Seesternlarve als Inspirationsquelle
Forschende an der ETH Zürich haben einen winzigen Roboter entwickelt, der die Bewegungsmuster einer Seesternlarve nachahmt. Er wird mit Schallwellen angetrieben und ist wie sein natürliches Vorbild mit H?rchen bestückt. In Zukunft k?nnten solche Mikroschwimmer Medikamente zielgenau zu kranken Zellen bringen.
Weltweit tüfteln Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an winzigen Maschinen, welche die Medizin revolutionieren sollen. Denn die Mikroroboter, oft nur ein Bruchteil des Durchmessers eines Haares gross, k?nnen medizinische Wirkstoffe zu spezifischen Problemstellen im K?rper bringen und kleinste chirurgische Eingriffe durchführen. Angetrieben und gelenkt werden die Wundermaschinen mit externer Energie, meist durch akustische oder magnetische Felder.
Bei der Form der Schwimmk?rper lassen sich Forschende oft von Mikrolebewesen wie Bakterien oder Algen inspirieren. Eine Forschungsgruppe an der ETH Zürich hat nun erstmals einen Mikroroboter entwickelt, der die Schwimm- und Fresstechnik einer Seesternlarve nachahmt.
Mit H?rchen Flüssigkeit wegstossen oder ansaugen
Auf den ersten Blick ist die ?hnlichkeit zwischen Mikroroboter und Seesternlarve gering. Die wenige Millimeter grosse Larve des fünfarmigen Meerestieres hat einen lappigen K?rper. Der Mikroroboter ist hingegen ein einfaches Rechteck und rund zehnmal kleiner – er misst nur einen Viertel Millimeter. Ein wichtiges Merkmal ist jedoch beiden gemein: die feinen, beweglichen H?rchen auf der K?rperoberfl?che, sogenannte Cilien.
Die Seesternlarve ist übers?t mit Hundertausenden von solchen H?rchen. Angeordnet in Reihen schlagen sie im Meerwasser koordiniert hin und her und erzeugen dabei Wirbel. Forschende haben vor einigen Jahren gezeigt, dass das Tier die komplexen Str?mungsmuster wechselweise als Schwimmantrieb oder zum Ansaugen von Nahrungspartikeln nutzt.
Um vom Fressmodus in den Schwimmmodus zu wechseln, ver?ndert die Seesternlarve unter anderem die Orientierung der H?rchenreihen zueinander. So kreieren zwei einander zugeneigte Reihen einen Wirbel mit Schubwirkung, mit dem sich die Larve im Wasser vorw?rtsbewegt. Sind die H?rchenreihen hingegen in entgegengesetzte Richtung orientiert, entsteht ein Wirbel, der Flüssigkeit und darin enthaltene Nahrungspartikel ansaugt.
Künstliche Schwimmk?rper schlagen schneller
Die H?rchen waren auch der Schlüssel im Design des neuen Mikroroboters, den Forschende unter der Leitung von Daniel Ahmed, Professor am Departement Maschinenbau und Verfahrenstechnik, entwickelt haben. Ahmed sagt: ?Am Anfang wollten wir schlicht ausprobieren, ob wir mit H?rchenreihen, die einander zu- oder abgeneigt sind, ?hnliche Wirbel erzeugen k?nnen wie die Seesternlarve.?
Die Forschenden konstruierten dazu einen Mikroroboter, der auf der Vorderseite einen Wirbel mit Sogwirkung und auf der Rückseite einen Wirbel mit Schubwirkung erzeugt. Mit Ultraschallwellen haben sie die H?rchen von aussen zum Schwingen gebracht. Mehr als zehntausend Mal pro Sekunde schlagen sie hin und her – rund 1000 Mal schneller als bei den Seesternlarven.
In ihren Laborexperimenten zeigten die Forschenden, dass der Mikroroboter in einem Wasserfilm geradeaus schwimmen kann. Um die Wirbel sichtbar zu machen, die er erzeugt, reicherten sie das Wasser mit winzigen Plastikkügelchen an. Das Resultat ist verblüffend: Die Str?mungsmuster von Seesternlarve und Mikroroboter sind praktisch identisch.
Analog zur Fresstechnik der Seesternlarve kombinierten die Forschenden in einem zweiten Schritt einen Wirbel mit Sog-? und einen mit Schubwirkung nebeneinander. Mit diesem Modul konnten sie Partikel sammeln und in eine bestimmte Richtung lenken.
Ultraschall bringt viele Vorteile
Ahmed ist überzeugt, dass der neue Typ Mikroroboter in absehbarer Zeit in der Medizin angewendet werden kann. Denn ein System, das nur auf Ultraschall abgestützt ist, bringt entscheidende Vorteile: Ultraschallwellen werden in der Bildgebung schon jetzt breit angewendet, dringen tief ins K?rperinnere ein und bergen keine gesundheitlichen Risiken.
?Unsere Vision ist, Ultraschall für den Antrieb, die Bildgebung und das Verabreichen von Medikamenten zu nutzen.?Daniel Ahmed
Weil die Therapie lediglich ein Ultraschallger?t voraussetzt und deshalb billig ist, k?nnte sie auch in Entwicklungsl?ndern genutzt werden.
Ein erstes m?gliches Anwendungsgebiet sieht Ahmed in der Behandlung von Magentumoren. Die Aufnahme von herk?mmlichen Medikamenten mittels Diffusion ist ineffizient. Mikroroboter, die den Wirkstoff zur betroffenen Stelle im Magen transportieren dort Wirbel erzeugen, k?nnten den Transport des Medikamentes in Tumorzellen effizienter machen.
Sch?rferes Bild dank Kontrastmitteln
Bis diese Vision aber tats?chlich umgesetzt werden kann, gibt es noch eine andere grosse Herausforderung zu meistern: die Bildgebung. Um die winzigen Maschinen an den richtigen Ort zu lenken, ist ein scharfes Bild in Echtzeit notwendig. Die Aufl?sung von herk?mmlichem Ultraschall ist dafür zu wenig hoch.
Ein m?glicher Ansatz sind Kontrastmittel, die in der Medizin genutzt werden, um beispielsweise Blutgef?sse in der Haut sichtbar zu machen. Die Forschende wollen in einem n?chsten Schritt solche Kontrastmittel in den Mikroroboter einbauen, um ihn dadurch besser sichtbar zu machen.
Nebst Anwendungen in der Medizin erwartet Ahmed, dass der neue Mikroroboter auch der Forschung und der Industrie einen Nutzen bringt. Die von H?rchenreihen erzeugten Wirbel k?nnten dabei helfen, winzige Flüssigkeitsmengen gezielt zu manipulieren. So k?nnten sie Flüssigkeiten mischen, als Pumpe wirken oder Partikel einfangen.
Literaturhinweis
Dillinger C, Nama N, Ahmed D. Ultrasound-activated ciliary bands for microrobotic systems inspired by starfish, Nat Commun. 2021 Nov 9. doi: externe Seite 10.1038/s41467-021-26607-y