«Ja, aber nicht so!» – warum Verdichtung oft an der Akzeptanz scheitert
Verdichtung ist heute ein Grundsatz der Stadtentwicklung. Trotzdem st?sst sie immer wieder auf lokalen Widerstand. ETH-Raumwissenschaftler:innen haben nun in sechs Weltst?dten und im Kanton Zürich systematisch untersucht, wie sich die Akzeptanz von Verdichtung in der Bev?lkerung erkl?ren l?sst. Eine Schlüsselrolle spielt der preisgünstige Wohnungsraum.
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Dass sich St?dte besser innerhalb der bestehenden Siedlungsfl?chen weiterentwickeln als immer weiter in die Landschaft hinauszuwachsen, ist heute als Grundsatz der Stadtentwicklung in demokratischen Staaten weit über Planungs-Fachkreise hinaus anerkannt. Schliesslich haben dichte und kompakte St?dte einige ?kologische, ?konomische und soziale Vorzüge – wie zum Beispiel geringere Zersiedelung, Schutz der unbebauten Landschaft, kürzere Verkehrswege, tiefere Treibhausgasemissionen oder auch vielf?ltige Arbeits-, Kultur- und Wohnangebote.
Trotzdem stossen urbane Verdichtungsprojekte regelm?ssig auf lokalen Widerstand. Die Gründe dafür sind zahlreich und umfassen typischerweise Aspekte wie Verkehr, L?rm oder Ver?nderung des Quartiercharakters und Verlust an Grünraum: ?Fehlende Akzeptanz in der Bev?lkerung ist in demokratischen Staaten einer der Hauptgründe, die die Verdichtung der St?dte und Metropolregionen verlangsamen oder gar blockieren kann?, sagt David Kaufmann, Professor für Raumentwicklung und Stadtpolitik an der ETH Zürich.
Je n?her am Projekt, umso weniger Akzeptanz
Ein Schlüsselfaktor urbaner Verdichtung ist der Wohnraum, da Verdichtungsprojekte sowohl den Wert von Haus- und Wohneigentum als auch die Mieten und die Bev?lkerungszusammensetzung einer Nachbarschaft ver?ndern k?nnen. ?Der Wohnungsbau ist heute eines der grossen Spannungsfelder der Verdichtung?, sagt David Kaufmann, ?und wir sehen, dass die Akzeptanz der Verdichtung sowohl in Zürich als auch in den globalen Metropolen eng mit der Bereitstellung von preisgünstigem Wohnraum zusammenh?ngt.?
Aktuell hat Kaufmanns Forschungsgruppe deshalb systematisch für sechs Weltst?dte und für den Kanton Zürich untersucht, weshalb die Bev?lkerung in Grossst?dten Verdichtungsprojekte akzeptiert oder nicht. Mit einer neuartigen Kombination von Befragungsmethoden ermittelt die Gruppe die Einstellung der Bev?lkerung zur Verdichtung und schliesst daraus, welche projektbezogenen Faktoren und st?dteplanerischen Massnahmen die Akzeptanz von Wohnverdichtungsprojekten erh?hen und die als negativ wahrgenommenen Auswirkungen der Verdichtung abfedern k?nnen.
Für die internationale Vergleichsstudie, die jetzt in der renommierten Wissenschaftszeitschrift PNAS erschienen ist, befragten die Forschenden über 12’400 Teilnehmer: innen in Berlin, Paris, London, New York, Chicago und Los Angeles. Dabei zeigt sich, dass in allen sechs Metropolen die r?umliche N?he der Betroffenen zu einem geplanten Verdichtungsprojekt die Akzeptanz entscheidend beeinflusst: Je n?her jemand beim künftigen Bauprojekt wohnt, umso geringer f?llt die Akzeptanz der Verdichtung aus. Bei Verdichtungsprojekten, die nicht in der eigenen Nachbarschaft geplant sind, sondern in einem anderen Stadtteil, nimmt die Akzeptanz zu.
?Wohnverdichtungsprojekte, die bezahlbaren Wohnraum in St?dten bereitstellen, sind breiter akzeptiert, da sie dazu beitragen, die wahrgenommenen negativen Folgen der Verdichtung abzumildern.?David Kaufmann
Die ETH-Forschenden sprechen auch von ?NIMBY-Verhalten?: NIMBY steht für Englisch ?not in my backyard? oder sinngem?ss auf Deutsch ?nicht in meiner Nachbarschaft? oder ?nicht vor meiner Haustür?. Diese Diskrepanz existiert ebenfalls im Kanton Zürich, wie die ETH-Forschenden in einer Studie, die sie zu Beginn dieses Jahres in der Planungsfachzeitschrift Landscape and Urban Planning ver?ffentlichten, feststellen. Ausgehend von einer Studie mit einer externe Seite Stichprobe von rund 3000 Befragten, die der Kanton Zürich und das Forschungsbüro Anovum 2013 erhoben, ergibt sich folgendes Bild: W?hrend 57,5 Prozent der Befragten Verdichtung als übergeordnete Planungsstrategie grunds?tzlich unterstützen, akzeptieren sie nur 11,9 Prozent in der eigenen Nachbarschaft. Zugleich zeigt sich im Kanton Zürich, dass die meisten Personen, die ein konkretes Verdichtungsprojekt in ihrer N?he ablehnen, trotzdem Verdichtung als übergeordnetes Ziel der Stadtentwicklung befürworten.
In St?dten sind die Wohnkosten entscheidend
Für den Kanton Zürich haben die ETH-Forschenden aufgezeigt, dass die Akzeptanz von Wohnverdichtungsprojekten je nach Art der Wohngegend und der Nachbarschaft anders ausf?llt: in Gebieten am Agglomerationsrand und in Einfamilienhausvierteln ist die Akzeptanz gegenüber Wohnverdichtung grunds?tzlich geringer als in Stadtquartieren, weil die Betroffenen oft negative Auswirkungen auf den Wert des Wohneigentums, Privatsph?re und Grünr?ume erwarten. In st?dtischen Quartieren ist die Verdichtungsakzeptanz grunds?tzlich h?her. Hier h?ngt die Einstellung st?rker von der H?he der Wohnkosten und der Mieten ab. Zudem spielt wohl eine Rolle, dass Wohnverdichtung oft in Stadtteilen stattfindet, wo ?ltere Wohnbauten sowie preisgünstige Wohnungen stehen und sich die Bev?lkerung fragt, ob die Mietkosten künftig über das bislang quartierübliche Niveau ansteigen werden.
Die Zürcher Ergebnisse haben die ETH-Forschen nun in dem internationalen St?dtevergleich zwischen Berlin, Paris, London, New York, Chicago und Los Angeles erweitert. In dieser Studie konzentrierten sie sich auf die Stadtbev?lkerung und sch?lten dafür st?rker heraus, welche Massnahmen auf Projektebene und bei den Planungsinstrumenten die Akzeptanz erh?hen k?nnen.
Dabei zeigt sich die Schlüsselrolle des bezahlbaren Wohnraums auf die Verdichtungsakzeptanz und die Umsetzung von Stadtentwicklungsprojekten: ?Die Akzeptanz nimmt zu, wenn ein Projekt eine gemischte Nutzung mit Wohnungen und Gewerbe vorsieht und klimaneutral ist?, erkl?rt Kaufmann, ?umgekehrt stossen Projekte mit rein gewinnorientierten Investoren auf mehr Widerstand.? Zus?tzlich hat Kaufmanns Team – zum ersten Mal in der Stadtentwicklungsforschung – systematisch die Wirkung von drei Planungsinstrumenten untersucht, die bei Wohnverdichtungsprojekten eingesetzt werden:
- prozentualer Anteil an preisgünstigen Wohnungen in einem Verdichtungsprojekt,
- Mietpreiskontrolle oder -begrenzung (in Berlin ?Mietendeckel? genannt) und
- partizipative Planung und Einbindung der anwohnenden Bev?lkerung.
In allen sechs Metropolen zeigt sich, dass ein festgelegter Anteil an – für niedere Einkommen – bezahlbaren Wohnungen, Mietpreiskontrolle (?Mieterschutz?) und Partizipation die Akzeptanz erh?hen: ?Wohnverdichtungsprojekte, die bezahlbaren Wohnraum in St?dten bereitstellen, sind breiter akzeptiert, da sie dazu beitragen, die wahrgenommenen negativen Folgen der Verdichtung abzumildern?, sagt Kaufmann. Besonders interessant ist, dass sowohl die Mietpreiskontrolle, die durchaus auch eigennützige Gründe haben k?nnte, als auch der festgelegte Anteil von preisgünstigem Wohnraum für Personen mit niedrigem Einkommen akzeptanzsteigernd wirken. Daraus l?sst sich folgern, dass preisgünstiger Wohnungsbau wichtig für die Meinungsbildung der Bev?lkerung ist, und zwar unabh?ngig davon, ob jemand direkt davon profitiert oder nicht.
Berlin und London am verdichtungsskeptischsten
In den st?rker markt- als regulierungsorientierten US-amerikanischen St?dten New York, Chicago und Los Angeles ist die Verdichtungsakzeptanz h?her als in Paris, London und Berlin. Entsprechend beeinflussen Begleitmassnahmen wie bezahlbare Wohnungen die Bev?lkerung in US-St?dten weniger. Am wenigsten akzeptiert ist Verdichtung in Berlin und London, was in der deutschen Hauptstadt mit der Debatte um die ?Mietendeckel? zu tun haben k?nnte. In Englands Hauptstadt dreht sich die Debatte wohl eher darum, welchen Bev?lkerungsgruppen die internationalen Investitionen in den Wohnungsmarkt tats?chlich nützen.
In den n?chsten Schritten wird David Kaufmanns Forschungsgruppe in dem vom Schweizerischen Nationalfonds SNF unterstützten Projekt ?Densifying Switzerland? die Verdichtungsakzeptanz in der ganzen Schweiz untersuchen. Dabei wertet sie unter anderem die Mietpreisentwicklung und alle lokalen Raumplanungs-Abstimmungen der letzten 20 Jahre aus, um herauszudestillieren, wie ?konomische, gesellschaftliche und politische Faktoren die Verdichtungsakzeptanz beeinflussen.
Literaturhinweis
Wicki M, Hofer K, Kaufmann D. Planning instruments enhance the acceptance of urban densification. In: Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) 119 (38) e2201780119, September 12, 2022. doi: externe Seite 10.1073/pnas.2201780119
Wicki M, Kaufmann, D. Accepting and resisting densification: The importance of project-related factors and the contextualizing role of neighbourhoods. In: Landscape and Urban Planning, Volume 220, April 2022, 104350, doi: externe Seite 10.1016/j.landurbplan.2021.104350