Die Wirkung von Medikamenten auf einzelne Zellen wird prognostizierbar
Forschende der ETH Zürich, der Universit?t Zürich und des Universit?tsspitals Zürich haben mit maschinellem Lernen eine innovative Methode entwickelt. Ihr Ansatz kann vorhersagen, wie einzelne Zellen auf bestimmte Behandlungen reagieren. Er erm?glicht damit genauere Diagnosen und Therapien.
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In Kürze
- Verschiedene Krebszellen reagieren unterschiedlich auf ein Medikament. Einige sind resistent, andere nicht. Dasselbe trifft auf Zellen der Autoimmunerkrankung Lupus Erythematodes zu.
- Mit einer neuen Methode des maschinellen Lernens l?sst sich nun für einzelne Zellen voraussagen, wie sie auf einen Wirkstoff reagieren.
- Eine zellgenaue Vorhersage, wie Zellen auf ein Medikament reagieren, kann die Grundlage bilden für gezieltere und personalisierte Behandlungen.
Ausl?ser für eine Krebserkrankung sind Ver?nderungen der Zellen im K?rper, die zur Wucherung krankmachender Tumorzellen führen. Um die Medikamente, die für eine Behandlung in Frage kommen, m?glichst wirksam zu dosieren und miteinander zu kombinieren, ist es ein Vorteil, wenn Mediziner:innen sozusagen in den K?rper hineinsehen und darin erkennen k?nnen, welche Wirkung die Medikamente auf die einzelnen Zellen haben.
Ein interdisziplin?res Forschungsteam aus Biomediziner:innen und Informatiker:innen der ETH Zürich, der Universit?t Zürich und des Universit?tsspitals Zürich hat nun einen Ansatz des maschinellen Lernens entwickelt, mit dem sich solche Zellver?nderungen und medikament?sen Wirkungen viel genauer und differenzierter als bisher modellieren und vorhersagen lassen.
Die individuelle Reaktionsweise einer Zelle verstehen
Zur Bek?mpfung von Krebs ist ein genaues Verst?ndnis, wie einzelne Zellen auf ein Medikament reagieren, entscheidend: schliesslich soll ein Medikament m?glichst alle Tumorzellen zerst?ren – und auch nur diese. Wenn die Wirkung eines Medikaments jedoch bloss als statistischer Mittelwert einer gr?sseren Zellpopulation bekannt ist, dann k?nnte eine Analyse der medikament?sen Wirkung durchaus auch ?übersehen?, dass einzelne Tumorzellen aufgrund ihrer individuellen Beschaffenheit oder erworbener Resistenzen vom Medikament doch nicht zerst?rt werden – und der Krebs wuchert weiter.
Der neue Ansatz der Zürcher Forschenden berücksichtigt, dass die einzelnen Zellen einer Population sehr unterschiedlich auf ein Medikament reagieren k?nnen. Die individuelle Reaktionsweise der verschiedenen Zellen zu kennen, ist ein Schlüssel zu neuen, wirksameren Krebs-Behandlungen:
?Die Vielfalt in einer Zellpopulation hat einen grossen Einfluss darauf, wie empfindlich oder resistent Zellen auf St?rungen reagieren. Anstatt sich auf Durchschnittswerte einer ganzen Zellpopulation zu stützen, kann unsere Methode genau beschreiben und sogar vorhersagen, wie die einzelnen Zellen auf eine St?rung, wie zum Beispiel durch einen Wirkstoff, reagieren?, erkl?rt Gunnar R?tsch, Professor für Biomedizininformatik an der ETH Zürich und am Universit?tsspital Zürich.
Methode ist auf viele Zellarten anwendbar
Als St?rungen oder Perturbationen bezeichnen Forschende die molekularen Reaktionen, mit denen Zellen auf chemische, physikalische oder genetische Einwirkungen antworten. Solche St?rungen ver?ndern die betroffenen Zellen und k?nnen beispielsweise ihren Tod ausl?sen. Die Wirkung eines Medikaments auf eine Krebszelle l?sst sich in dieser Betrachtung auch als St?rung auffassen.
Zu verstehen, welche Zellen tats?chlich auf ein Medikament reagieren und jene zu charakterisieren, die Resistenzen gegen ein Medikament bilden, ist entscheidend, um neue Therapieans?tze und -strategien zu entwickeln. Die neuen Therapien k?nnten wirksamer das Zellwachstum reduzieren oder sogar krankmachende Zellen absterben lassen.
In ihrer Studie, die in der aktuellen Ausgabe von ?Nature Methods? erschienen ist, weisen die Forschenden nach, dass ihre Methode nicht nur bei Krebszellen, sondern auch bei anderen krankmachenden Zellen funktioniert – zum Beispiel bei Lupus Erythematodes, einer Autoimmunerkrankung, die sich in der Regel in einer R?tung der Haut ?ussert und zur Entzündung von Rippen, Brust oder Herz führen kann.
Einzelne Zellreaktionen lassen sich jetzt vorhersagen
Die M?glichkeit, Vorhersagen zu machen, ist eine weitere wichtige Neuerung aus dieser Studie: Die Zürcher Forschenden haben eine neue Vorhersagemethode namens ?CellOT? entwickelt. Diese kann nicht nur bestehende Messdaten von Zellen auswerten und damit die Kenntnis zellul?rer St?rungsreaktionen erweitern. Zugleich vermag sie eben auch Vorhersagen zu treffen, wie einzelne Zellen auf eine St?rung reagieren werden, deren Reaktionen noch nicht im Labor gemessen worden sind.
Damit ebnet die neue Methode einen Weg zu genaueren und personalisierten Therapien: die Vorhersagen erfolgen anhand von Zellproben und geben an, wie gut die Zellen einer Patient:in auf ein Medikament ansprechen. Bis zur Anwendung in einer Klinik sind allerdings noch umfassende, klinische Studien erforderlich. Derzeit haben die Forschenden fürs Erste nachgewiesen, dass die Methode sehr genaue Vorhersagen liefert.
M?glich geworden sind die Vorhersagen durch maschinelles Lernen: Für ?CellOT? verwenden die Forschenden lernf?hige Algorithmen (Rechenvorschriften). Diese trainierten sie sowohl mit Daten von Zellen, die sich nach einer St?rungsreaktion ver?nderten, als auch von unbehandelten Zellen. Dabei lernt die Software, wie zellul?re St?rungsreaktionen entstehen, wie sie verlaufen und mit welcher Wahrscheinlichkeit ein ver?nderter Zellzustand eintritt.
Die ETH-Informatiker:innen arbeiteten eng mit der Forschungsgruppe von Lucas Pelkmans, Professor für Zellul?re Systembiologie an der Universit?t Zürich, zusammen. Gabriele Gut, ein ehemaliger Postdoktorand in Lucas Pelkmans Labor und Oberassistent an der Klinik für Medizinische Onkologie und H?matologie des Universit?tsspitals Zürich, mass die konkreten Zellver?nderungen mit einem bildgebenden Verfahren, dem sogenannten 4i Multiplex-Protein-Imaging. ?CellOT funktioniert besonders gut mit Daten aus dieser Technologie?, fügt Lucas Pelkmans hinzu. Zus?tzlich wurden Einzelzell-RNA-Daten verwendet, die aus ?ffentlichen Datenbanken stammten.
Optimaler Transport erm?glicht Lernen
?Mathematisch beruht unser Machine Learning-Modell auf der Annahme, dass sich die Zellen nach einer St?rung graduell ver?ndern?, sagt Charlotte Bunne, die neben Stefan Stark und Gabriele Gut die Hauptautorin der Studie ist, und bei Andreas Krause, Professor für Informatik und Vorsteher des ETH AI Centers, promoviert. Sie forscht im Gebiet des maschinellen Lernens, und erkl?rt, dass ?sich diese graduellen Ver?nderungen der Zellzust?nde sehr gut mit der mathematischen Theorie des optimalen Transports beschreiben und vorhersagen lassen.?
Optimaler Transport (OT) ist das Gebiet der Mathematik, in dem ETH-Mathematikprofessor Alessio Figalli 2018 die Fields-Medaille gewann (vgl. externe Seite Video vom 1. August 2018). In den letzten vier Jahren hat die Theorie des optimalen Transports viel zur Kl?rung zellul?rer St?rungsreaktionen beigetragen.
?CellOT? ist nun der erste Ansatz, der mittels optimalem Transport und maschinellem Lernen die St?rungsreaktionen von Zellen aus neuen Proben vorhersagen kann. ?Klassische OT-Methoden lassen keine Vorhersagen ausserhalb der Stichprobe oder den Messdaten zu. Genau das kann CellOT?, sagt Charlotte Bunne.
Literaturhinweise
Bunne, C, Stark, SG, Gut, G, Sarabia del Castillo, J, Lehmann, K-V, Pelkmans, L, Krause, A, R?tsch, G. Learning single-cell perturbation responses using neural optimal transport. Nature Methods (2023). 28 September 2023. DOI: externe Seite 10.1038/s41592-023-01969-x
Research Briefing. Neural optimal transport predicts perturbation responses at the single-cell level. Nature Methods (2023). 28 September 2023. DOI: externe Seite 10.1038/s41592-023-01968-y