Wenn Stress krank macht
Dauerstress mindert unsere Lebensqualit?t. Mit m?glicherweise irreversiblen Folgen: Denn Stress wirkt sich langfristig auf die Gesundheit aus. Das neue Flagship-Projekt ?Stress? von Hochschulmedizin Zürich will Ursachen erforschen und Behandlungsm?glichkeiten aufzeigen.
Dass Stress krank machen kann, ist l?ngst bekannt. Weniger bekannt ist, dass nicht nur die Psyche unter negativem Dauerstress leidet, sondern auch der K?rper. ?Chronischer Stress, insbesondere wenn er in der Kindheit erlebt wird, ist ein Risikofaktor für die Entwicklung h?ufiger neuropsychiatrischer oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen im sp?teren Leben?, sagt Isabelle Mansuy, Professorin für Neuroepigenetik an der ETH Zürich und der Universit?t Zürich.
Isabelle Mansuy leitet zusammen mit Birgit Kleim, Psychologie-Professorin an der Universit?t Zürich, das neue grosse Flagship-Projekt von Hochschulmedizin Zürich (HMZ), das den schlichten Namen ?Stress? tr?gt. Das Projekt startet am 1. Januar 2022 und wird mit einer Million Franken unterstützt, wobei sich ETH und Universit?t Zürich die Kosten teilen. Einem fünfk?pfigen Steering Committee geh?ren unter anderem ETH-Professor Johannes Bohacek und ETH-Professorin Nicole Wenderoth an. Gestern wurde das Projekt am Jahresanlass von HMZ feierlich lanciert.
Zweck des Flagship-Projekts ?Stress? ist es, die Auswirkungen von Stress auf die geistige und k?rperliche Gesundheit zu verstehen, zu diagnostizieren und zu behandeln. An der Forschungskooperation beteiligen sich Forschende der ETH, der Universit?t, der Psychiatrischen Universit?tsklinik und des Universit?tsspitals Zürich. Sie widmen sich damit einem gesellschaftlich gravierenden Problem, denn Stress hat in den letzten Jahrzehnten dramatisch zugenommen und erreichte wohl mit der Covid-Pandemie einen H?hepunkt.
Eines von vier Kindern betroffen
Generell wird zwischen gesundem Eustress und ungesundem Disstress unterschieden. W?hrend Eustress die Leistungsf?higkeit kurzfristig steigert und gut bew?ltigt werden kann, mindert Disstress die Gehirnleistung, belastet das Immunsystem und macht auf Dauer krank.
Wenn wir Stress haben, stellt sich der K?rper auf eine akute Gefahrensituation ein. Es werden Adrenalin, Noradrenalin und Corticoide ausgeschüttet, die Herzfrequenz und die Durchblutung steigen, Glukose wird freigesetzt und die Magendarmt?tigkeit eingeschr?nkt. Es ist ein unwillkürliches Reaktionsmuster, das sich im Lauf der Evolution entwickelte: In einer Gefahrensituation stellt sich der K?rper auf Flucht oder Kampf ein. Dabei greift bei Dauerstress das Cortisol wichtige Gehirnzellen an. Die Stresshormone führen dann langfristig sogar zu physiologischen und anatomischen Ver?nderungen im Hirn.
Stress kommt auch in der Kindheit h?ufig vor – verursacht zum Beispiel durch physischen oder sexuellen Missbrauch. Sch?tzungen der WHO zufolge ist weltweit eins von vier Kindern von Stress betroffen – die negativen Folgen wirken sich über die gesamte Lebensspanne hinweg aus. Denn Stress ist ein Risikofaktor für chronische Krankheiten, darunter psychiatrische, aber auch Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes Typ II bis hin zu neurologischen Erkrankungen wie Demenz. Komorbidit?t, bei der gleichzeitig mehrere Krankheiten auftreten, ist charakteristisch für Menschen, die schwerem Stress ausgesetzt sind.
Fachgrenzen überspannen
Trotzdem werden psychiatrische und kardiovaskul?re Erkrankungen nur selten gesamtheitlich betrachtet. Dies ist zum Teil auf die traditionelle Trennung von Psychiatrie und Kardiologie zurückzuführen.
Genau hier setzt das neue Flagship-Projekt von HMZ an. Das Stress-Konsortium bringt Expertinnen und Experten aus den Bereichen Psychiatrie/Psychologie, Neurowissenschaften, Zell- und Molekularbiologie, Kardiologie, Ingenieurwissenschaften und translationaler Bioinformatik zusammen, um das Risiko und die Resilienz von Stress über den gesamten Lebensverlauf hinweg zu untersuchen. ?Methodisch wird mit Tiermodellen gearbeitet. Es sind aber auch Langzeitstudien mit stressgeplagten Menschen vorgesehen?, erkl?rt Isabelle Mansuy.
Alarmzeichen erkennen und behandeln
So ist zum Beispiel eine Kohortenstudie mit über hundert Medizinstudierenden geplant, die ihr Praktikum in einem stressintensiven medizinischen Umfeld absolvieren, zum Beispiel in der Notaufnahme, der Intensivstation, der Inneren Medizin oder der Onkologie. Sechs Monate nach Beginn des Praktikums werden Angst, Depressionssymptome, psychosoziale Funktionsf?higkeit und wahrgenommener Stress als ?stressbezogene psychopathologische Manifestationen? erfasst. Weitere Befragungen im Laufe einer l?ngeren Zeitspanne erm?glichen die Bestimmung und den Vergleich individueller Gesundheitsverl?ufe innerhalb der Kohorte.
Das neue Flagship-Projekt wird das Wissen über die biologischen Folgen von chronischem Stress auf Gehirn und K?rper erweitern und damit dazu beitragen, dass zukünftig bessere Diagnosen gestellt und pr?ventive und therapeutische Massnahmen weiterentwickelt werden k?nnen.
Dies ist eine leicht ver?nderte Fassung eines Artikels von Marita Fuchs, der zuerst in den UZH News erschienen ist.
Hochschulmedizin Zürich
Hochschulmedizin Zürich versteht sich als Plattform mit dem Ziel, die Zusammenarbeit zwischen ETH Zürich, der Universit?t Zürich und den universit?ren Spit?lern im Grenzbereich zwischen biomedizinischen Grundlagenwissenschaften, Naturwissenschaften, Ingenieurwissenschaften, klinischer Forschung und medizinischer Versorgung zu f?rdern. Die Flagship-?Projekte von Hochschulmedizin Zürich sind vision?re Grossprojekte. Sie vereinen Forschungsgruppen aus verschiedenen Bereichen und haben das Potential für bahnbrechende Entwicklungen mit Ausstrahlung weit über Zürich hinaus. In einer j?hrlichen Ausschreibung vergibt die Hochschulmedizin Zürich Flagship-?Grants und unterstützt Forschende bei der Ausarbeitung ihrer Projektideen.