Was braucht es für ein klimaneutrales Energiesystem in der Schweiz?
Technologisch und wirtschaftlich k?nnte das Schweizer Energiesystem 2050 klimaneutral sein. In der Umsetzung stellen sich trotzdem Fragen. Zum Beispiel müsste der Ausbau der Photovoltaik schneller als heute erfolgen. ?ber m?gliche Energieszenarien haben Forschung und Industrie an der ETH Zürich diskutiert.
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Netto-Null ist ein Ziel, das das Schweizer Energiesystem bis 2050 erfüllen soll. Es bedeutet, dass die gesamte Energie-Wertsch?pfungskette aus Erzeugung, Verteilung, Speicherung und Nutzung keine klimaver?ndernden Treibhausgase mehr in die Atmosph?re ausst?sst und insgesamt klimaneutral funktioniert. Eine Schlüsselrolle spielt dabei der Ersatz von fossilen Energietr?gern, was in der Schweiz durch die Elektrifizierung des Transport- und Heizungssektors erreicht werden kann. ?Die Forschung zeigt uns, dass es technisch und wirtschaftlich m?glich ist, dass das Schweizer Energiesystem im Jahr 2050 ohne fossile Energietr?ger auskommen kann.?
Das sagte Vanessa Wood, ETH-Vizepr?sidentin für Wissenstransfer und Wirtschaftsbeziehungen, am ?ffentlichen Symposium der ?Energy Week 2021?, der j?hrlichen ETH-Energiekonferenz. Diesem Argument folgte Monika Krüsi, die Verwaltungsratspr?sidentin von Repower, einem Schweizer Vertriebs- und Dienstleistungsunternehmen im Energiebereich. Die Energiewirtschaft und ihre L?sungsans?tze seien heute noch sehr heterogen. Für die Zukunft notwendig seien pragmatische L?sungen, ein investitionsfreundliches Marktumfeld sowie Zusammenarbeit, Flexibilit?t und Digitalisierung.
Um die verschiedenen Entwicklungsm?glichkeiten aufzuzeigen, wie sich ein klimaneutrales Energiesystem in der Schweiz bis 2050 zusammensetzen kann, haben ETH-Forschende in den vergangenen Wochen m?gliche Energieszenarien berechnet. Dabei zeichnen sich fünf Haupttrends ab, wie Gabriela Hug, Professorin für elektrische Energiesysteme und Vorsitzende des Energy Science Center (ESC), am Symposium darlegte:
- Die Stromimporte dürften künftig zumindest mittelfristig in den Wintermonaten h?her als heute ausfallen, da die Schweiz aus der Kernenergie aussteigt und der Strombedarf durch die Elektrifizierung von Heizungen (W?rmepumpen) und Personenwagen (E-Mobilit?t) ansteigt.
- Wenn die Elektrifizierung der Mobilit?t und der Heizungen in naher Zukunft schneller als heute voranschreitet, dann wird die Abh?ngigkeit der Schweiz von ausl?ndischen Stromimporten mittelfristig (ca. 2040) zus?tzlich zunehmen. Aus technischer und ?konomischer Sicht w?re sie aber machbar, wobei flexible Gaskraftwerke (einschliesslich der Ausscheidung und Speicherung von Treibhausgasen) je nach Szenario zu einer Option oder einem Muss werden k?nnten.
- Der Klimawandel und die zunehmenden Wetterextreme werden die saisonale Verfügbarkeit der Wasserkraft ver?ndern. Das wird Auswirkungen auf den m?glichen oder n?tigen Ausbau des Energiesystems haben: in extrem trockenen Jahren wird sich die Stromproduktion aus der Wasserkraft verringern und die Stromproduktionsspitzen der Flusskraftwerke dürften sich vom Sommer in den Frühling verschieben. Diese Verringerung bedeutet, dass insgesamt weniger Energie verfügbar sein wird, was den Investitionsbedarf erh?ht. Dafür wird die Energie tendenziell eher dann verfügbar sein, wenn sie gebraucht wird. Die gr?sseren Unterschiede zwischen sehr nassen und sehr trockenen Jahren erschweren jedoch die Investitionsentscheidungen.
- Die kostenoptimale Entwicklung des Schweizer Stromsystems h?ngt sehr stark von den Entwicklungen in den Nachbarl?ndern ab: Je mehr Frankreich, Deutschland, ?sterreich und Italien auf erneuerbare Energietr?ger setzen und ?berkapazit?ten in diesem Bereich schaffen, umso kosteneffizienter würde ein Ausbau der flexiblen Stromproduktion (z.B. Gaskraftwerke, Pumpspeicher) in der Schweiz.
- Würde der grenzüberschreitende Stromhandel zwischen der Schweiz und Europa langfristig stark eingeschr?nkt (in den Szenarien z.B. um 50 Prozent), so würde deutlich weniger Strom mit dem Ausland gehandelt werden k?nnen und die Schweiz müsste ihre inl?ndische Stromerzeugungskapazit?t erh?hen.
Die Energieszenarien sind keine Prognosen. Sie machen keine Vorhersage über die Zukunft, sondern sie zeigen auf, welche Trends unter bestimmten Annahmen und Ausgangslagen m?glich sind.
Ausbau der Photovoltaik
Im Vergleich der verschiedenen Szenarien best?tigt sich, wie wichtig der Ausbau der Photovoltaik in der Schweiz ist. Im ?externe Seite Nexus-e Referenzszenario?, das sozusagen das Hauptszenario der ETH-Forschenden ist, und auf einer wirtschaftlichen Optimierung beruht, wird der Strom aus Wasserkraft und Photovoltaik (PV)-Anlagen den gr?ssten Teil der künftigen Stromnachfrage decken, andere erneuerbare Energien wie Biomasse und Windkraft spielen eine geringere Rolle. Dieses Ergebnis ist vergleichbar mit den Netto-Null-Szenarien des Bundes, den ?externe Seite Energieperspektiven 2050+?.
In den Vergleichsszenarien hingegen, in denen die Photovoltaik nicht derart stark ausgebaut wird wie das technisch und wirtschaftlich m?glich w?re, wird es schwierig für die Schweiz, die künftige Stromnachfrage aus eigener Produktion zu decken. Sollte das Ausbautempo der Sonnenenergie auf dem heutigen Niveau verharren, dann würde die Stromnachfrage 2050 infolge des Ausstiegs aus der Atomkraft klar verfehlt und die Schweiz müsste viel Strom importieren.
Auch im ?Referenzszenario externe Seite Nexus-e? gleicht der starke Ausbau von Photovoltaik-Anlagen den Ausstieg aus der Kernkraft erst langfristig aus. Das würde bedeuten, dass vor allem um 2040 hohe Strom-Importe n?tig würden, wenn die Kernkraftwerke nicht mehr in Betrieb sind. Gegen 2050 k?nnten Windkraft, Pumpspeicher und Gaskraftwerke (einschliesslich der Speicherung der ausgeschiedenen Treibhausgase) den Unterschied machen, damit die Schweiz ihren Strombedarf decken kann.
Stromhandel mit Europa
Nicht zuletzt wird die Stromversorgung auch von den Rahmenbedingungen für den Stromhandel mit Europa beeinflusst werden: ?Langfristige Einschr?nkungen des Stromhandels k?nnte die Versorgungssicherheit in der Schweiz schw?chen, sodass es sinnvoll sein k?nnte, ab 2040 in Windkraft und Gaskraftwerke zu investieren?, sagte Hug. Gaskraftwerke k?nnten als flexible Stromproduktionseinheiten dienen, die auch kurzfristig und saisonal, etwa im Winter, Strom erzeugen k?nnen. Sie seien je nach Szenario eine Option oder eine Notwendigkeit. Ihr CO2-Ausstoss müsste aber in jedem Fall abgeschieden und gespeichert werden.
Zusammenarbeit und Sektorkopplung
Um die Treibhausgasemissionen langfristig tats?chlich zu senken und das Energiesystem ganzheitlich zu optimieren – darin waren sich die Vertreterinnen aus Wissenschaft und Wirtschaft einig –, werden künftig sektorübergreifende Zusammenarbeit und Wertsch?pfungsketten eine matchentscheidende Rolle spielen. ?Die Verbreitung der erneuerbaren Energie-Technologien geht mit der Kopplung von Sektoren einher?, sagte Annegret Stephan, Wirtschaftswissenschaftlerin der ETH-Forschungsgruppe ?Nachhaltigkeit und Technologie?.
Am Beispiel einer Energieplanung, die die Elektrifizierung von Geb?uden und Mobilit?t gemeinsam untersucht, zeigte Kristina Orehounig, Leiterin des Urban Energy Systems Laboratory an der Empa, wie eine solche Sektorkopplung auf Quartiersebene funktioniert. Wie genau Sektorkopplung und Flexibilit?t zu einem klimaneutralen Schweizer Energiesystem beitragen k?nnen, untersuchen Forschende in dem von der ETH Zürich geleiteten Forschungskonsortium externe Seite SWEET PATHFNDR, das im Mai lanciert wurde. Am Symposium zeigte sich lebhaft, was Vanessa Wood zu Beginn gesagt hatte: eine nachhaltige Energiezukunft geht alle etwas an, und es braucht auch alle.
Die Pr?sentationen des Symposiums sind auf der Veranstaltungsseite der Energy Week @ ETH 2021 sowie auf der Webseite der Modellierungsplattform externe Seite Nexus-e zum Herunterladen aufgeschaltet. Die Energieszenarien werden im neuen Jahr ver?ffentlicht.