder Sterne noch Sonnen, Strahlung oder Information – auch nicht Licht. Dieser Tatsache, dass sie das Licht ?verschlucken? und für Menschen unsichtbar sind, verdanken die schwarze L?cher ihren Namen.
W?hrend Roger Penrose den Nobelpreis für einen mathematischen Beweis erhielt, wurden Reinhard Genzel und Andrea Ghez dafür geehrt, dass sie die Messtechnologie und Instrumente soweit verfeinerten, dass sie dank modernster, hochaufl?sender bildgebender und optischer Verfahren das eigentlich unsichtbare und extrem schwere Objekt im Herzen der Milchstrasse als schwarzes Loch indirekt nachweisen konnten.
?Andrea Ghez hat viele Jahre lang hartn?ckig untersucht, was im Zentrum der Galaxie passiert. Als begnadete Instrumentenbauerin hat sie die zur Beobachtung von schwarzen L?chern ben?tigte Messtechnologie laufend weiterentwickelt und entscheidend verbessert?, würdigt der Astrophysiker Philippe Jetzer, Professor der Universit?t Zürich, der an den Bernays Lectures in Andrea Ghez’ Forschung einführt. Zu Jetzers Schwerpunkten geh?ren Gravitationswellen und Relativit?tstheorie. ?ber die Entstehung supermassiver schwarzer L?cher forscht er im Zusammenhang mit dem geplanten ESA-Forschungssatelliten ?LISA?, an dem sich auch ETH-Forschende beteiligen, und der neue Messdaten über Gravitationswellen aus dem Weltraum liefern soll.
Sch?rfere Bilder enthüllen das schwarze Loch
Andrea Ghez’ Schwerpunkt liegt demgegenüber auf Messtechnologien, mit denen sich Sterne und ihre Zwischenr?ume sowie Galaxien und ihre Zentren von der Erde aus beobachten lassen. Ihre Aufnahmen macht sie in der Regel mit den 10-Meter-Teleskopen des Keck-Observatoriums in Hawaii. Mit herk?mmlicher Bildgebung haben erdgebundene Teleskop-Aufnahmen gegenüber Aufnahmen aus dem Weltraum einen Nachteil: Aufgrund der Turbulenzen in der Erdatmosph?re sind die Bilder verzerrt und unscharf.
Seit den 1990er-Jahren hat Ghez die Techniken der Bildgebung und der Optik sowie die Detektoren der Infrarotastronomie verfeinert, sodass sich die Unsch?rfeeffekte der Teleskope heute reduzieren und in Echtzeit korrigieren lassen. Die so entstehenden, hochaufgel?sten Aufnahmen sind so scharf, dass Sterne und astronomischen Objekte deutlich erkennbar sind (vgl. Bild).
Auf der Grundlage der verbesserten Bildgebung konnte Ghez – und Genzel – erkennen, dass im Zentrum der Milchstrasse tausende von Sternen um ein und dasselbe unsichtbare Objekt kreisen. Zudem muss dieses zentrale Objekt sehr klein sein, da Sterne ungest?rt ihre Bahnen ziehen, ohne mit ihm zu kollidieren. Die hohe Geschwindigkeit der Sterne von bis zu vier Prozent der Lichtgeschwindigkeit deutet zudem darauf hin, dass dieses Objekt extrem schwer ist und mit seiner enormen Schwerkraft die Bewegung der Sterne beeinflusst. Tats?chlich entspricht die Masse dieses Objekts rund vier Millionen Mal der Masse unserer Sonne. Aus diesen Feststellungen sowie aus alternativen Erkl?rungen, die sich ausschliessen lassen, ergibt sich, dass ein supermassives schwarzes Loch die plausibelste und überzeugendste Erkl?rung dieses Objekts ist.
Derzeit untersucht Ghez, wie sie ihren Ansatz erweitern kann. Im Vergleich der Galaxien ist das schwarze Loch der Milchstrasse relativ ruhig. Wenn schon die Bewegungen in einer Galaxie, die wie die Milchstrasse eher inaktiv erscheint, im Zentrum von einem schwarzen Loch gesteuert werden, dann liegt die Annahme nicht fern, dass solche Objekte in den Zentren aller Galaxien zu finden seien.
Andrea Ghez’ Auftritt an den Paul Bernays Lectures 2021 schliesst nahtlos an die Vorlesungsreihe ?Women in Science and Space? an, an der in diesem Frühjahr Physikerinnen auf Einladung von ETH-Rektorin Sarah Springman ihre Forschung zum Thema Weltall vorstellten (vgl. Links weiter unten).
Die Philosophie der Paul Bernays Lectures
Eine spezielle Erfahrung werden die zehnten Paul Bernays Vorlesungen für Giovanni Sommaruga. Sie werden die letzten sein, die der Logiker und Philosoph mit Spezialisierung in Formalwissenschaften organisiert. Auf seine Idee und Initiative hin wurde die Ehrenvorlesungsreihe 2012 als ein Format ins Leben gerufen, das sich der Philosophie der exakten Wissenschaften (Mathematik, Logik, Informatik, Physik) widmet. Was die Paul Bernays Lectures auszeichnet, ist die Konzeption von Philosophie, die ihr zugrunde liegt.
?Charakteristisch für dieses Verst?ndnis der Philosophie der exakten Wissenschaften ist ihre N?he zur wissenschaftlichen Forschung selbst, aus der sie ihre Themen und Fragen sch?pft, und auf die sie im besten Fall sogar zurückwirkt?, sagt Sommaruga. In dieser Form ist Philosophie selbst eine Grundlagenforschung, die die Grundlagen und Methoden einer bestimmten Disziplin reflektiert und untersucht. Heute sind die Paul Bernays Lectures eine einzigartige, komplement?re Veranstaltung zu den Wolfgang Pauli Lectures, deren Format und Ausrichtung bei Studierenden und Forschenden grossen Anklang gefunden hat.
Paul Bernays Vorlesungen 2021
Prof. Andrea M. Ghez, University of California, Los Angeles, Nobelpreis der Physik 2020
?Ein einzigartiges physikalisches Labor im Zentrum unserer Galaxie?
Lecture 1:
Von der M?glichkeit zur Gewissheit eines supermassereichen schwarzen Lochs
Montag, 30. August 2021, 17 Uhr, Audimax, ETH-Hauptgeb?ude
Lecture 2:
Unser galaktisches Zentrum: Ein einzigartiges Labor der Physik undder Astrophysik der schwarzen L?cher
Dienstag, 31. August 2021, 17 Uhr, Audimax, ETH-Hauptgeb?ude
Lecture 3:
Stellare Umaufbahnen im Galaktischen Zentrum: Das Gute, Das Schlechte, das H?ssliche
Dienstag, 31. August 2021, 19 Uhr, Audimax, ETH-Hauptgeb?ude
Alle Vortr?ge werden auf Englisch gehalten. Lecture 1 richtet sich an ein breites, wissenschaftlich interessiertes Publikum, w?hrend sich die Lectures 2 und 3 an die Forschungsgemeinschaft wenden.
Paul Bernays Lectures 2021 jetzt online
Die Paul Bernays Lectures 2021 aufgezeichnet worden. Die Aufzeichnung der Ehrenvorlesungen der Nobelpreistr?gerin Andrea Ghez ist auf video.ethz.ch/speakers/bernays ver?ffentlicht und ist nun dauerhaft verfügbar– einschliesslich der Einführungen von ETH-Rektorin Sarah Springman, des Philosophen Giovanni Sommaruga und des Astrophysikers Philippe Jetzer.
Weitere Informationen
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