Home-Office – da fehlt doch was?
Erika Meins erkl?rt, warum es aus wissenschaftlicher Sicht für unsere Leistungsf?higkeit und unser Wohlbefinden gut ist, aus dem Home-Office zurück ins Büro zu kommen.
Kennen Sie das auch? Der Tag war streng durchgetaktet, unz?hlige Themen parallel bearbeitet, mit gesch?tzten Kollegen per Mail/Chat/Call im Kontakt und trotzdem: Statt erfüllt, fühlen wir uns nach einem intensiven Tag im Home-Office manchmal einfach nur ersch?pft, orientierungslos und leer.
Dabei sind die M?glichkeiten des digital unterstützten ortsunabh?ngigen Arbeitens ein Segen. In der Pandemie konnte vielerorts die Arbeit nahtlos von zuhause weitergeführt werden: Trotz r?umlicher Distanz arbeiten wir mit Arbeitskolleginnen parallel an Dokumenten oder in virtuellen Workshops gemeinsam an digitalen Whiteboards. Gleichzeitig hat die Pandemie auch klar die Grenzen des Home-Office als Dauerzustand aufgezeigt. Neben physischer Ersch?pfung und emotionaler Leere erlebten viele einen Verlust des Raum- und Zeitgefühls: Die Küche wird zur Cafeteria, die Wohnzimmercouch zum Arbeits- und Freizeitort und die Grenzen zwischen gestern, heute und morgen l?sen sich zunehmend auf. Aus wissenschaftlicher Sicht gibt es dafür verschiedene Erkl?rungsans?tze.
Zun?chst ist das Ph?nomen der Ersch?pfung nach Videokonferenzen, auch als ?Zoom-Fatigue? bezeichnet, mittlerweile gut erforscht: Virtuelle Meetings gehen mit einem gr?sseren kognitiven Aufwand einher – verursacht durch Mikroverz?gerungen in der ?bertragung, dem Wegfallen von ?Social Cues?, dem ununterbrochenen Starren auf den Bildschirm. Unser Gehirn ben?tigt schlicht mehr Energie, um Informationen aufzunehmen, was uns physisch ermüdet. Pausen sind w?hrend und zwischen Videokonferenzen umso wichtiger.
?Allerdings ist Multitasking eine Illusion.?Erika Meins
Gleichzeitig steigt die Versuchung der Ablenkung. Wer hat w?hrend eines der zahlreichen virtuellen Meetings nie parallel E-Mails beantwortet oder Mitteilungen auf dem Smartphone gelesen? Allerdings ist Multitasking eine Illusion. Das vermeintliche parallele Arbeiten besteht vielmehr aus seriellen Miniarbeitsunterbrechungen. Dies reduziert paradoxerweise unsere F?higkeit, zwischen Aufgaben zu wechseln und reduziert messbar unsere Merk- und Leistungsf?higkeit. Um dem entgegenzuwirken, k?nnen wir Mail- und andere Benachrichtigungen abschalten und nicht benutzte Arbeitsprogramme schliessen.
Einheitsbrei im Kopf
Der Wegfall des Arbeitsweges, oder nur schon der ausbleibende Wechsel von einem Sitzungszimmer zum n?chsten, geht einher mit einem Wegfall visueller Eindrücke, Gerüche und Ger?usche. Fehlende variierende sensorische Reize, gekoppelt mit fehlender Bewegung, tragen allerdings zum Verlust der Orientierung im Alltag bei und beeintr?chtigen unsere kognitive Leistungsf?higkeit. Das mag erkl?ren, warum im Home-Office die Tage zu einem gefühlten Einheitsbrei verkommen und es uns Mühe macht, auseinanderzuhalten, wer was in einem der zahlreichen virtuellen Meetings gesagt hat.
Neuere neurowissenschaftliche Studien zeigen zudem, dass unser Gehirn Informationen zu physischen und virtuellen Objekten unterschiedlich verarbeitet. Je nachdem, ob wir auf ein Objekt in der virtuellen oder physischen Realit?t fokussieren, werden unterschiedliche Hirnregionen aktiviert. Welche Auswirkungen das auf Leistungsf?higkeit oder Wohlbefinden hat, ist aus wissenschaftlicher Sicht noch unklar. Klar ist hingegen, dass diese Fragen immer zentraler werden, insbesondere mit einer zunehmenden Verwendung von immersiven Frontier-Technologien wie dem Metaverse.
Soziale Verbundenheit und Wohlbefinden
Schliesslich kann der Wegfall von physischen pers?nlichen Interaktionen im Arbeitsalltag unser Wohlbefinden negativ beeinflussen und nur zu einem gewissen Grad durch digitale Kontakte kompensiert werden. Soziale Kontakte sind für unsere mentale und k?rperliche Gesundheit essenziell, wenn auch je nach Pers?nlichkeit st?rker oder schw?cher ausgepr?gt. Nachgewiesen ist, dass physische soziale Kontakte einen beruhigenden und regulierenden Effekt auf das Nervensystem haben und damit zur Reduktion von Stress beitragen. Neue Studien zeigen zudem, dass von verschiedenen Kommunikationsarten w?hrend des Lockdowns vor allem Face-to-Face-Interaktionen einen positiven und langanhaltenden Effekt auf unser Wohlbefinden hatten. Das gilt auch für das Gefühl von sozialer Verbundenheit unter Arbeitskollegen: Bei Face-to-Face-Interaktionen ist dieses am st?rksten, gefolgt von Videocalls, Telefon und – am untersten Ende – Textnachrichten.
Das zeigt, wie wichtig es ist, wieder ins Büro zurückzukommen – zumindest teilweise – und sonst physische Erlebnisse zu erm?glichen, ein Buch oder eine Zeitung physisch lesen, regelm?ssig nach draussen gehen. Und wenn physische Treffen mit Arbeitskolleginnen oder Kunden l?ngere Zeit nicht stattfinden: lieber einmal einen virtuellen Videoaustausch initiieren oder zum Telefon greifen, als noch eine Mail oder eine Chatnachricht zu senden. Das vielf?ltige Angebot an digitalen Interaktionsm?glichkeiten ist eine grosse Chance. Zentral ist eine bewusste Art und Weise der Nutzung. Setzen wir digitale Anwendungen gezielt ein und erm?glichen so deren verantwortungsvollen Einsatz in einer hybriden Arbeitswelt – sei es als Arbeitnehmer oder Arbeitgeberin.
Am Beitrag hat auch Jasmine Kerr, Psychologin und Doktorandin des Labs am Lehrstuhl für Technologie Marketing, mitgearbeitet. Er erscheint ebenfalls in der externe Seite NZZ vom 23. Februar.