Momoyo Kaijma und Yoshiharu Tsukamoto erhalten den Wolf Preis

Als Momoyo Kaijima am Abend des 7. Februars einen ungew?hnlichen Anruf von einer israelischen Nummer entgegennimmt, ist sie zuerst v?llig ¨¹berrascht und braucht einen Moment, bis sie versteht, wor¨¹ber ihr Gegen¨¹ber spricht. Dan Shechtman, der Vorsitzende der Wolf Foundation, teilt Kaijima mit, dass sie und ihr Partner Yoshiharu Tsukamoto,  Professor am Tokyo Institute of Technology, den diesj?hrigen externe Seite Wolf Preis f¨¹r Architektur gewonnen haben.

Seit 1978 wird der Wolf Preis jedes Jahr an herausragende Wissenschaftler:innen und K¨¹nstler:innen verliehen. Fr¨¹here Preistr?ger in der Kategorie Architektur sind Gr?ssen wie Frank O. Gehry, Jean Nouvel, Peter Eisenman oder David Chipperfield. Mit Momoyo Kaijima und Yoshiharu Tsukamoto reiht sich nun ein Architekturduo in diesen Kreis der Preistr?ger ein, dessen Projekte und Publikationen externe Seite der Jury zu Folge von grosser Feinf¨¹hligkeit f¨¹r lokale Kontexte und die sozialen Auswirkungen von Architektur gepr?gt sind.

Momoyo Kaijima ist erst die dritte Frau, die den Wolf Preis f¨¹r Architektur erh?lt. Seit 2017 ist sie Professorin f¨¹r Architectural Behaviorology an der ETH Z¨¹rich.

Bellende Hunde aus Tokio

Momoyo Kaijima w?chst im Tokio der 1970er Jahre auf. Ihr Familie bewohnt ein Haus im Zentrum der Stadt, in dem drei Generationen zusammenleben. ?Unser Haus bot trotz beschr?nktem Raum auf nat¨¹rliche Weise ganz unterschiedlichen Lebensstilen Platz?, erinnert sie sich. Am Weg in die Schule erlebt sie, wie rasant sich ihre Heimatstadt nach den Olympischen Spielen von 1964 entwickelt. Diese Erfahrungen und Eindr¨¹cke wecken ihr Interesse f¨¹r Architektur und St?dtebau und pr?gen sie bis heute: ?Tokio war immer eine meiner wichtigsten Inspirationsquellen.?

Kaijima studiert an der Japan Women's University und am Tokyo Institute of Technology Architektur. Noch w?hrend ihres Masterstudiums gewinnt sie gemeinsam mit Yoshiharu Tsukamoto einen ihrer ersten Wettbewerbe, woraufhin die beiden 1992 das Atelier Bow-Wow gr¨¹nden. Bow-Wow ist eine nicht ganz ernst gemeinte Anspielung darauf, wie man das Bellen von Hunden in unterschiedlichen L?ndern ausspricht. ?Es war uns wichtig, dass wir als Personen in den Hintergrund r¨¹cken. Ausserdem fanden wir den Namen lustig?, erinnert sich Kaijima.

Die Entdeckung von Grenz- und Zwischenr?umen

Das architektonische Schaffen von Kaijima und Tsukamoto ist stark von der Auseinandersetzung mit ihrer Heimatstadt Tokio gepr?gt. 2001 ver?ffentlichen die beiden die vielbeachteten B?nde externe Seite ?Made in Tokyo? und externe Seite ?Pet Architecture?, in denen Sie die Stadt jenseits von Wolkenkratzern und Hochglanzbauten beschreiben. Im Fokus stehen kleine H?user und anonyme Geb?ude, die sonst kaum architektonische Beachtung finden, aber f¨¹r Tokio charakteristisch sind.

Kaijima und Tsukamoto zeigen auf, wie selbst kleine und unscheinbare Grenz- und Zwischenr?ume die M?glichkeit f¨¹r Begegnungen bieten k?nnen. ?Bereits ein Baum in einem kleinen Garten kann das ?ffentliche Leben bereichern und zu einem harmonischen Miteinander beitragen?, so die ETH-Architektin.

Mit den Fallstudien und Beispielen in ?Made in Tokyo? wollen Kaijima und Tsukamoto f¨¹r die Vorz¨¹ge einer hybriden, flexiblen Funktionalit?t von Geb?uden sensibilisieren, die auf den ersten Blick nicht konventionellen, ?sthetischen Vorstellungen entsprechen. Sie zeigen dar¨¹ber hinaus, welche Rolle auch kleinste architektonische Interventionen bei der Aneignung der Stadt durch ihre Bewohner spielen k?nnen.

Mini-H?user

Forschung und Entwurf sind bei Kaijima und Tsukamoto stets eng miteinander verzahnt. Es ist daher kaum ¨¹berraschend, dass die ersten Projekte von Bow-Wow Wohnbauten in Tokio sind. Bekannt wurden die beiden mit einer Reihe von Mini-H?usern, die unter schwierigen Rahmenbedingungen auf sehr engen Parzellen entstanden sind.

Viel beachtete Bauten wie das externe Seite Gae-House, externe Seite Mini-House, oder externe Seite Nora-House zeigen, wie Kaijima und Tsukamoto es durch kluge Entw¨¹rfe schaffen, auch auf engstem Raum hochwertigen Wohnraum zu schaffen. Neben einem sehr bewussten Umgang mit bestehenden Kontexten, ist dabei vor allem eine intensive Besch?ftigung mit den W¨¹nschen und Bed¨¹rfnissen der Bewohner:innen entscheidend.

Architectural Behaviorology

Aus der intensiven Analyse der Wechselwirkung zwischen Geb?uden, menschlichem Verhalten und nat¨¹rlichen Ressourcen kristallisiert sich ¨¹ber die Jahre hinweg ein eigenes Verst?ndnis von Architektur heraus, das Kaijima und Tsukamoto in einem 2010 ver?ffentlichten Manifest ?Architectural Behaviorology? nennen. Dabei machen die beiden theoretische und methodische Ans?tze aus der Ethnographie, Sozialgeographie und Philosophie f¨¹r die Architektur nutzbar.

Das Resultat ist eine Designstrategie, deren Ziel es ist, lokale Ressourcen zu kultivieren und zug?nglich zu machen. Diese Ressourcen k?nnen materieller Natur sein, wie die Nutzung von lokalen Holzbest?nden beim Bau einer externe Seite Feuerholzfabrik in Katori Chiba, aber auch sozialer Natur: So engagieren sich Kaijima und Tsukamoto nach dem Erdbeben, das 2011 weite Teile der japanischen Region T¨­hoku verw¨¹stet, beim externe Seite Wiederaufbau des Fischerdorfes Momonoura und gr¨¹nden gemeinsam mit ¨¹ber 300 anderen Architekten die NGO ArchiAID. ?In dieser Ausnahmesituation war es uns besonders wichtig, auf die Betroffenen und ihre Bed¨¹rfnisse einzugehen und soziale Netzwerke und Solidarit?t zu aktivieren?, erkl?rt Kaijima.

Micro Public Spaces

Zu welch ¨¹berraschenden Ergebnissen das Architekturduo mit ihrem ethnografisch inspirierten Zugang kommt, zeigen auch eine Reihe von Ausstellungen ¨C sogenannte Micro Public Spaces ¨C wie das mobile Restaurant externe Seite White Limousine Yatai oder die schwimmende Plattform des externe Seite Canal Swimmers Club in Br¨¹gge. Mit diesen urbanen Interventionen gelingt es Kaijima und Tsukamoto immer wieder ?ffentliche Pl?tze zu reaktivieren und aufzuwerten.

F¨¹r besonderes Aufsehen sorgt 2011 das externe Seite Guggenheim-BMW-Lab. Die mobile Carbon-Konstruktion macht den Raum zwischen zwei Geb?uen als Studio und Veranstaltungsort nutzbar und kann an unterschiedlichen Orten installiert werden. Nach New York und Berlin ist sie heute in Mumbai zu finden.

Architektonische Ethnografie in der Lehre

Nach diversen Gastprofessuren unter anderem an der Harvard Universit?t, der Royal Danish Academy of Fine Arts oder der Columbia Universit?t, kommt Momoyo Kaijima 2017 an die ETH Z¨¹rich, wo sie den Lehrstuhl f¨¹r Architectural Behaviorology aufbaut. Auch in der Lehre bleibt sie ihrem ethnografischen Ansatz treu und untersucht gemeinsam mit ihren Studierenden unter anderem die vielf?ltige Verwendung von Fenstern oder die Zukunft von Lernr?umen.

Besonders positiv wurde ein einw?chiger Workshop aufgenommen, bei dem Studierende selbst einen bestehenden Raum unter Verwendung lokal verf¨¹gbarer Ressourcen zu einem informellen Lernraum umfunktionierten und dadurch das vorab gewonnene Wissen direkt anwenden konnten. 

In ihren Entwurfskursen greift die ETH-Professorin immer wieder auf die f¨¹r sie charakteristischen dreidimensionale Handzeichnung zur¨¹ck, die sie 2007 mit dem Buch externe Seite ?Graphic Anatomy? erstmals einer breiteren ?ffentlichkeit vorstellt.

Mit Momoyo Kaijima erh?lt nun eine Architektin den Wolf Preis, die sich laut der Jury scheinbar m¨¹helos zwischen Forschung, Lehre und Entwurfspraxis bewegt. Ihre theoretischen Studien, Ausstellungen, urbanen Interventionen und die von ihr und ihrem Partner Tsukamoto entworfenen Geb?ude verleihen der Vision einer sozialen, verantwortungsvollen und nachhaltigen Architektur mehr Gewicht.