Agenten zwischen Gut und Böse

Bakteriophagen, kurz Phagen, sind Viren, die ausschliesslich Bakterien befallen. Um einen bakteriellen Wirt zu kapern, heften sie sich zun?chst an spezifische Molek¨¹le auf dessen Zelloberfl?che. Dann injizieren sie ihr Erbgut in die Bakterienzelle. Um die bakterielle Zellmaschinerie zur Produktion neuer Virenpartikel umzuprogrammieren, m¨¹ssen Phagen zudem das Immunsystem des Zielbakteriums ¨¹berlisten.

Die molekularen Eintrittspforten und das Immunsystem unterscheiden sich je nach Bakterium. Die g?ngige Meinung war daher, dass die meisten Phagen ein enges Wirtsspektrum haben, also nur eine einzelne Bakterienart oder sogar Unterart angreifen. Daher stammt auch die Idee, die nat¨¹rlichen Bakterienkiller zur Behandlung von Infektionen einzusetzen ¨C besonders, wenn die krankmachenden Bakterien Resistenzen gegen Antibiotika erworben haben.

Eine Studie unter der Leitung von Elena G¨®mez-?Sanz, Postdoktorandin in der Gruppe von Martin Loessner, Professor f¨¹r Lebensmittelmikrobiologie an der ETH Z¨¹rich, stellt die Theorie des engen Wirtsspektrums von Phagen nun aber in Frage. Phagen innerhalb der Bakteriengruppe der Staphylokokken befallen oft mehrere Arten gleichzeitig. Ihre Resultate ver?ffentlichten die Forschenden k¨¹rzlich in der Fachzeitschrift externe Seite Nature Communications.

Das Ergebnis der Studie k?nnte unmittelbare Konsequenzen f¨¹r die Phagentherapie haben, welche in der Schweiz noch nicht zugelassen ist, jedoch in Osteuropa schon lange angewandt wird. Phagen t?ten Bakterien n?mlich nicht nur ab, sie k?nnen auch Antibiotika-Resistenzgene von einem Bakterium auf ein anderes ¨¹bertragen. Durch ihr ungeahnt grosses Beuteschema k?nnten Phagen demnach Resistenzen viel weiter in der Umwelt verbreiten als bisher gedacht.

Viele neue Phagen aus Kl?rwasser isoliert

Der Mechanismus, mit dem Phagen Antibiotikaresistenzen unter Bakterien verbreiten k?nnen, ist bereits bekannt. Kurz: Wenn sich die Viren in den Bakterienzellen vermehren, packen sie nicht nur ihr eigenes Erbgut in neue Viruspartikel ein. In einigen F?llen schleusen sie genetisches Material vom befallenen Bakterium ¨C so etwa ein Resistenzgen ¨C in die Viruspartikel. Bef?llt ein solcher Viruspartikel dann ein neues Bakterium, kann es zur Resistenz¨¹bertragung kommen.

Bei den Staphylokokken ist diese Form des Gentransfers besonders gut untersucht. Diese Bakteriengruppe mit ¨¹ber 50 Arten besiedelt nat¨¹rlicherweise nicht nur den Menschen, sondern auch Nutztiere und sie kommt auch in Gew?ssern vor. Der bekannteste Vertreter ist Staphylococcus aureus ¨C eine Bakterienart, die nat¨¹rlicherweise unsere Nase und die Haut besiedelt, sich jedoch j¨¹ngst zu einem gef?hrlichen multiresistenten Krankheitserreger entwickelt hat.

Phagen haben in der Evolution des heute h?ufigsten und am weitesten verbreiteten multiresistenten Erregers eine entscheidende Rolle gespielt, so die weit verbreitete Annahme. Es ist daher kaum verwunderlich, dass ¨¹ber 90 Prozent der f¨¹r Staphylokokken bekannten Phagen auf Staphylococcus aureus zur¨¹ckgehen. Meist wurden sie aus klinischen Proben isoliert.

?Wenn wir die Rolle von Phagen als ?bertrager von Antibiotikaresistenzen beurteilen wollen, m¨¹ssen wir jedoch das ganze Bild ¨C nicht nur die Situation in der Humanmedizin ¨C betrachten?, sagt G¨®mez-Sanz.

Auf der Suche nach einer m?glichst grossen Bandbreite nat¨¹rlicher Phagen von Staphylokokken begaben sich die ETH-Forschenden in Kl?ranlagen. Denn: Hier treffen die unterschiedlichsten Bakterien sowie deren Phagen aufeinander ¨C jene aus der menschlichen Mikrobioms, aus der Tierhaltung, aus Haushalten und der Industrie. Insgesamt 94 Phagen haben die Forschenden f¨¹r ihre Studie aus Kl?rwasser isoliert.

Viren spannen riesiges Netzwerk f¨¹r Gentransfer auf

In Laborversuchen bestimmten die Forschenden das nat¨¹rliche Beuteschema der isolierten Phagen. Dazu liessen sie die Phagen auf verschiedene potentielle Wirtsbakterien los und untersuchten deren Infektionsmuster. Unter den insgesamt untersuchten 117 Bakterienst?mmen befanden sich Vertreter aus 29 verschiedenen Staphylokokkus-Arten, Bakterien aus allen Lebensr?umen, mit und ohne Antibiotikaresistenzen.

Die Gesundheit des Menschen ist eng mit der Gesundheit von Tieren und der Umwelt verbunden?, sagt G¨®mez-Sanz. So zeigen die neuen Erkenntnisse zum Netzwerk einzelner, nat¨¹rlicher Phagen, dass Antibiotikaresistenzen von Bakterien des tierischen Mikrobioms ¨¹ber Phagen direkt an menschliche Krankheitserreger weitergegeben werden k?nnten. Dies unterstreicht die Wichtigkeit des modernen ?One-Health-Ansatzes? beim Einsatz von Antibiotika.

Wie h?ufig Phagen Resistenzen ¨¹bertragen, ist unklar

Wie h?ufig Phagen Antibiotikaresistenzen in der Natur tats?chlich ¨¹bertragen, l?sst sich mit Laborexperimenten bislang nur schwer abzusch?tzen. Die vorliegende Studie trifft dennoch eine Annahme, welche der untersuchten Phagen besonders potente ?bertr?ger sind.

Bei 28 der 94 Phagen haben die ETH-Forschenden untersucht, wie h?ufig diese w?hrend ihrer Vermehrung in einem untersuchten Wirtsbakterium ein nat¨¹rliches Resistenzgen aufnehmen. Die Aufnahmeh?ufigkeit variierte von 1 in 100 bis zu 1 in 10 Millionen Partikel.

Grund f¨¹r diese grossen Unterschiede sind die unterschiedlichen Lebenszyklen und die Enzyme, die die Viren nutzen, um ihr Erbgut zu verpacken. ?Einige sind ?fehleranf?lliger? als andere, packen also eher bakterielle Erbgut-Teile mit ein?, erkl?rt G¨®mez-Sanz. Haben solche Phagen zus?tzlich ein breites Wirtsspektrum, ist das Risiko einer ?bertragung nochmals gr?sser.

Die Studienergebnisse seien f¨¹r den therapeutischen Gebrauch von Phagen, wie die Autoren betonen. Positiv zu werten ist die Erkenntnis, dass Phagen ein breites Wirtsspektrum haben k?nnen. Das erleichtert ihr Einsatz gegen eine Vielzahl von krankmachenden Bakterien.

Allerdings muss man beim Einsatz von Phagen in der Medizin aufpassen, dass diese nicht zus?tzlich als ?bertr?ger von Antibiotikaresistenzen fungieren. Daher sei es wichtig, dass medizinisch genutzte Phagen einen m?glichst fehlerfrei funktionierenden Vermehrungsmechanismus besitzen.

Diese Forschungsarbeit wurde finanziell unterst¨¹tzt vom Nationalen Forschungsprogramm "Antimikrobielle Resistenz" (externe Seite NFP 72).